Seit acht Jahren „Hamlet“ an der Berliner Schaubühne

Die Begeisterung der Schauspieler und des Publikums sind spürbar ungebrochen. Seit mehr als acht Jahren zeigt die Berliner Schaubühne Thomas Ostermeiers Version von Shakespeares Hamlet mit Lars Eidinger als irrsinnig werdendem Königsohn.

„Sein oder nicht sein, das ist hier die Frage…“

…heißt es gleich zu Beginn. Hamlet (Lars Eidinger) hockt am Rand und filmt selbst seinen sprechenden Mund, der groß verzerrt auf einem Perlenschleier erscheint. So, das ist nun gesagt, jetzt müssen die Leute nicht mehr auf diese legendären Worte warten. Mehrfach noch werden sie im Laufe des Abends wiederholt – einmal sogar im Hitler-Idiom. Viele Leute kennen diese Worte des Zauderns, obwohl sie nie Shakespeares Hamlet gesehen haben, sie existieren längst unabhängig von ihm.

Dann gibt der Vorhang die Bühne frei, sie ist mit Torfmull ausgelegt, eine Trauergesellschaft steht herum, ein Arbeiter sprüht Regen in die Luft. Die folgende Beerdigung des ermordeten Königs macht deutlich, wovon das Stück handelt und wie es gespielt werden wird: In einem grotesken Slapstick, der wohl in die Theatergeschichte eingehen wird, quält sich der Bestatter den Sarg zu versenken, der immer wieder aus der Grube herausflutscht: Der Geist des toten Königs, der noch mehrmals auf der Bühne erscheint, gibt einfach keine Ruhe. Im Hintergrund kommt an einer Tafel die Trauergesellschaft zusammen. Claudius (Urs Jucker), der Bruder des Ermordeten und Onkel Hamlets, befummelt dessen Witwe (Jenny König) und lechzt nach der Krone. Die Mutter singt kreischend „L’amour“, Hamlet liegt auf dem Grab, frisst Torfmull und sein Onkel, der mutmaßliche Königsmörder, fleht ihn an, endlich mit der kindischen Trauer aufzuhören.

Später vom Geist seines Vaters bedrängt, schwört Hamlet den Mörder finden und töten zu wollen. Um die Rache zu verschleiern spielt er den Irrsinnigen, doch mehr und mehr vermischen sich der verstellte Wahnsinn und seine zunehmende, wirkliche geistige Umnachtung Regisseur Ostermeier folgt Szene für Szene der Vorlage, die neu übersetzt wurde. Es wird viel ungereimte Alltagssprache gesprochen, bekannte Dialoge und Monologe bleiben dennoch erkennbar. Das Stück wurde nicht in die Moderne verlegt, die Männer tragen Anzüge, doch mal töten sie mit Maschinenpistolen, mal mit dem Degen. Die einzige Reminiszenz an den Zeitgeist ist die gelegentliche Geste des Bundestrainers, sich in die Hose zu fassen und an den Fingern zu riechen.

Als Schwerpunkt des Stücks wählte Ostermeier Irrsinn und Verstellung, völlig nebensächlich bleiben Kriege und Machtkämpfe. Konsequent schlüpft Ophelia auf der Bühne immer wieder aus der Hamlet-Mutter, der Geist des toten Vaters tauscht mit dem bösen Onkel… Nur sechs sich ständig (außer Eidinger) wandelnde Spielerinnen und Spieler zeigen das Schauspiel.

Drei Stunden lang ist in der Schaubühne grandioses Bildertheater zu erleben. Niemals stehen die Spieler einfach herum, sie sind immer in Bewegung, mal auf dem Boden, mal auf der Festtafel. Manchmal wird das Haus zur Riesendisco, in der das Publikum mitsingt und klatscht. Schräge Pantomimen und verrückte Slapsticks machen vor allem Hamlets Wahnsinn deutlich.

Wie bei Shakespeare vorgesehen, spielen die Mimen genüsslich Theater im Theater: „Licht an!“ ruft Eidinger, geht ins Publikum, besorgt Sitze für stehende Zuschauer und improvisiert bis er irgendwann wieder ruft: „Text!“ Dann wird der kriminal-komödiantische Teil der Vorlage, mit dem der Königsmörder entlarvt werden soll, zur homosexuellen Burleske (bei der Zuschauer immer gerne gehen).

Das wilde Schauspiel nutzt alle Möglichkeit des postdramatischen Theaters jenseits der bildungsbürgerlichen Sprechbühne. Alle Kampfszenen sind bis zur Farce übersteigert. „Der Rest ist Schweigen!“ heißt es nach drei intensiven Stunden, in denen die Inszenierung nie ins Vulgäre oder Banale abgleitet. Ostermeier, Eidinger und die anderen kennen ihren Shakespeare und lassen ihn, verdammt gut, wiederauferstehen.

Der Trailer…

Das Stück wird auch in der nächsten Spielzeit 2016 / 2017 wieder aufgenommen.

FOTO Lars Eidinger als irre werdender Hamlet © Schaubühne Carno Declair