Nicht nur Baden, Wandern oder Bergsteigen: Zeitgenössische Kunst auf Teneriffa

Teil 1 Santa Cruz

Fast ganz Europa war ein Risikogebiet, als wir im November nach Teneriffa kamen, jedoch die Kanarischen Inseln gehörten damals noch nicht dazu. Wir wollten nicht nur Cabra und Conejo, Ziegen und Kaninchen essen, die Sonne genießen und in Teresitas baden – sondern vor allem moderne und zeitgenössische Kunst entdecken.

Zweimal verlängerten wir unsere Kunstreise auf insgesamt sechs Wochen. Unterstützt wurden wir bei unseren Entdeckungen vom spanischen Fremdenverkehrsamt und dem Kulturgarten Mariposa. Zwölf Tage lang lebten wir zunächst direkt am Meer in einem kleinen Apartment, von dem aus wir mit dem Leihauto auf abenteuerlichen Serpentinen über die Berge nach Santa Cruz fahren konnten.

Wenn man vom Süden über die Autobahn in die Hauptstadt Teneriffas kommt, fährt man zunächst an der alten Raffinerieanlage mit zum Teil kräftig bemalten Öltanks vorbei. Rechts zum Atlantik hin liegt etwas weiter das gewaltige futuristische Gebilde AUDITORIO mit einem gigantischen Betonbogen darüber (Foto oben), was einen wirklich zum Staunen bringt. Während der moderne Bau drei Kongress- bzw. Konzertsäle beherbergt, ist der mächtige Bogen völlig funktionslos: Er ist einfach nur kühn, spannend und fantasieanregend: wie eine große Welle, die vom Ozean in die Stadt schwappt, oder wie eine gewundene Brücke, die Stadt und Atlantik verbindet, oder wie ein riesiger Vogelschnabel.
Hier glaubt man, dass die Architektur früher als Königin der Künste galt.

Die Oberflächen des Gebäudes sind mit Millionen von weißen Kachelbruchstücken versehen, eine Hommage an die Mosaikkunst des katalanischen Baumeisters Antoni Gaudí. Per se ist dieses Werk des international arbeitenden Architekten Santiago Calatrava ein Ruheort. Als Tempel der Künste schirmt er die Besucher*innen von dem nahen Hafen, den Autostraßen und dem neuen Hochhausviertel ab. In unmittelbarer Nachbarschaft liegt die von Caesar Manrique gestaltete Badelandschaft Parque Maritimo.

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Lesung von Volker März in seiner unordentlich angeordneten Kunst

Am letzten Sonntag trug der Künstler kritisch-skurrile Erzählungen inmitten seiner Figuren, Bilder und Installationen vor. Wie in vielen  Texte wählte er dazu die Befragungen eines Menschen im Schlamm durch einen Außenstehenden: Was siehst Du? In der folgenden, vollständig veröffentlichten Befragung, macht März die Kunststation und die eigene Lesung zum Thema.

Lesung und Lösung (c) Volker März

– Was siehst du heute Abend in deinem Schlamm!
Ich sehe und höre eine Lesung in einem Gebäude In dem kreuz und quer sehr unordentlich angeordnete Kunst rumsteht und rumhängt. Das Licht ist gedämpft. Ein einzelner Mensch Menschen versucht mit Worten an einem besonderen Ort, das trotz Pandemie wohl erhaltene Publikum zu erreichen. Das Haus ist eine Art KUNSTSTATION – so nennt es sich – es liegt an einem Hang mit viel Grün außen herum.“

– Sind wieder einmal nur Frauen anwesend bei der Lesung?!
Nein, ich sehe auch Männer die leicht vor sich hin dösen.

– Was ist der Inhalt der Lesung? Warum bist du vor Ort?!
Es geht um unsere Rundumwahrheiten, um mich und mein Leben im Schlamm. Es geht um deine Fragen und unsere Antworten und warum …

– Halt! Das kann nicht sein! woher wissen die Leute das? Lesen sie aus einem Buch?!

Nein, der Sprecher, der uns vertritt, hat lose Blätter aus denen er vorträgt und die er nach und nach fallen lässt.

– Woher kennt der Lesende unsere Geschichten!
Es hat sich herumgesprochen – die Zeiten haben sich geändert. Weiterlesen

Erneuerung der Artothek in der Kunststation Kleinsassen

Die „Corona-Pause“ nutzte die Kleinsassener Kunststation, um ihre in die Jahre gekommene Artothek zu erneuern und zeitgemäß zu organisieren. Bereits kurz vor der vorübergehenden Schließung bewilligte das Land Hessen dafür eine beträchtliche finanzielle Zuwendung.

Eine Zeitlang wurde das Café des Ausstellungshauses zu einem provisorischen Studio umfunktioniert, in dem Fotograf Dr. Arnulf Müller sämtliche Kunstwerke der Artothek ablichtet. Über 1300 Gemälde und allerlei Skulpturen waren zu fotografierten. Bei den Vorbereitungen wurden auch ältere Arbeiten von Johannes Grützke und Willi Sitte „ausgegraben“, erzählt Kuratorin Elisabeth Heil lächelnd, „sogar ein Dalí ist dabei.“ Aber es werden ebenfalls aktuelle Arbeiten verliehen, etwa kritische Fotokunst von Mojgan Razzaghi, der flatternde Holzvogel von Thomas Putze oder das riesige Schattenbild Susanne Bockelmanns.

Die Station versteht sich seit jeher als Förderin der Kunstschaffenden, die für ihre Expositionen kein Honorar bekommen. Stattdessen werden Artefakte angekauft, manchmal auch in Kommission genommen. „Die gezeigten Arbeiten sind meist verkäuflich, aber dieser kommerzielle Aspekt steht nicht im Vordergrund“, erklärt die Leiterin der Station Monika Ebertowski: „Wir sind den staatlichen Museen gleichgestellt, auch wenn wir keine Kunstwerke sammeln. Alle Objekte der Artothek sind von Künstlerinnen und Künstlern, die hier ausgestellt haben, sie spiegeln die Geschichte des Hauses.“ Bis zu drei Jahren kann man sie ausleihen, die jährlichen Kosten betragen 5% des Kaupreises, mindestens 36 Euro, für Kommissionsarbeiten 10%. Bei einem eventuellen späteren Kauf wird die Leihgebühr angerechnet, doch die Artefakte sind auch sofort käuflich. Größere Stücke sind manchmal zu teuer für den Erwerb durch die Station, dann wird mit den Kunstschaffenden über kleinere Werke verhandelt.

Die Fotoarbeiten sind Teil der Erneuerung der 1997 gegründeten Artothek, bisher konnte man lediglich eine unvollständige, bilderlose Übersicht der in Schieberegalen untergebrachten Bilder an der Kasse in einem PC sehen. In Zukunft kann das Publikum in einem PC auf einem Stehpult in den modernisierten Räumen sämtliche Arbeiten vorab betrachten. „Eine Präsentation im Internet stößt derweil noch auf riesige Schwierigkeiten“, erklärt Ebertowski, „denn wenn man ein Kunstwerk erworben hat, besitzt man noch lange nicht dessen Bildrechte.Weiterlesen

„Hünfeld + 100“ im Museum Modern Art in Hünfeld (Kunstherbst in Ost-Hessen 3)

In seiner Ausstellung „Hünfeld + 100)  präsentiert das Museum Modern Art (MMA) in Hünfeld seit Juli 2016 herausragende Künstlerinnen und Künstler der Region. Zur „Halbzeit“ am Wochenende wurde der Publikumspreis an Maler Nikolai Lagoida vergeben. Die drei Auszeichnungen des MMA gingen an Malerin Bat-Amagan Orsoo, Bildhauer Karl F. Hofeditz und Grafiker Norbert Grimm.

Auf der Galerie im alten Gaswerk hängen drei riesige Bilder der Malerin Bat-Amagan Orsoo (39), die derzeit durch Indien reist. Auf einem Gemälde sind zwei Frauen von seltsamen Schriftzeichen umgeben, auf dem zweiten sieht man nur noch Augen, das dritte ist fast völlig gelb übermalt. Die Arbeiten sind figürlich, abstrakt und symbolisch zugleich, viele Teile der Bilder sind verwischt oder mit farbigen Zeichen versehen (siehe Foto oben).

Eine Besucherin ist fassungslos, weil aus einem Auge zwei Tränen rinnen. Doch dieser vermeintliche Kitsch wird schnell aufgelöst, als Museumsleiter Günter Liebau die Tableaus erläutert. Die Künstlerin widme sich der Darstellung menschlicher Figuren in ihren kulturellen, religiösen und sozialen Zusammenhängen. Guatemala werde von Mafia-Banden terrorisiert, Mörder ließen sich für jedes ihrer Opfer eine Träne tätowieren. Orsoo malt Bilder mit ersten Eindrücken nach ihren ausgedehnten Reisen, die sie später weiterbearbeitet.

Ihre Werke lassen genügend Raum für eigene Fantasien der Betrachter… Weiterlesen

„Gut zu wissen, dass es Kunst ist…“ Anne Imhof präsentiert in Berlin „Angst II“ (1. Versuch)

Eine Besprechung – fragmentarisch und assoziativ wie Anne Imhofs „Angst II“

Auf den Plakatwänden zur alljährlichen ART WEEK, die in Berlin mit zahllosen Ausstellungen und performativen Darbietungen den Kunstherbst eröffnet, prangt auch groß der Name Anne Imhof. Die in Hessen geborene und lebende, aber mittlerweile weltweit agierende Künstlerin, inszeniert im Hamburger Bahnhof „Angst II“. Ihre eigentlich nicht zu klassifizierende, vierstündige Performance-Oper, so die Kuratorin im Pressegespräch, widmet sich der Angst, dem beherrschenden Thema unserer Zeit. Die zahlreichen Zuschauer und ich erwarten nun eine Darbietung in wagnerianischen Dimensionen. Immerhin sind zwanzig junge Schauspieler und Performer, eine Seiltänzerin, zwei Falknerinnen mit ihren Greifvögeln und eine Handvoll Dokumentaristen angekündigt.IMG_4565.jpgWährend sich die leer geräumte, riesige Wartehalle des ehemaligen Bahnhofs mit Nebel füllt, fläzen sich betont cool und lässig eine Menge junger Leute auf großen Podesten links und rechts der Treppe zum Saal. Decken, Schlafsäcke, verstreute Klamotten und Essensreste suggerieren, hier wird Tag und Nacht für die Kunst gelebt. Seltsame Klänge und Geräusche füllen den dunstigen Raum. Mutige Zuschauer verschwinden bereits im Nebelschleier, nach und nach kommen auch Akteure dazu.
Mit bizarren Bewegungen begegnen sie sich, kreieren mit schemenhaften lebenden Bildern ihre eigene Realität, obwohl sie sich ansonsten nicht von Zuschauern unterscheiden. Manche tun auch gar nichts, das fördert die Vermischung. Wir Beobachter werden sowieso Material und Teil der entstehenden Tableaus, die langsam aufscheinen und ebenso langsam wieder verschwinden. Sehr viel Zeit vergeht dabei, alle Veränderungen geschehen unendlich langsam.  Obwohl die Ereignisse chaotisch, beliebig und zufällig wirken, sind sie größtenteils von der Choreografin oder von ihr nach gemeinsamen Diskussionen mit den Akteuren festgelegt. Aber es gibt wohl auch Raum für spontane Aktionen. Imhof versteht sich als Malerin, die mit ihren Leuten, dem Publikum und wenigen Requisiten im Raum „Bilder malt“.

Beim Suchen der Toilette komme ich mit der Garderobiere ins Gespräch. Sie entpuppt sich als Kunstkennerin („Hier lernt man viel bei der Arbeit!“) und ist ganz traurig, weil an ihrem Arbeitsplatz nur die Musik zu hören ist…

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„Mach Dich hübsch“

Zur Retrospektive Isa Genzkens im Berliner Gropius-Bau

Jetzt im Frühling quillt der Gropius-Bau mit Ausstellungen geradezu über: Die Bandbreite reicht von der „Kunst der Vorzeit“ über die „Sprache der Schönheit“ der Maya-Kultur bis zu Fotografen und Aktionskünstlern der Moderne. Nun gesellt sich dazu noch die derzeit im Ausland bekannteste deutsche Künstlerin Isa Genzken (* 1948) mit einer großen Retrospektive.

Im riesigen Lichthof des Ausstellungshauses scheinen meterlange flache oder röhrenartige, kräftig bemalte Objekten aus Holz über dem Boden zu schweben. Die gut vier Jahrzehnte alten „Ellipsoiden“ und „Hyperbolos“ Genzkens haben nur minimale Auflagepunkte und bilden einen rätselhaften aber spannenden Kontrast zum neoklassizistischen Umfeld. Es mag sein, dass sich das Gebäude mit diesen völlig abstrakten Gebilden aufhübscht, denn der Untertitel dieser Schau fordert: „Mach Dich hübsch!“ An einem Ende des Hofes steht die hübsche Bronzeskulptur eines nackten Jünglings mit Kopfhörern, an den Seitenwänden hängen riesige Porträts von hübschen Ohren (1980) mit und ohne Schmuck.

„Ich wollte schon immer den Mut haben, total verrückte, unmögliche und auch falsche Dinge zu tun.“
(Isa Genzken 1994)

Doch die bisher größte Berliner Einzelausstellung Genzkens ist ansonsten eher sperrig und herausfordernd – sie erschließt sich nicht ohne weiteres den Besuchern und erfordert ihre Mitarbeit. Einfach zu begreifen sind ihre „Schauspieler“ (ab 2013) und „Nofreteten“ (2014), denen man in der ersten Halle neben dem Lichthof und später in weiteren Sälen begegnet: Weiterlesen

„Drei Männer rücken die Frauen ins Bild“ – Newton, Horvat und Brodziak im Berliner Museum für Fotografie

Das Berliner Museum für Fotografie beherbergt die Stiftung des 2003 gestorbenen Fotografen Helmut Newton. Wie schon oft präsentiert das Haus bisher ungezeigte Arbeiten Newtons mit Fotografien von Kollegen, diesmal mit dem jungen Szymon Brodziak (39) und dem wesentlich älteren Frank Horvat (87).

Man meint den Staub der Archive zu riechen, in denen eine attraktive junge Frau noch nicht verstaubt oder in den Aktenordnern verschwunden ist. Drei kleine, unscheinbare S/W-Fotografien führen in die geheimnisvolle Welt Brodziaks ein, die Frau gehört irgendwie nicht zum Ort, an dem sie abgelichtet wurde. Die wesentlich größeren S/W-Arbeiten in der Ausstellung widmen sich noch intensiver dieser Idee – eine Frau schwebt spektakulär in einer Baggerschaufel vor dem Himmel, andere verschwinden scheinbar in Landschaften oder Felsen, einer weht der Rock über den Kopf und sie wird zur Blume. Der polnische Mode- und Kunstfotograf macht das Alltägliche unwirklich, manchmal geradezu surrealistisch.

Die behutsamen und doch sinnlichen Frauenportraits Brodziaks hängen in der Nachbarschaft Newtons, eines Fotografen, dessen gesamtes Werk oft – zu unrecht – als sexistisch abgetan wurde. Natürlich fehlen nicht die erotisch aufgeladenen Bilder von Frauen, die sich nehmen was sie wollen: Die nackte Grace Jones schaut verächtlich, mit einem die Männer vereisenden Blick in die Kamera, während sie sich ein männliches Model krallt. Weiterlesen