Leute, die sich brüsten, seit Jahren keinen „Tatort“ mehr gesehen zu haben und das öffentlich-rechtliche Fernsehen verabscheuen, lobpreisen plötzlich die kommende neue ARD-Serie „Babylon Berlin“. Die bisher teuerste deutsche TV-Produktion sei endlich „der internationale Durchbruch“ und die „Ehrenrettung des deutschen Fernsehens.“ Was ist dran an diesem Rummel?
Die Serie, die Mitregisseur Tom Tykwer „eigentlich einen 12-Stunden-Film“ nennt, entführt uns nach Berlin ins Frühjahr 1929: Kommissar Gereon Rath aus Köln zerschlägt mit der Berliner „Sitte“ ein Pornofilm-Studio. Insgeheim versucht er einen Erpresser des Kölner Oberbürgermeisters zu entlarven. Seine spätere Geliebte „Charly“ arbeitet als Schreibkraft bei der Kripo, des Nachts prostituiert sie sich im edlen Tanztempel „Moka Efti“. Mit ihrer Großfamilie wohnt sie in ärmlichen Verhältnissen. Kommunisten und Nationalsozialisten liefern sich tödliche Kämpfe. Der 1. Mai wird verboten, in Arbeitervierteln erschießt die Polizei Demonstranten und Unbeteiligte. Ein geheimnisvoller, vermutlich mit Gold beladener Zug aus Russland, ist auf dem Weg in die Hauptstadt. Um ihn streiten sich Trotzkisten, die Reichswehr und eine verarmte russische Adelige…
Babylon, das war im Alten und Neuen Testament der Ort des Unglaubens, der Unterdrückung, der Unzucht – so wie das Berlin am Ende der Zwanzigerjahre. Der Film entwickelt in den ersten Teilen die Anfänge einer komplexen Geschichte und eines vielschichtigen Zeitbildes. Die verschiedenen Ereignisse verknüpfen sich für die geduldigen Betrachter erst nach einiger Zeit. Diverse Erzählstränge werden mit schnellen Schnitten, Großaufnahmen, eigenartigen Kameraperspektiven oder anderen modernen cineastischen Mitteln gezeigt; die exzellenten Filmbilder sind als „großes Kino“ produziert.
„Babylon“ ist mit etlichen bekannten aber unverbrauchten Filmschauspielern gut besetzt, die Identifikation und Empathie hervorrufen. Etwa mit Volker Bruch als Kommissar Rath oder Liv Lisa Fries als Charlotte „Charly“ Ritter.
Die Serie ist keine direkte Verfilmung der Bestseller Volker Kutschers, man darf nicht zu viel Bekanntes erwarten. Jedoch schafft der Film die gleiche Stimmung und zieht uns in den Tanz auf den Vulkan wie die Romane des Autors, er orientiert sich nur locker an deren Inhalten und Figuren. Weiterlesen