Frühjahr in der Kunststation

Beim Rundgang durch die Frühjahrsausstellungen in der Kunststation kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Was für eine unglaubliche Vielfalt an Werken – aus verschiedensten Materialen und mit unterschiedlichsten Techniken – haben vier Kunstschaffende in ihren individuellen Ausstellungen zusammengetragen.

Alle Künstlerinnen und Künstler waren zur Eröffnung anwesend, um mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen.

Peter Mayer zeigt zahlreiche Collagen und Installationen aus Hunderten unterschiedlicher Fundstücke, wie Fahrradschläuchen, verwelkten Pflanzen oder Polaroid-Fotos. Bodo Korsig präsentiert riesige Filzobjekte mit herausgeschnittenen Mustern und Installationen. Sonja Kuprat entführt das Publikum in grellfarbige oder finstere Wolkenlandschaften die zum Träumen anregen. Anette Kramer zeigt in der Studioausstellung ihre gezeichneten Figuren mit gleichen Bewegungen aus unterschiedlichen Perspektiven. 

„Wahrnehmung“, betonte Kuratorin Dr. Elisabeth Heil bei der Vernissage, das sei „ein Wort, das immer wieder in Texten über Kunst, Künstlerinnen und Künstler vorkommt.“ Doch Wahrnehmung ist ein komplexer Prozess, der nicht nur die Sinne anspricht, sondern durch innere und äußere Prozesse beeinflusst wird. Kunstschaffende hinterfragen diese Wahrnehmungsprozesse, spielen, verfremden oder irritieren sie bewusst mit ihren Gestaltungen.

„Fluide Bildwelten“, der Titel von Mayers Collagen macht deutlich, dass die vielen Fundstücke die er miteinander verbindet, Momentaufnahmen seiner Erinnerungen sind. Zu jedem „Teilchen“ erzählt er Geschichten, Feldpostbriefe fand er in einem gekauften Haus, Portland-Zementsäcke brachte er aus Marokko mit. Das klingt spannend, aber man muss es nicht wissen, um sich von den riesigen Werken berühren zu lassen, die einen in seiner Schau zunächst begegnen. Man kann zwar versuchen Mayers Geschichten zu entschlüsseln, doch seine Arbeiten sind keine Ratespiele. Es sind ästhetische Kompositionen, die etwas in uns zum Schwingen bringen. 

Korsigs „Gedankenströme“, so der Titel seiner Installationen und Objekte, liegen komplexe neurologische Phänomene zugrunde – aber auch die muss man nicht nachvollziehen, um die einzelnen Arbeiten auf sich wirken zu lassen.

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Humor kommt nicht zu kurz…

Die Kleinsassener Kunstwoche in der Rhön findet aufgrund der Unwägbarkeiten durch Corona auch in diesem Jahr nicht statt. Deshalb wurde das Projekt der Kunstgärten wieder aufgegriffen, mit 37 Skulpturen ist es – im Rahmen des Kultursommers Main-Kinzig-Fulda – eine große Attraktion für das Malerdorf.

Viele der Kunstwerke schmiegen sich in die Gärten oder an die Ränder der Rhöner Wildnis, als wären sie hier schon immer gewesen: Über dem murmelnden Bach in der Ortsmitte schwankt „Der Veränderer“ im Wind, ein von einem Baum hängender Stahlstern mit bunten Kugeln. Das Paar aus Bronze umklammert sich vor einem Hauseingang und fühlt sich „Geborgen“. Am Dorfrand blöken echte Rhönschafe den Besucher eines lebensgroßen „Weiblichen Torsos“ aus Beton an. Dagegen lagern auf einer kleinen Wiese mehrere große Felsbrocken, aus denen steinerne Schafsköpfe herausgucken. Große rostige Stahlbänder verschlingen sich zu einem „Tanz 1“. Ein mit Sägen und weiteren Werkzeugen gespickter Baumstumpf verweist als „RauB-Bau“ auf den Klimawandel.

Sonja Reith hat in dem von ihr organisierten Projekt sehr unterschiedliche plastische Arbeiten zusammengetragen und viele dazu passende Orte gefunden. Bei den realistischen, abstrahierten oder konkreten Skulpturen kommt auch der Humor nicht zu kurz: In einem Vorgarten vergnügen sich kleine, grell bemalte „Gute Laune Mädels“ aus Beton. „Der Sternengrabscher“, ein schwarzes zweidimensionales Eisenmännchen, greift nach den Gestirnen. „Der Rhönschäfer mit Herde“, eine grobe, mit der Kettensäge zugerichtete hölzerne Werkgruppe, steht unter einem Baum. Bildhauer Elmar Baumgarten reimte dazu: „Der Schäfer steht im Zwetschgenbaum. Man sieht ihn vor lauter Zwetschgen kaum. Die Herde ist ihm einerlei.
Von den Zwetschgen gibt’s die Scheißerei!“

Zu den ständigen Austellern und Ausstellerinnen der Kunstwoche, lud Organisatorin Reith auch Gäste wie Baumgarten ein, der noch zwei weitere Holzplastiken mit passenden Versen beisteuerte. Alexander Litwinow intallierte mehrere Recycling-Figuren aus Metall, etwa den „Begeisterten Lauf“ am Ortsende von Kleinsassen. Oder Sabine Lehrich platzierte ihre luftigen Drahtgebilde, „Die Sitzende und die Tänzerin“, in der Nahe der Kunststation. Die Eingeladenen erweitern die Vielfalt und Qualität dieses Projekts beträchtlich. 

Auf den Wegen im Dorf warten auch drei afrikanisch wirkende Skulpturen von einem Gast, etwa die Frauenfigur „Still waiting“ aus weichem Serpentingestein. Bevor sich Proteste gegen die „kulturelle Aneignung“ aus der identitären Ecke erheben: der Bildhauer ist Afrikaner. Und um Kritik aus der anderen Richtung zu vermeiden: Wimbai Ngoma ist kein Flüchtling, sondern ein international arbeitender Künstler aus Simbabwe.

Auch der Skulpturengarten um die Kunststation – mit dem neuen Werk „Kosmisches Wurmloch“ aus Steinen – ist Teil des Parcours.

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Ein moderner Illusionist in der Kunststation

Tobias Dostal gehört zu den jüngeren Künstlern in der aktuellen Ausstellung „Licht!“ der Kunststation Kleinsassen (Rhön). Erstaunlicherweise arbeitet er ganz bewusst mit ziemlich „altmodischen“, also analogen und mechanischen Techniken.

In beleuchteten Wandkästen gleiten scheinbar, bedingt durch das wechselnde Licht, flache Figuren aus Acrylglas umher. Mit wenigen unterschiedlichen Bildern suggerieren sie Bewegung. Drei dieser Lichtkästen, nebeneinander als Triptychon aufgehängt, entfalten eine erstaunliche magisch-kontemplative Wirkung. 

Als Skulpturen drehen sich einige Gebilde aus Acryl und Blech mit hoher Geschwindigkeit um sich selbst, im Auge der Betrachter entstehen durch das Tempo der Umläufe diverse Silhouetten. Sie verdichten sich zu winzigen bewegten Geschichten, die an „Daumenkinos“ oder frühe Kinofilme – als die Bilder laufen lernten – erinnern.

Eine dieser „Illusionsmaschinen“ (so Kuratorin Dr. Elisabeth Heil) destilliert aus den schnellen Drehungen Tobias Dostals eigenes Profil. Das begegnet der Silhouette von Georges Méliès, dem französischen Illusionisten und Filmpionier des 19. Jahrhunderts. Denn hier sieht Dostal seine Wurzeln, der übrigens auch als moderner Zauberkünstler für Jugendliche und Erwachsene arbeitet. Die ungeheure digitale Bilderflut unserer Zeit will er mit seinen Arbeiten sowohl bewusst reduzieren als auch verdeutlichen.

Das Spannende in seinen Werken ist die fast immer erkennbare Antriebs- und Wirkungsweise der Kunstgeräte, die dennoch verzaubern und Illusionen schaffen. Dostal wuchs in Bad Hersfeld auf und ist auch ein hervorragender Zeichner, der 2017 in Oldenburg den gut dotierten Horst-Janssen-Grafikpreis erhielt: „Er verbindet in seinen Arbeiten die Elemente Zeichnung, Film und Installation auf einzigartige Weise“, meinte die Jury. Das ist auch in der Kleinsassener Ausstellung „Licht!“ nachzuvollziehen, die durch seine Beiträge originell und spielerisch erweitert wird.

Info:

Ausstellung „Licht!“ von zehn internationalen Kunstschaffenden noch bis zum 29. August.

Keine Anmeldung und Testpflicht. Da sich die Corona-Maßnahmen ständig ändern, wird ein Anruf oder Besuch der Webseite empfohlen

www.kunststation-kleinsassen.de

Foto:
„Tobias Dostal vor einer Illusionsmaschine“ Hanswerner Kruse

Nicht nur Baden, Wandern oder Bergsteigen: Zeitgenössische Kunst auf Teneriffa (3)

Teil 3: Im Kulturpark Mariposa

Von Puerto de la Cruz aus machten wir einen Ausflug um die halbe Insel in den Süden nach Mariposa. Wir wussten vorher nichts von diesem Kunstgarten, sondern wurden durch Hinweise im Internet darauf aufmerksam. Das Projekt gefiel uns so gut, dass wir nach dem Besuch spontan unsere Reise verlängerten, weil wir einige Tage an diesem Ort verbringen wollten. Hier unsere Reisenotizen:

Aus einem großen eisernen Herzen sprudelt Wasser für einen Bach. Ein gigantisches blaues Betonbrot prunkt auf einem Plateau zwischen blühenden Kakteen. In einer Grotte kann man auf Edelsteinsesseln Platz nehmen. Überall stößt man beim Gang durch den Mariposa-Park auf Skulpturen und andere Kreationen aus diversen Materialien. Doch was zunächst wie ein Museum im Freien wirkt, erfasst man nach einiger Zeit als begehbares Gesamtkunstwerk: Denn gestaltete Natur und Artefakte bilden hier eine fühlbare, nicht zu trennende Einheit.

Der über zwei Hektar große Kunstgarten liegt im Süden Teneriffas, nahe dem Städtchen Arona in den Bergen, abseits der touristisch überlaufenen Küste. Bekannt ist diese wundervolle Anlage auf Teneriffa wenig: Das soll auch so bleiben, denn sie ist keine populäre Touristenattraktion wie der Zoo „Loro Park“. Wer sich aber sensibel auf die eigenartige Schönheit und ästhetische Herausforderung einlassen mag, ist für eine Führung oder einen längeren Aufenthalt willkommen und kann Unvergessliches erleben. 

Wir verbrachten fünf Tage an diesem Ort, der schon den kanarischen Ureinwohnern als magischer, kraftvoller Platz galt – und anschließend blieben wir noch eine weitere Woche. Man kann in einigen kreativ gestalteten Häusern oder Zelten übernachten und so zeitweise in der Kunst leben. Diese Behausungen sind ebenfalls Teil des Gesamtkunstwerks.

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Nicht nur Baden, Wandern oder Bergsteigen: Zeitgenössische Kunst auf Teneriffa

Teil 1 Santa Cruz

Fast ganz Europa war ein Risikogebiet, als wir im November nach Teneriffa kamen, jedoch die Kanarischen Inseln gehörten damals noch nicht dazu. Wir wollten nicht nur Cabra und Conejo, Ziegen und Kaninchen essen, die Sonne genießen und in Teresitas baden – sondern vor allem moderne und zeitgenössische Kunst entdecken.

Zweimal verlängerten wir unsere Kunstreise auf insgesamt sechs Wochen. Unterstützt wurden wir bei unseren Entdeckungen vom spanischen Fremdenverkehrsamt und dem Kulturgarten Mariposa. Zwölf Tage lang lebten wir zunächst direkt am Meer in einem kleinen Apartment, von dem aus wir mit dem Leihauto auf abenteuerlichen Serpentinen über die Berge nach Santa Cruz fahren konnten.

Wenn man vom Süden über die Autobahn in die Hauptstadt Teneriffas kommt, fährt man zunächst an der alten Raffinerieanlage mit zum Teil kräftig bemalten Öltanks vorbei. Rechts zum Atlantik hin liegt etwas weiter das gewaltige futuristische Gebilde AUDITORIO mit einem gigantischen Betonbogen darüber (Foto oben), was einen wirklich zum Staunen bringt. Während der moderne Bau drei Kongress- bzw. Konzertsäle beherbergt, ist der mächtige Bogen völlig funktionslos: Er ist einfach nur kühn, spannend und fantasieanregend: wie eine große Welle, die vom Ozean in die Stadt schwappt, oder wie eine gewundene Brücke, die Stadt und Atlantik verbindet, oder wie ein riesiger Vogelschnabel.
Hier glaubt man, dass die Architektur früher als Königin der Künste galt.

Die Oberflächen des Gebäudes sind mit Millionen von weißen Kachelbruchstücken versehen, eine Hommage an die Mosaikkunst des katalanischen Baumeisters Antoni Gaudí. Per se ist dieses Werk des international arbeitenden Architekten Santiago Calatrava ein Ruheort. Als Tempel der Künste schirmt er die Besucher*innen von dem nahen Hafen, den Autostraßen und dem neuen Hochhausviertel ab. In unmittelbarer Nachbarschaft liegt die von Caesar Manrique gestaltete Badelandschaft Parque Maritimo.

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Kunst zwischen Streetart und Aktionismus

Die Galerie Kunst im Kutscherhaus zeigt die Ausstellung „Dyne & the Sauti Kuu“. Der Berliner Künstler Dyne präsentiert eigene Werke sowie Arbeiten, die er mit kenianischen Kindern schuf.

Auf farbkräftigen Bildern sieht man Gesichter im Profil, erkennt tanzende oder ineinander verschlungene Wesen. Die Motive changieren zwischen figürlicher Darstellung und Gegenstandslosigkeit, manche Gestalten lösen sich völlig in Formen und Farben auf. Diese Kompositionen des Künstlers Dyne, im Format 80 x 80 Zentimeter, kann man wohl im weitesten Sinn Art Brut zuordnen: oft wirken sie rau und bedrohlich, manchmal naiv und freundlich.

Man merkt, dass Michael Mieth (43), der sich jetzt Dyne nennt, seine Wurzeln in Streetart und Graffiti hat. Er erzählt, dass er mit einem Freund in Berlin einst illegal Wände und Züge besprühte. Doch eines Tages ermunterte ihn der Maler Vicente Moll, Vater seines Kumpels, „endlich mal richtig auf Leinwänden zu malen.“ Vincent wurde Mentor für den Künstler, der richtig stolz darauf ist, nicht studiert zu haben und Autodidakt zu sein. Seit zwei Jahrzehnten arbeitet er als selbständiger Künstler und verkauft seine extrem unterschiedlichen Werke in Ausstellungen.

Auf einen bestimmten Stil will er sich nicht festlegen lassen: „Ich bin Multimedia-Künstler“, sagt er, denn seine Arbeiten bewegen sich zwischen Malerei, Aktionskunst und Bildhauerei. Dyne fährt auch schon mal mit einem Trabi durch Farbe und dann über Leinwände, die er anschließend zerschneidet und weitergestaltet. Eines dieser älteren Werke ist auch im Kutscherhaus zu sehen.

Neben jedem seiner oben beschriebenen Arbeiten steht eine Weinflasche, deren Etikett dem jeweiligen Bild ähnelt. Sein Förderer Vicente schuf für einen sehr bekannten mallorquinischen Winzer Label für Weinflaschen und ermunterte Syne es ihm gleichzutun.

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Fantasiegärten in der Toskana wieder geöffnet

Die italienische Toskana, der teils raue, teils anmutige Landstrich zwischen Florenz und Rom, ist eine uralte Kulturlandschaft und bietet zahlreiche Kunstschätze. Doch bereits seit vielen Jahrzehnten werden auch zeitgenössische Kulturschaffende davon angezogen. Bekannte Künstler, etwa Fernando Botero oder Sandro Chia, ließen sich hier nieder, quälten sich mit der ungewohnten Gartenarbeit – und schufen dennoch individuelle Kunstoasen. In diese – von der Landschaft abgetrennten – Gärten integrierten sie ihre künstlerischen Arbeiten.

Dennoch haben die Anlagen nichts mit klassisch-englischen oder Barockgärten zu tun, in denen es um die ordentliche Ausgrenzung der anarchischen Natur ging. Der etwas unscharfe Begriff Künstlergärten meint keine Museen oder Galerien im Freien. Alle Werke in den Fantasiegärten, wie man sie eher nennen sollte, verändern sich ständig durch das Licht, die Jahreszeiten und die Witterung. Sie sind von bezaubernder oder erschreckender Schönheit – aber selten allgemein zugänglich. Nach der Corona-Pause kann man wieder drei der wichtigsten öffentlichen Anwesen besuchen:

Daniel-Spoerri-Garten (Giardino di Daniel Spoerri)
Daniel Spoerri feierte vor kurzem seinen 90. Geburtstag, die Medien bezeichneten ihn als Eat-Art-Künstler und lobten seine Fallenbilder, „vergaßen“ jedoch sein größtes Werk zu erwähnen: Mitten in der Toskana gründete der Schweizer in den frühen 1990er-Jahren auf 16 Hektar einen magischen Ort zwischen Zivilisation und Wildnis. Bereits das Haupthaus, mit dem Restaurant und einigen Apartments, empfängt einen mit der Inschrift „non solo EAT ARTs“.

Stundenlang kann (und soll) man in der Landschaft von einem Kunstwerk zum nächsten wandern, sich zwischendurch aber auch an schattigen Plätzen ausruhen. Der Parcours beginnt bei Spoerris Brunnen und Skulpturen aus Fleischwölfen, dann trifft man auf eine gewaltige Gänseherde aus Beton (Foto) oder kann eine Aussichtsplattform besteigen. Weiterlesen

Lesung von Volker März in seiner unordentlich angeordneten Kunst

Am letzten Sonntag trug der Künstler kritisch-skurrile Erzählungen inmitten seiner Figuren, Bilder und Installationen vor. Wie in vielen  Texte wählte er dazu die Befragungen eines Menschen im Schlamm durch einen Außenstehenden: Was siehst Du? In der folgenden, vollständig veröffentlichten Befragung, macht März die Kunststation und die eigene Lesung zum Thema.

Lesung und Lösung (c) Volker März

– Was siehst du heute Abend in deinem Schlamm!
Ich sehe und höre eine Lesung in einem Gebäude In dem kreuz und quer sehr unordentlich angeordnete Kunst rumsteht und rumhängt. Das Licht ist gedämpft. Ein einzelner Mensch Menschen versucht mit Worten an einem besonderen Ort, das trotz Pandemie wohl erhaltene Publikum zu erreichen. Das Haus ist eine Art KUNSTSTATION – so nennt es sich – es liegt an einem Hang mit viel Grün außen herum.“

– Sind wieder einmal nur Frauen anwesend bei der Lesung?!
Nein, ich sehe auch Männer die leicht vor sich hin dösen.

– Was ist der Inhalt der Lesung? Warum bist du vor Ort?!
Es geht um unsere Rundumwahrheiten, um mich und mein Leben im Schlamm. Es geht um deine Fragen und unsere Antworten und warum …

– Halt! Das kann nicht sein! woher wissen die Leute das? Lesen sie aus einem Buch?!

Nein, der Sprecher, der uns vertritt, hat lose Blätter aus denen er vorträgt und die er nach und nach fallen lässt.

– Woher kennt der Lesende unsere Geschichten!
Es hat sich herumgesprochen – die Zeiten haben sich geändert. Weiterlesen

Christo – viel, viel mehr als ein Verpackungskünstler (2)

Im Berliner Palais Populaire begann die Ausstellung der von Christo & Jeanne-Claude realisierten „Projekte 1963 – 2020“. Die Schau gibt mit Skizzen und Collagen einen umfassenden Überblick zum Gesamtwerk des Künstlerduos.

Nach dem Reichstagsprojekt erklärten Christo & Jeanne-Claude, sie wollten zukünftig nichts mehr verhüllen. Das hielten sie zwar nicht durch, ohne die 2009 verstorbene Jeanne-Claude plante und verschob Christo in diesem Jahr die Verhüllung des L’Arc de Triomphe in Paris auf 2021. Aber die kümmerliche Reduzierung der beiden auf „Verpackungskünstler“ ist unsinnig, weil sie die von ihnen ausgewählten Objekte – seien es nun Bauwerke, Felsküsten oder Bäume – nicht verhüllten um sie unsichtbar zu machen, sondern um dadurch zeitweilige Riesen-Skulpturen zu erschaffen.

Zugleich verwirklichten die beiden auch andere beeindruckende Großprojekte durch Eingriffe in die Natur ohne sie zu verpacken. Etwa die Installation eines riesigen Vorhangs in einer amerikanischen Landschaft („Valley Curtain 1970/72“), die Umrandung einer Insel bei Florida („Surrounded Islands 1980/83“) oder das Projekt von über 4000 zeitgleich aufgestellten Schirmen in Japan und Kalifornien („The Umbrellas 1984/91“). Bei diesen Gestaltungen der Landschaften gingen Natur und Kunst immer eine vorübergehende Liaison ein:

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Valley Curtain 1970/72“ 

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Christo – viel, viel mehr als ein Verpackungskünstler (1)

Zum Tod des Künstlers Christo (1935 – 2020) Teil 1

New York / Frankfurt (Weltexpresso) – Beim Schreiben über das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude, sowie mitten in der Recherche ihrer Projekte, erreichte mich die Nachricht vom plötzlichen Tod des Künstlers. Im Juni vor 25 Jahren hatten die beiden den Berliner Reichstag verpackt. Nach dem Ende des Corona-Lockdowns begann neulich im Berliner Palais Populaire die umfangreiche Ausstellung „Christo und Jeanne-Claude. Projects 1963-2020“.

Die beiden wurden am gleichen Tag im gleichen Jahr geboren und trafen sich in den frühen 1960er-Jahren als Seelenverwandte in Paris. Christo flüchtete über Wien und Genf aus Bulgarien hierher, Jeanne-Claude lebte mit ihrer Familie zeitweilig in Nordafrika. Von Anfang an entwickelte das Duo sämtliche Projekte gemeinsam. Doch aus taktischen Gründen firmierte Christo als der Künstler und Jeanne-Claude als seine Organisatorin in der von Machos beherrschten Kunstwelt. Erst Jahrzehnte später nach dem internationalen Erfolg lüfteten sie das Geheimnis ihrer symbiotischen künstlerischen Tätigkeit. Jeanne-Claude starb bereits 2009, doch Christo machte immer wieder deutlich, dass auch die neuen Projekte – wie der im nächsten Jahr verhüllte „Arc de Triomphe“ in Paris oder das einzig dauerhafte, gigantische Werk „The Mastaba in Abu Dhabi“ – auf gemeinsamen Fantasien und Planungen beruht.

Das Künstlerpaar erweiterte den modernen Kunstbegriff beträchtlich und verschob die Grenzen der zeitgenössischen Kunst auf nie geahnte Weise: Ihre riesigen ästhetischen Landschaftsgestaltungen oder durch Verhüllung entstandenen Skulpturen faszinierten und verzauberten Millionen von Menschen. Teil dieser nicht-elitären Gesamtkunstwerke, die immer nur kurze Zeit existierten, waren die jahrelangen Vorplanungen, die öffentlichen Auseinandersetzungen um die Realisierung, das Durchhaltevermögen des Paares, die Einbindung des Publikums, das mediale Echo und die Finanzierung ohne öffentliche Mittel oder Aufträge. Weiterlesen