Gute Geister, böse Kappas…

Fremdartige Wesen in alten japanischen Überlieferungen – Gewalt, Sex und Träume
Zum Buch „Geschichten aus Tono“ des Steinauer Grimm-Hauses (2)

Viele „Geschichten aus Tono“ sind thematisch, vor allem aber in der Art des Erzählens den Grimms Märchen sehr ähnlich. Allerdings wird auch von Erlebnissen mit äußerst fremdartigen Wesen berichtet.

„Böse alte Affen sind wie Menschen. Sie haben Sehnsucht nach Weibchen und entführen Frauen in den Dörfern. Sie bedecken ihr Fell mit Kiefernharz und streuen Sand darauf…“ Im alten Japan wurden nicht nur Affen den Menschen gefährlich, sondern wie in unseren heimischen Märchen auch Wölfe, Bären oder Hirsche.

Lebende begegnen längst Verstorbenen: „Als sich das Mädchen zu ihm wandte, merkte er, dass es die Tochter seines Herrn war, die vor zwei oder drei Jahren gestorben war.“ Oder Fukuji traf seine tote Ehefrau, die zu ihm sagte: „Ich bin nun mit diesem Mann verheiratet… Er merkte gar nicht, dass eine Tote zu ihm sprach.“

Gute Geister belohnen ihre Helfer, allzu gierige Personen verlieren jedoch geschenkte Fähigkeiten, beispielsweise mit einem Zaubermörser Reis in Gold zu verwandeln. Füchse nehmen Menschengestalt an, um Leute zu narren oder Menschen verwandeln sich in Vögel, wenn ihnen allzu großes Leid widerfährt. Manche Wanderer können mit riesigen Steinen in den Lüften schweben. Ebenso wie in den Grimmschen Märchen geschehen in den Erzählungen aus Tono auch brutale und sexualisierte Dinge: „Die Tochter liebte das Pferd und ging oft in den Stall, um dort zu schlafen. Sie und das Pferd wurden schließlich Mann und Frau.“ Da erschlug ihr Vater das Tier.

Diese Volksgeschichten sind wie Träume – denn Raum und Zeit werden aufgehoben, Verwandlungen und Zaubereien geschehen. Die Geschichten haben ihre eigene Wirklichkeit, in der Logik und Kausalität keine Rolle spielen. Viele der japanischen Märchenfiguren und ihre Erlebnisse entsprechen den europäischen: „Es ist erstaunlich, wie viele Ähnlichkeiten die Märchen aus den unterschiedlichen Regionen aufweisen“, meint Kling. Jedoch lernen wir Europäer auch völlig fremde Geisterwesen mit sehr eigenartigen Verhaltensweisen kennen.

Die bedeutsamsten exotischen Geschöpfe waren die Kappas, bösen Unfug treibende Wasserkobolde, von denen einst in ganz Japan erzählt wurde. Von ihrer Größe her glichen sie älteren Kindern mit geschuppter Haut und Affenfüßen. Diese nach Fisch stinkenden Wassergeister hatten auch Eigenschaften von Schildkröten, Ottern oder sogar von Makakenaffen. Kamen Nutztiere wie Kühe oder Pferde den von Kappas bewohnten Gewässern zu nahe, wurden sie von ihnen hinein gezogen und ihr Blut ausgesaugt.

Kappa-Männchen liebten es, sich unter geheimnisvollen Umständen mit Menschenfrauen zu paaren. Aus diesen Verbindungen hervorgehende „Kappa-Kinder waren sonderbar und wurden direkt nach der Geburt getötet, kleingehackt, in kleine Weinfässer gesteckt und in der Erde vergraben“, heißt es.

Im 20. Jahrhundert erlebten die Kappas ihre Wiedergeburt in Japans moderner, technisierter und entzauberter Welt als freundliche Wesen, die für sauberes Wasser, Umweltbewusstsein und das natürliche Dorfleben standen. Was einst den mächtigen undurchschaubaren Bedrohungen der Natur eine Fabelgestalt gab, wurde ab den 1950er-Jahren zur niedlichen Comicfigur. Später wurden sie als Nippesfiguren und Verzierungen von Gebrauchsgegenständen weiter trivialisiert. Seit 2002, der Fußballweltmeisterschaft in Japan, kennen wir die domestizierten Kappas sogar als japanisches Nationalsymbol.

Zeitgenössischer Farbholzschnitt:
Mitte des 19. Jahrhunderts versuchten japanische Forscher die unterschiedlichen Erzählungen über Kappas darzustellen