Steven Spielberg: Sein persönlichster Film…

Jeder Film ist eine Fiktion, selbst wenn er auf wahren Begebenheiten beruht: Auch der neue Film Steven Spielbergs „Die Fabelmans“, ist zwar durch seine frühe Lebensgeschichte inspiriert, aber er hat sie kreativ umgestaltet und dramatisiert. Per se changiert die Story also zwischen Fiktion und Wirklichkeit.

Man muss kein Liebhaber des wohl erfolgsreichsten Regisseurs und Produzenten der Kinogeschichte sein, um den Film anzusehen – im Gegenteil! Wenn man Spielberg bisher eher kritisch gegenüberstand, wie der Verfasser dieser Zeilen, nimmt einen „Die Fabelmans“ (ein fiktiver Name) für den Filmemacher ein. Der Streifen beginnt mit dem ersten Kinoerlebnis des sechsjährigen Sammy, den seine Eltern mit ins Kino nehmen wollen, obwohl der Kleine etwas ängstlich ist. „Filme sind doch Träume“, meint seine Mutter beruhigend, aber „Träume sind unheimlich“, erwidert der bockige Junge. 

Die Familie sieht Cecil DeMilles „Die größte Schau der Welt“, in dem ein Auto mit einem Zug zusammenstößt und zwei Züge aufeinanderprallen. Diese Szene lässt Sammy nicht los, immer wieder spielt er sie mit seiner Modelleinbahn nach. Bis seine Mutter auf die Idee kommt, ihm die Super-8-Kamera des Vaters zu geben: „Dann muss der Unfall nicht immer wieder aufs Neue passieren!“ So lässt es der kleine Fabelman nur noch einmal für die Kamera krachen und kann dann den Schreck der garstigen Szene im Kino bewältigen. In Wirklichkeit hat Spielberg dieses Erlebnis erst einige Jahre später gehabt, als er den Streifen heimlich sah. Aber bedeutet diese Verschiebung irgendetwas für diesen Spielfilm? Natürlich nicht, denn authentisch ist, dass am Beginn seiner gigantischen Karriere diese Episode stand.

Die weitere Entwicklung ist schnell erzählt: Sammy ist fasziniert von den Möglichkeiten der filmischen Aufzeichnung und gibt die Kamera nicht mehr aus der Hand. Er hält dokumentarisch die zahlreichen Umzüge der Familie fest, zufällig auch vertrauliche Ereignisse mit dramatischen Hintergründen (die hier nicht verraten werden). Die kleinen Geschwister werden zu Mumien, wenn er sie in Klopapier einwickelt. Später müssen seine Pfadfinder als Cowboys oder Soldaten herhalten, schließlich sogar seine aggressiven antisemitischen Mitschüler. Sammys erste Liebesgeschichte als kleiner Judenjunge mit einer superfrommen Katholikin ist von hinreißender Komik, wie auch andere Begegnungen.

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Roman zum 150. Geburtstag des Künstlers Louis Soutter

In „Schattentanz“, seinem neuen Roman, schreibt sich Lukas Hartmann einfühlsam in den exzentrischen Schweizer Maler Louis Soutter (1871 – 1942) hinein:

Er tauchte seinen Zeigefinger ins Tuschfässchen, schüttelte ihn leicht, um ihn abtropfen zu lassen, dann zog er mit ihm eine Linie übers Blatt vor sich, eine zweite, ließ eine gehende Figur entstehen; so folgten der ganze Arm mit Hand und Fingern weit besser seinen Absichten, als er es mit einem Stift oder Pinsel vermochte...“ 

An diesem Tag trat der entmündigte und meist im Heim eingeschlossene Schweizer Künstler in eine neue Schaffensperiode ein. Hartmann schreibt weiter: „Was er nun, in fiebriger Konzentration, Tag für Tag erschuf, waren Menschen, Nackte, erkennbar an ihren Silhouetten als Mann oder Frau, Menschen mit überlangen Armen und Händen, deren Finger sich spreizten, mit aufgerissenen Mündern, mit fliegenden Haaren. Tanzten sie? Verfolgten sie einander begehrend oder im Zorn?

Der Autor folgt in seinem Roman den verschlungenen Lebenswegen des Malers, dessen Schattenbilder – mit Titeln wie „Echo der Verzweiflung“ oder „Sonne der Angst“ – erst viele Jahre nach seinem Tod bekannt wurden. Zunächst erzählt Hartmann von Soutters Studium der Musik, dann der Kunst, als er schon ein leidlich erfolgreicher Violinist war. Dabei stellt der Schriftsteller Soutters Leben im Schatten der übermächtigen Mutter dar, die ihn unaufhörlich zu Erfolgen drängt. Wir begegnen der geliebten  Schwester Jeanette, nehmen schließlich an der überaus wilden aber scheiternden Liebe zur Sängerin Madge teil, mit der er in die USA ging. 

Jahre später kehrte er allein und desillusioniert nach Europa zurück. Hier brachten ihn seine Großmannssucht und hemmungslose Verschuldung aufgrund seines aufwendigen Lebensstils, in heftige Konflikte mit der Familie, die ihn schließlich entmündigen ließ. Sein sozialer Abstieg endete mit 52 Jahren im Asylheim in Ballaigues (Jura), wo er sich fast zwei Jahrzehnte lang wie besessen der Kunst widmete. Erstaunlicherweise kümmerte sich Soutters Großcousin, der erfolgreiche Architekt Le Corbusier, gelegentlich um den Maler und organsierte einige kleine Ausstellungen für ihn.

Der Baumeister sympathisierte zeitweilig mit den Faschisten, um seine moderne Architektur für den neuen Menschen realisieren zu können. Darüber entzweite er sich mit Soutter, der durch tägliche Zeitungslektüre den kommenden Krieg erahnte und in seinen Bildern düster aufscheinen ließ. „Sag doch, dass dich diese Bilder beunruhigen“, lässt Hartmann ihn zu Le Corbusier sagen.

„Schattentanz“ ist keine Biografie, sondern eine fiktive, sensible und zugleich spannende Erzählung.

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Die 71. Berlinale im Home Office (2)

Fast zwei Jahrzehnte lang hat Dieter Kosslick (72) erfolgreich die Berliner Filmfestspiele geleitet und erweitert. Jetzt zur 71. Berlinale – die wegen Corona extrem verändert und gesplittet wird – erscheinen seine Memoiren „Immer auf dem Teppich bleiben.“

Bis zu 350.000 Leute besuchten bis zum Ende seiner Ära 2019 jährlich die Festspiele. Doch der charismatische Leiter machte die Berlinale nicht nur zum größten Publikumsfestival der Welt. Sondern er verband die distanzierte europäische Filmindustrie (EFM) mit der Berlinale, holte den deutschen Film zurück, knüpfte weltweite Kooperationen und förderte die Begegnungen des cineastischen Nachwuchses mit arrivierten Filmschaffenden. Aus diesen, von ihm neu entwickelten Bereichen entstand jetzt die erste Stufe der diesjährigen Corona-Berlinale, das Industry Event. Vor allem für zehntausende von Fachbesuchern und jungen Filmschaffenden war dieser Zweig des Festivals – unbeachtet von Öffentlichkeit und Medien – bisher Mittelpunkt der Festspiele.

Der Kinoliebhaber Kosslick wollte nicht nur eine bessere Welt auf der Leinwand sehen, sondern engagierte sich – auch innerhalb der Berlinale – für Frauenrechte und weibliche Gleichstellung, gegen Rassismus, für Flüchtlinge und nachhaltige ökologische Veränderungen. Das waren keine aufgesetzten Attitüden, sondern im ersten Teil seiner Erzählungen macht er deutlich, welche Themen ihn schon früh bewegten. Etwa in den späten 1970er-Jahren schrieb er in der linken „konkret“ über das Bienensterben oder Essen und Trinken ohne Gift und chemische Zusätze. 

Von den Genossen hieß es, das sei doch allenfalls ein Nebenwiderspruch: Ein Grund für ihn, den Journalismus aufzugeben und die Hamburger Filmförderung, später dann das neue Büro der Filmschaffenden zu managen. Den gut einhundert Gründern, die seinen Lieblingsstreifen wissen wollten, nannte er „Ben Hur“: „Es wäre kontraproduktiv gewesen, einen Film aus der Reihe der Anwesenden zu nennen“, schreibt er. Dieser gigantische Hollywood-Streifen hatte ihn als Elfjährigen zum lebenslangen Kinofan erweckt. 

Kosslick lernte deutsche und europäische Filmschaffende kennen, widmete sich der Filmförderung und der Zusammenarbeit mit dem Fernsehen, was allerlei Leute überraschte. Schließlich wurde er zum Chef der nordrheinwestfälischen Filmproduktion berufen. Nach zehn Jahren in diesem Gremium machte er sich im Jahr 2001 – bestens informiert und vernetzt – auf zur Leitung der Berlinale, die er seit zwanzig Jahren regelmäßig besuchte. „Das schien kein begehrenswerter Job zu sein“, wusste er bereits, dennoch brauchte er lange um zu begreifen, dass „ehrverletzende Beleidigungen einer Handvoll Fachjournalist*innen mehr zur persönlichen Profilierung dienten und weniger die Filme betrafen.“

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Wer kennt noch Suzi Q.

„Suzi Quatro? Junge Leute kennen die gar nicht mehr“, heißt es im Dokumentarfilm „Suzi Q.“ Der läuft jetzt, nach dem 70. Geburtstag der Entertainerin, in einigen wiedereröffneten Kinos. Ob sie wie geplant im November nach Deutschland kommt, ist – bedingt durch Corona – fraglich.

Ein kräftiges Schlagzeug, dann der von Suzi hart gespielte, vorantreibende Bass, schließlich schreit sie mit hoher Stimme: „Can the Can“. Mitte der 1970er-Jahre hatte die Bassistin und Sängerin mit diesem Hit ihren internationalen Durchbruch und danach viel Erfolg in Europa, Australien und Japan. Der Titel hieß ungefähr so viel wie „Mach den Deckel drauf“ – oder frei interpretiert: „Lass alles hinter Dir.“ Das war die Lebenssituation der jungen Amerikanerin, nachdem sie ihre Band und die Familie in ihrer Heimatstadt Detroit verließ und nach London kam: „Ich war einsam, alleine und frustriert“, erinnert sie sich.

Ihre Familie war sehr musikalisch, nach der legendären Beatles-Tour durch die USA (1964) begann die Vierzehnjährige Bass zu spielen und gründete mit ihren Schwestern eine der ersten Mädchen-Bands. Als „Pleasure Seekers“ gingen die Teenies auf Tournee, waren aber eher eine Showtruppe. Später, als rockigere Band „Cradle“, arbeiteten sie sogar im legendären Motown-Studio, doch der britische Produzent Mickie Most wollte nur Suzi promoten. Sie folgte ihm nach London und ließ ihre Schwestern zurück, ein „Verrat“, den die ihr nie verziehen und noch 50 Jahre später im Film bejammern.

In der britischen Metropole bewegte sich Suzi an den Rändern des Glamrocks, mit dem Roxy Music oder David Bowie die Rockszene prägten. In ihren Lederklamotten a la Barbarella (siehe Foto oben) bediente sie nicht die für diese Musikwelle typisch androgyne Ästhetik: „Alle Typen hatten mehr Make-up drauf als ich“, meint sie lachend dazu, doch sie gab auch nicht die Rockerbraut. Ihre fetzigen Songs waren durchaus so artifiziell wie die der glamourösen Musiker. Weiterlesen

Woody Allens Biografie: „Ganz nebenbei“

Woody Allens Autobiografie „Ganz nebenbei“ beginnt so, wie er manchmal im „Stadtneurotiker“ aus dem Film tritt, sich direkt an das Publikum wendet und munter draufloswitzelt: Schnodderig, assoziativ und bildhaft wie im Kino lässt er uns an seinem Leben teilnehmen. Seine Eltern „passten zusammen wie Hannah Arendt und ein Gangsterboss“, schreibt er. „Sie waren uneins über alles außer Hitler und meine Schulzeugnisse. Aber trotz aller Wortgemetzel blieben sie siebzig Jahre verheiratet – um den anderen zu ärgern vermute ich.“

In seiner „Autobiografie eines misanthropischen, ungebildeten Gangster-Fans, eines kulturlosen Eigenbrötlers“ erzählt er, wie seine ältere Cousine Rita ihn bereits mit fünf Jahren ins Kino schleppte und er alles sah, was Hollywood hervorbrachte: „Man kauft eine Karte, tritt ein, und plötzlich sind Sonne und Hitze verschwunden, man befindet sich in einer Parallelwelt.“ Später changieren viele seiner Filme ebenfalls zwischen Traum und Realität („den Klauen meiner Erzfeindin der Wirklichkeit“). Weitere Träume weckte auch ein Ausflug mit dem Vater rüber nach Manhattan. Oft schwänzte er danach die Schule, um seinen „antisemitischen Lehrerinnen“ zu entkommen. Er trieb sich am Broadway herum, sah „Champagner-Komödien“ im Kino oder erlebte Zauberer und Comedians: „Zurück in Brooklyn, träumte ich von einem Leben in der Stadt jenseits des Flusses.“

Diese Fantasie erfüllte er sich, als er mit dem Schreiben von Gags und Witzen für bekannte Komiker im Laufe der Zeit richtig viel Geld verdiente. Wir lesen von seinen folgenden, zunächst nicht so berauschenden Bühnenauftritten, dann wie sein erstes Drehbuch für „Was gibt’s Neues, Pussy“ vermasselt wurde. Später verfolgen wir seine aufregende Entwicklung zum erfolgreichen Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler, die keineswegs immer gradlinig verlief und von ihm mit zahlreichen Abschweifungen erzählt wird: Komisch, selbstkritisch und fast immer sehr unterhaltsam. Weiterlesen