Letztes von der Berlinale (10)

Ein Stimmungsbild vom letzten Tag:
Ist Hugh Jackman tatsächlich barfuß über den roten Teppich gegangen? Wir wissen es nicht, denn während ich die Service-Leute dazu befragen will, kommt über ihre Walkie Talkies das Verbot, mit der Presse zu reden. Was in den Hirnen der Leitung von Leiharbeitsfirmen vor sich geht, wissen wir auch nicht…

Dagegen dürfen die von der Berlinale angestellten Service-Leute „natürlich mit mir sprechen“ (so der Presse­chef): Zunächst lag am Tag, als Jackman in der Pressekonferenz war, hinter dem Podium nur ein Schuhabsatz, im Promi-Ausgang eine ganze Schuhsohle, drüben im Berlinale-Palast sogar Strümpfe… aber ob die nun vom großen Star waren?

Eine Kollegin kommt zum Ticketstand für die Zeitungsleute und schmeißt empört ihr kostenloses Billet für „The Party“ auf den Tisch. Dazu kreischt sie, die Mitarbeiter hätten ihr gefälligst sagen müssen, dass die Karte für einen Film und nicht für die Abschlussparty der Berlinale sei.

Die „Badges“, also die umgehängten Foto-Plastikkarten mit der Akkreditierung zur Berlinale, sind ein Heiligtum. Bei jedem Festival versuchen Dutzende von filmgierigen Menschen mit alten oder gefälschten Badges in die Berlinale-Kinos zu kommen.

Eine Koreanerin wollte ihren Badge beim Rausgehen aus den Pressevorführungen unbedingt immer zeigen, berichtet ein Whistleblower der Service-Firma. Sie hatte Angst, sonst nicht herauszukommen.

Dann erzählt er die Geschichte eines holländischen Journalisten, der bei 19 Kinobesuchen wohl 90 Mal den Badge zeigen musste. Die Karte wird im Idealfall zwischen Daumen und Zeigefinger hochgehalten. In einem Alptraum sei der Kollege mit Fingerstarre aufgewacht.

Anke Engelke ist beim Service sehr beliebt: „Die kennt doch hier nun wirklich jeder!“ oder „Die ist immer sehr bezaubernd und lobt uns, das tut gut.“

Während ein Neuköllner Jungfilmstar sich immer „fürchterlich aufbläst, wenn er seine Karte zeigen soll“, präsentiert die Moderatorin der Eröffnungs- und Abschlussgala immer brav ihren Badge. „Dafür ist der doch da“, meint sie.

„Wir sollen nicht wie ein Schluck Wasser dastehen“, lautet die Anweisung der Berlinale. In den letzten Jahren gab es wohl immer wieder Pressefotos, auf denen sich alle mit glänzenden Augen um die Stars scharten, nur die Platzanweiser hingen hinten schlaff herum.

Zum Schluss verteile ich „Goldbären“ von Haribo an die Service-Leute, die sich über Dank und Resonanz immer sehr freuen: „Wir sind doch wie eine große Familie“, meint einer.

Foto: Hugh Hackman in der Pressekonferenz zu „Logan“ (c) Hw Kruse

„Gut zu wissen, dass es Kunst ist…“ Anne Imhof präsentiert in Berlin „Angst II“ (1. Versuch)

Eine Besprechung – fragmentarisch und assoziativ wie Anne Imhofs „Angst II“

Auf den Plakatwänden zur alljährlichen ART WEEK, die in Berlin mit zahllosen Ausstellungen und performativen Darbietungen den Kunstherbst eröffnet, prangt auch groß der Name Anne Imhof. Die in Hessen geborene und lebende, aber mittlerweile weltweit agierende Künstlerin, inszeniert im Hamburger Bahnhof „Angst II“. Ihre eigentlich nicht zu klassifizierende, vierstündige Performance-Oper, so die Kuratorin im Pressegespräch, widmet sich der Angst, dem beherrschenden Thema unserer Zeit. Die zahlreichen Zuschauer und ich erwarten nun eine Darbietung in wagnerianischen Dimensionen. Immerhin sind zwanzig junge Schauspieler und Performer, eine Seiltänzerin, zwei Falknerinnen mit ihren Greifvögeln und eine Handvoll Dokumentaristen angekündigt.IMG_4565.jpgWährend sich die leer geräumte, riesige Wartehalle des ehemaligen Bahnhofs mit Nebel füllt, fläzen sich betont cool und lässig eine Menge junger Leute auf großen Podesten links und rechts der Treppe zum Saal. Decken, Schlafsäcke, verstreute Klamotten und Essensreste suggerieren, hier wird Tag und Nacht für die Kunst gelebt. Seltsame Klänge und Geräusche füllen den dunstigen Raum. Mutige Zuschauer verschwinden bereits im Nebelschleier, nach und nach kommen auch Akteure dazu.
Mit bizarren Bewegungen begegnen sie sich, kreieren mit schemenhaften lebenden Bildern ihre eigene Realität, obwohl sie sich ansonsten nicht von Zuschauern unterscheiden. Manche tun auch gar nichts, das fördert die Vermischung. Wir Beobachter werden sowieso Material und Teil der entstehenden Tableaus, die langsam aufscheinen und ebenso langsam wieder verschwinden. Sehr viel Zeit vergeht dabei, alle Veränderungen geschehen unendlich langsam.  Obwohl die Ereignisse chaotisch, beliebig und zufällig wirken, sind sie größtenteils von der Choreografin oder von ihr nach gemeinsamen Diskussionen mit den Akteuren festgelegt. Aber es gibt wohl auch Raum für spontane Aktionen. Imhof versteht sich als Malerin, die mit ihren Leuten, dem Publikum und wenigen Requisiten im Raum „Bilder malt“.

Beim Suchen der Toilette komme ich mit der Garderobiere ins Gespräch. Sie entpuppt sich als Kunstkennerin („Hier lernt man viel bei der Arbeit!“) und ist ganz traurig, weil an ihrem Arbeitsplatz nur die Musik zu hören ist…

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ART WEEK BERLIN vom 15. bis 18. September – Eine Presserundfahrt

„Please Leave This World“, fordert ein großformatiges Bild in der Ausstellung abstrakter Kunst des Sammlers Thomas Olbricht im ME.

Das ist wohl kaum als suizidale Aufforderung gemeint. „Bitte verlasse diese Welt“ ist eher ein Appell, sich auf die Kunst einzulassen. Das trifft sich gut, denn mit zahllosen neuen Ausstellungen, Messen, Art Events, Performances, Musik- und Filmdarbietungen beginnt als ART WEEK in Berlin ein satter Kunst-Herbst. Die Initiatoren organisierten vorab zur Information für die Presse eine kleine Rundfahrt vom ME über den Hamburger Bahnhof bis zu kleinen versteckten Galerien.

„My Abstract World“ – im ME (Station 1) hängen die abstrakten Kunstwerke des Privatsammlers Olbricht nicht einfach an der Wand. Alte Teppiche der Eltern des Kunstkenners, der als Kind darauf fiktive – also abstrakte – Reisen unternahm, liegen herum. Dazu haben die Kuratoren Kunstbücher und Kataloge gestapelt oder verstreut. Ein Hauch der 1960er-Jahre liegt in der Luft. Unterschiedliche Klänge sind zu hören – die Musik, welche die Künstler beim Malen ihrer Bilder hörten. Diese Schau soll nicht nur betrachtet, sondern „als sinnliches Gesamtkunstwerk“ erlebt werden (siehe Foto oben).

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„Mision Mischen 88“ (Station 2) im Kunsthaus KuLe. Nur einige Hundert Meter weiter lebt und arbeitet in einem einst besetzten Haus ein siebzehnköpfiges Künstlerkollektiv, das unkommerzielle Kunst und Musik schafft. Eine andere Welt. Eine Künstlerin erwacht gerade, sie hat sich im Projektraum einen kleinen Käfig gebaut, in dem sie während der ART WEEK leben wird. Sie lebt in ihrer Parallelwelt, will vielleicht darauf aufmerksam machen, dass wir alle unseren Käfig mit uns herumschleppen. Aber man kann auch an eingesperrte oder isolierte Menschen denken, an Flüchtlinge, an Alte, an Behinderte. Neben der lebenden Installation steht eine weitere Performerin mit einem Brett vor dem Kopf. Die Gruppe hat auch den Deutschen Genozid in Namibia zu Beginn des 20. Jahrhunderts erforscht und in Aktionen vermittelt. Darauf verweist eine riesige Bilderplane über dem Eingang.Am legendären, jetzt völlig geräumten und zum Teil abgerissenen Kunsthaus „Tacheles“ und zahlreichen, morgens früh noch geschlossenen Galerien, geht es weiter zu Fuß durch Mitte.

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