Hannah Wölfel & Hanswerner Kruse im Gespräch mit Jan Josef Liefers über seine Rolle in „So viel Zeit“
Der 54-jährige, in Dresden geborene Schauspieler gibt nicht nur seit 2002 den arroganten Gerichtsmediziner Boerneim beliebtesten deutschen „Tatort“ aus Münster. Liefers hat auch viel am Theater gearbeitet und in erfolgreichen Filmen – von „Knockin’ on Heaven’s Door“ über „Der Turm“ bis zu „Das Pubertier“ – mitgewirkt. Seit 2006 geht er mit seiner soft-rockigen Band „Radio Doria“ regelmäßig auf Tournee.
Das Gespräch im Berliner Hotel macht deutlich, dass ihn soziale und politische Themen stark interessieren, auf die er immer wieder zu sprechen kommt. Seinen neuen Film hat er am Vorabend mit anderen Mitwirkenden in Köln vorgestellt.
Bisher haben Sie nur den Rohschnitt des Films auf dem Smartphone gesehen, was sagen Sie jetzt nach der Premiere:
„Gemessen an den Filmen, die heute großim Kino laufen, fällt dieser fast aus der Zeit. Er erzählt eine Geschichte, diein den 1980er-Jahren begann und heute ihren Kreis schließt. Eswar mutig und richtig von Regisseur Philipp Kadelbach, auf krasse‚Schnitt-Gewitter’ und sonstige aktuell angesagte Effekthaschereienzu verzichten. Durch diesen unspektakulären, dafür sehr emotionalen Blick auf die Figuren entwickeltder Film seine große Kraft.
Er hätte ihn auch aufpeppen können?
Na klar, aber er hat dem widerstanden. Es gingihm um die Geschichte, um die Menschen. Ich habe lange nicht erlebt, dass Leute im Kino sogar weinen -wie gestern Abendbei der Premiere, weil da im Film diese fünf Typen ihre Gefühle zeigen. Die großenEmotionen im Kino haben ja sonst eher die Frauenfigurengepachtet.
Was macht ihn so faszinierend?
Zunächst geht es um die Kraft der Musik, sie ist das Zentrum des Films. Dann geht es um die Kraft derFreundschaft. Undquasi als Unterströmung stellt sichdie Frage, was machen wir eigentlichmit unserer Lebenszeit? Kümmern wir uns um die Dinge, die uns interessieren, die wirklich wichtig sind? Jetzt bei der Filmarbeit mit Jürgen Vogel, Armin Rhode, Richie Müller, Matthias Bundschuhund den anderen, hatten wir jedenfallsviel Spaß, das war Lebenszeit, die sich gelohnt hat.
Also keine Zeitverschwendung?
Zeitverschwendung ist ja auchmalwichtig, man kann nicht jede Sekunde seines Lebens behandeln wie ein Geldstück. Es liegt ja auch eine kreativeKraft im Verschwenderischen! Manchmal hat man einen tollen Abend, trinkt zu viel und schläft danach zu wenig – morgens wacht man mit einem Kater auf und fühlt dennoch, es war ein schöner Abend, der glücklich macht. Oder einen auf eine Idee gebracht hat. Lebenszeit kann man nichtnurmit reinem Effizienzdenken bewerten. Es gibt Zeit, die man sinnvoll verbringen muss, aber es gibt auch Zeit, die man vergeuden darf.Es kommtmal wiederauf die Balance an.
Was bedeutet Musikmachen für Sie im Vergleich zum Schauspielern?
Als Schauspieler leiheich jemandem meinen Körper, der nichtichbin. Einer Rolle eben.Mit dem, was ich so zu bieten habe, versuche ich, ihm Leben einzuhauchen. Am Ende steht da eben in diesem Film so einer wie Raineraus „ So viel Zeit“. Ich spiele sein Leben durch, habeseine Probleme und sage seine Sätze. Schauspieler tunso,(macht mit Fingern Anführungsstriche) „als ob“es wirklich wahr wäre. Wir machen das mit ganzem Herzen und geben das Beste. So etwas funktioniert nicht beim Musikmachen. Das geht nur, wenn man sich nicht verstellt, sondern man selbst ist. Man hat keine Möglichkeit, etwaszu faken, denn das kriegen die Leute mit. Fremddarstellung versus Selbstdarstellung.
…War erst die Musik…
JA! Ich wollte Gitarrist werden, mit neun Jahren bekam ich eine Gitarre und wollte immer in einer Band spielen. Aber das war in der DDR für mich nicht möglich. Die Wege, die es gegeben hätte, zum Beispiel über die FDJ Singebewegung, die wollte ich nicht gehen. Mit 14, 15 wusste ich, dass ich eine Insel, eine Nische brauche, die wurde dann das Theater.
Der Film beschäftigt sich ja auch mit der Endlichkeit. Sie sagen, „Ich sterbe auch zum ersten Mal“ oder Jürgen Vogel sagt…
„Versuch mal,nicht zu sterben“,sagt er zu miroben auf der Halde, in luftiger Himmelsnähe.
Das ist komisch, aber hat Sie das Thema selber berührt…
Wen berührt der Tod nicht? Aber mein eigener Tod ängstigt mich nicht so, eher habe ich Angst, dass denenwas passiert, die ich liebe. Abstrakt gedacht hat der Tod durchaus auch etwas Belebendes. Es gibt viele Arten,mit dem Thema umzugehen.Und meineersten Hamster, die wir alle vorm Hausbeerdigt haben-das war traurigund gleichzeitig faszinierend.
Für unsere Krimikomödien beim Münster Tatort,in denenich den Forensiker spiele, habe ich viel Zeit in pathologischen und gerichtsmedizinischen Instituten verbracht. Da bekommt man den Tod in all seinen Formen ja ganz krass um die Ohren gehauen.Ich finde es sinnlos, dass wir im alltäglichen Leben alles ausblenden müssen, was uns daran erinnert, dass jeder nur so viel Zeit hat, wie er eben hat. Der Anblick vonKrankheit, Siechtum oder Tod wird uns möglichst erspart, damit wir immer weiter funktionierenund konsumieren,als gäbe es kein Ende. Das ist in anderen Kulturen anders und das war ja hier bei uns auch schon mal anders. Aber hey: „Wenn wir schon sterben, müssen wir eben leben, solange wir nicht tot sind.“ sagt Laura Tonke im Film zu uns. Recht hat sie!
Foto: Universum Film