„Grüße aus Fukushima“ von Doris Dörrie

Filmbesprechung und Kurzinterview mit der Regisseurin

Kann der erste Spielfilm aus Fukushima, dem Ort der japanischen Atomkatastrophe von 2011, auch andere Leute als Öko-Aktivisten und AKW-Gegner ins Kino locken? Ja, er kann, das neue Werk von Doris Dörrie (60) ist ein sehr poetischer und sogar humorvoller Film geworden: Jetzt kommt „Grüße aus Fukushima“ auf die Leinwand.

Marie (Rosalie Thomass) kommt nach Japan, um als Clown zusammen mit einheimischen Clowns Überlebende der Katastrophe in Notunterkünften am Rande der Sperrzone zum Lachen zu bringen. Aber die junge Frau fühlt sich fremd in dem unbekannten Land. „Ich bin ein verwöhntes deutsches Mädchen“, muss sie feststellen – und will heimlich verschwinden. Doch Satomi (Kaori Momoi), eine Überlebende der Katastrophe, bittet die Deutsche, sie in die Sperrzone zu fahren. Dort will die Frau ihr zerstörtes Haus wieder aufbauen. Nur widerstrebend lässt sich die Geisha von Marie helfen. Gerne schurigelt die Al- te das Mädchen, etwa wenn sie ihr zeigt, wie man in Japan zu sitzen hat, damit die Schamgegend versteckt ist. „Sie sind elegant“, sagt Marie zu Satomi. „Du bist ein Elefant und viel zu groß für mein Haus“, antwortet die Japanerin…Wie selbstverständlich erscheinen des Nachts, in surreal wirkenden Szenen, Geister von Menschen, die in der Katastrophe starben. Irgendwann fordert Satomi: „Wir brauchen mal Urlaub von der Radioakti- vität“ und besucht zusammen mit Marie ihre wenig begeisterte Tochter in einer fernen Stadt. Nachdem sie in die Zone zurückehren, gesellt sich eine junge Geisha-Schülerin zu dem ungleichen Paar.

Doris Dörrie erzählt die Geschichte mit langen Einstellungen, mit melancholischer Musik, aber auch mit harten Schnitten und vielen Nahaufnahmen. Die Kamera zieht das Publikum in die schwarz-weiß gefilmte, fremdartige Landschaft und in das notdürftig wieder aufgebaute Haus hinein, ohne es dramatisch zu überwältigen.

Statt eines mahnenden Katastrophenfilms hat Dörrie einen großartig fotografierten und trotz des düsteren Themas unerwartet heiteren und hoffnungsvollen Spielfilm gedreht, der immer wieder zwischen Realität und Traum changiert. „Die Heiterkeit des Films soll den Betroffenen wie den Zuschauern ein kleines bisschen Hoffnung machen. Für die harten Fakten gibt es ja die Dokumentationen“, meint Filmemacherin Dörrie im Gespräch mit mir. Und warum hat sie diesen Film gemacht? „Nach der Katastrophe bin ich nach Japan gefahren, um ein wenig Solidarität zu zeigen, denn alle Ausländer waren ja geflüchtet. Ich bin zu den Notunterkünften nahe der Sperrzone gefahren, das hat mich einfach umgehauen, das Ausmaß der Katastrophe selbst zu sehen.“ Da habe sie angefangen zu überlegen, was sie in einem Film erzählen könnte, erzählt die Regisseurin. „Ich habe viel mit den Menschen gesprochen. Die waren so erfreut und dankbar, dass wir da waren. Sie haben ganz offen ihre Erlebnisse erzählt, die ich aufgegriffen habe, wie die Geschichte der alten, überlebenden Geisha. Natürlich gab es mein Drehbuch, aber viele Details sind erst beim Dreh dazu gekommen.“

Dörrie hat nur mit einer kleinen Crew gearbeitet, und war dadurch sehr flexibel und beweglich. Zum ersten Mal hat sie in schwarz-weiß gedreht und war von der Wirkung selbst beeindruckt: „Schwarz-weiß hat was sehr Klares. Es war immer überraschend, wie die Dinge sofort in Wichtig und Unwichtig sortiert werden. Es schwindet die Banalität der Farbe, Gesichter bekommen eine ganz andere Ausdrucks- stärke.“

Über die Geister sagt Dörrie: „Japan ist die einzige Industrienation, in der Geister eine große Rolle spielen, die beseelen die Natur, gerade im Norden. Wir haben lange gebraucht, um Statisten zu finden, die Geister spielen wollten, weil die Menschen vor den vielen, vielen Geistern, die durch die Katastrophe umgekommen sind, Angst haben. Viele der Umgekommenen sind unerlöst und irren als Geister umher, weil andere sie im Stich gelassen haben. Deshalb haben auch viele Überlebende Schuldgefühle. Das kommt ja im Film auch vor.“

Grüße aus Fukushima, Deutschland 2016. Regie: Doris Dörrie. Darsteller: Rosalie Thomass, Kaori Momoi. 108 Minuten. Bundesstart: 10. März.

Video zum Making Of des Films

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