Alice’s Adventures In Wonderland…

Eine großartige  und freie Interpretation der Schlüchterner Choreografin Monica Opsahl und ihrer Compagnie Artodance:

Choreografin und Kulturpreisträgerin Monica Opsahl hat mit ihrem Ensemble Artodance und Schülerinnen des Ballettsaals zwei Versionen des Buches „Alice im Wunderland“ inszeniert. Leicht überarbeitet wurden die Ende 2015 uraufgeführten Tanzstücke jetzt erneut gezeigt. Die Version für Erwachsene wird am 23. März noch einmal wiederholt:

Im blauen Kleid tanzt Alice allein auf der Bühne, nach und nach gesellen sich weitere blaugekleidete Tänzerinnen dazu, bewegen sich mit ihr im gemeinsamen Rhythmus. Alice ist begeistert, doch plötzlich verschwinden ihre Ebenbilder, sie bleibt allein zurück. Mehrfach wiederholt sich diese Szene während des Tanzabends: „Wer bin ich denn?“, fragt sich Alice in der Geschichte Lewis Carrolls, nachdem sie in das Wunderland eingetaucht ist und sich so fremd fühlt. Dort wird sie kleiner und größer, vervielfacht sich oder begegnet sich selbst. Opsahl hat Alice Suche nach ihrer Identität zum zentralen Thema des Stückes gemacht. Sie lässt gleichsam die düstere Unterströmung des Textes heraustanzen, während die Kinderfassung mit vielen Liedern und Tänzen fröhlich und luftig bleibt.

Alice folgt dem weißen Hasen in das Land mit den verwirrenden Regeln, nichts ist so wie es scheint. Ihre seltsamen Erlebnisse werden ohne weitere Worte eindringlich tänzerisch ausgedrückt. Die „Grinsekatze“ begleitet Alice durch das Stück und macht ihr Mut. Weil sich in Carrolls Erzählung die Katze oft in mehrere Teile auflöst, wird sie häufig von vier Balletteusen getanzt.

Abstruse Bewegungen bei der Teeparty, grimmige Soldaten im Tanzkampf, kunstvolle Zirkusakrobaten, orientalische Aufmärsche, Tänze der Spielkarten: Immer wieder steigt Alice neugierig und lustvoll in die Rhythmen dieser Formationen ein. Doch jählings wird sie oft, wie ertappt, ausgegrenzt, von allen bedrängt, bis in den Saal verfolgt oder einfach nur allein gelassen. Da sie immerzu wächst oder kleiner wird, wechselt sie sich mit einer jüngeren Alice ab. Alle Tänzerinnen mimen nicht Angst, Bedrohung oder Freude, sondern drücken diese Gefühle mit ihren Körpern und ihren Beziehungen zueinander aus; Musik und Beleuchtung verstärken diesen Ausdruck.

Die mutige Alice wird im Buch andauernd durch wunderliche Begegnungen und abrupte Wendungen überrascht. Um das auszudrücken, nutzt Opsahl die ganze Bandbreite des zeitgenössischen Tanzes – von klassischen Ballettschritten über choreografierte freie Bewegungen bis hin zum Breakdance. Dazu Akrobatik, groteske Bewegungen und andere Kunststücke. Es gibt nicht nur Wechsel von Formationstänzen, Soli und Pas de Deux, sondern häufig auch mehrere Tanzbilder zugleich auf der Bühne, wie man sie so radikal in ihren bisherigen Arbeiten noch nicht erlebt hat.

Mit dieser großartigen Choreografie ist Opsahl mit ihrem Ensemble endgültig im modernen Tanztheater angekommen und hat sich vom Erzählballett verabschiedet: Sie illustriert Carrolls Erzählung nicht, sondern schafft eine Gänsehaut machende Tanz-Collage. Weil das Stück nicht rational „verstanden“ werden muss, ist es egal, ob die Zuschauer die Geschichte kennen oder nicht. „Wenn ich erzählen könnte was es bedeutet, müsste ich es nicht tanzen“, sagte einst die Pionierin des Ausdruckstanzes Isadora Duncan. Auch die Zuschauer müssen nicht fragen, was bedeutet dieser Tanz oder jenes Bild? Vielmehr sollten sie sich selbst fragen: Was sehe ich? Was lösen diese Tanzbilder in mir aus? Dann können sie, staunend wie Alice im Wunderland, in dieses Wundertheater eintauchen.