Erneut schuf die Choreografin Nanine Linning mit ihrer Tanzcompagnie und weiteren Künstlern durch „Hieronymus B.“ ein beeindruckendes Gesamtkunstwerk. Im dritten Jahr ihres Engagements in Heidelberg brachte sie ihre Interpretation der bizarren Fantasiewelten des Hieronymus Bosch mit Tanz, Licht, Video, Bildender Kunst und Musik auf die Bühne.
Geflüster, seltsame Musik, Videobilder mit Tanzenden als garstige Mischwesen, die bald auf der Bühne erscheinen: Ein grüner Flügelfrosch bedrängt gierig ein verängstigtes Mädchen, das dann, selbst neu-gierig geworden, auf ihm davonreitet. Ein Vogelmensch mit umgekehrtem Trichter als Hut verrenkt sich voll erotischer Lust. Ein Teil des Publikums im Saal kann erleben, wie die Tanzcompagnie einige Details der opulenten Wimmelbilder des Malers lebendig macht. Die übrigen Besucher begegnen derweil hinter der Bühne hautnah diesen Mischwesen – einem Mädchen, das sich akrobatisch aus einem Ohr windet, dem Liebespaar, das von einem Sensenmann in Fischgestalt getrennt wird. Dann wechseln die Zuschauer die grotesken Szenerien.
Diese beiden Tableaus des Tanztheaters sind quasi die Außenflügel eines Hauptbildes, das nach der Pause geöffnet wird. Bosch malte häufig Triptychons, deren Seitenflügel das – nur an besonderen Tagen gezeigte Hauptbild – verdeckten.
Ein wenig fürchtet man, dass nun die „Szenen zwischen Hölle und Paradies“ (Untertitel) als karnevalistisches Treiben oder wollüstige Fantasy-Erzählung getanzt werden. Aber natürlich veranschaulicht Linning den Bosch auf ihre Weise. Auf der kargen dunklen Bühne lösen sich aus einem Baum schattenhafte Wesen, die sich mal animalisch, mal tierhaft gebärden, begegnen und zu lebenden Skulpturen zusammenwachsen. Ein rotes Tier-Menschwesen treibt die – in ihren fleischfarbenen Trikots mit aufgenähten Brustwarzen – sehr nackt wirkenden Tänzerinnen zusammen.
Später folgen sie mit verdrehten Köpfen einem Schweinepriester, dann werden ihre Häupter von einem Afrikaner in Vogelkäfige gesteckt. Es ist ein langer, atemberaubender Parcours durch die sieben Todsünden. Mal paraphrasiert das Orchester zeitgenössisch, mal altertümlich die Atmosphäre, ab und zu singt ein Countertenor melancholische mittelalterliche Weisen.
Schließlich Dunkelheit, Feuerrauch, aggressive Töne, ängstliche Rufe und verzweifelte Bewegungen der Tanzenden. Vom Himmel fallen Leiter auf die „Brennende Weltlandschaft“. Aber Hoffnung und Erlösung sind möglich, sehr symbolisch liebt sich ein Paar auf einem Paradiesapfel, das Ensemble schaut von einer Himmelsleiter aus zu. Linning projiziert nicht die Bilderwelten Boschs auf die Bühne: „Das wäre zu einfach gewesen und zudem wäre der Bann gebrochen“, meint die Choreografin, „Meine Tänzer und ich müssen die Atmosphäre entstehen lassen. Wir können eine körperliche, eine anders gelagerte Erfahrung vermitteln.“
Weitere Vorstellungen 9. / 12. / 26. Februar sowie 1. / 9. / 21. / 28. März 2015 jeweils um 19.30 Uhr. Außerdem sind parallel die hier bereits besprochenen Tanzstücke „Echnaton“ und „Endless“ wieder aufgenommen worden.
FOTO Kalle Kuikkaniemi