Sebastião Salgado zeigt Eisberge, Sanddünen und den tiefen Dschungel. Mit seinen Fotografien macht der 71-Jährige die fragile Schönheit der Erde auf einzigartige Weise bewusst. Unter dem Titel „Genesis“ präsentiert die Berliner Ausstellungshalle c/o derzeit 245 großformatige Schwarz-Weiß-Fotografien des brasilianischen Ausnahmekünstlers.
Die Bilder zeigen mächtige skulpturale Eisberge, die wie finstere Schlösser wirken, oder seltsame Wimmelbilder mit Tausenden von Pinguinen, in archaisch anmutenden Eislandschaften. Ihre einzigartige Ästhetik zieht den Betrachter förmlich in die Ausstellung hinein. Staunend kann man unberührte Landschaften und unbekannte Tiere erleben, schließlich auch indigene Menschen mit eigenartigem Aussehen und sonderbaren Verhaltensweisen. Sebastião Salgados Fotografien erschließen weitgehend unbekannte und von der Zivilisation verschonte Flecken der Welt. Acht Jahre lang bereiste der durch seine Flüchtlingsbilder bekannt gewordene Sozialfotograf entlegene Gebiete in allen Erdteilen – oft mit Faltboot, Fesselballon oder zu Fuß.
Das Magnum-Mitglied fotografiert seit den 1970ern bis heute ausschließlich schwarzweiß. Die Arbeiten seines jüngsten, seit 2004 entwickelten Zyklus’ „Genesis“ sind überaus kontrastreich. Gerade die Sanddünen oder faszinierenden Bodenformationen wirken deshalb grafisch wie Holzschnitte oder Radierungen. Die von ihm abgelichteten Tiere, gelegentlich auch die Menschen, scheinen auf steinernen, eisigen oder floralen Hintergründen oft mit der Natur zu verschmelzen:
Ein gigantischer Walfisch bricht Wellen wie Erde auf, eine selbstbewusste Frauengruppe lagert zwischen Riesenblättern. Die Fotografien sind von fremdartiger Schönheit doch niemals gefällig, Salgados radikale Aufnahmetechnik mit meist unendlicher Tiefe verfremdet die Motive und verklärt sie nicht. In Farbe wären die Bilder vermutlich belang los oder kitschig, wie schon oft gesehene Reisefotos. Doch diese Tableaus laden nicht zum Besuch der entlegenen Welten ein, sie machen eher, wie vom Fotografen beabsichtigt, die Schönheit des Planeten bewusst.
Sebastião Salgado: „Dieses Werk ist das Ergebnis meiner Reisen, eine visuelle Liebeserklärung an die Erhabenheit und Zartheit der Welt. Doch es ist zugleich auch eine Mahnung, so hoffe ich, dies nicht alles aufs Spiel zu setzen.“
Die indigenen Menschen in verschiedenen Erdteilen, denen Salgado offenbar einfühlsam begegnete, sind wirklich Fremde. Männer tragen lange Penishüllen, Frauen haben riesige Tellerlippen oder Hörner am Kinn – seit ihrer frühen Kindheit. Beide Geschlechter schmücken sich mit bizarren Narben (Skarifizierungen). Diese exotischen Menschen machen neugierig auf Fremdes – aber in ihren seltsamen Bräuchen lässt sich ebenso der allseits bekannte, mühselige menschliche Alltag wiedererkennen. Ebenso wie ausgelassenes Feiern.
Trotz vieler Erklärungen in der Berliner Ausstellung bleibt den Fotografien ein „unwägbarer Rest“, ihnen wohnt ein Geist inne, der über das Abgelichtete hinausweist. Offenbar weil Salgado jahrzehntelang ausschließlich das Elend dieser Welt fotografierte, bis er daran erkrankte (siehe „Das Salz der Erde“). Das erlebte Grauen ist in „Genesis“ in doppeltem Sinne aufgehoben: Es ist durch die Faszination dieser unberührten Welt aufgehoben – also verschwunden. Aber ihre Kraft beziehen die Fotografien auch durch die in ihnen aufgehobenen also bewahrten Gefühle, die nicht nur staunen sondern auch erschauern lassen. Dieser Fotozyklus ist kein L’art pour l’art, denn für Salgado zeigt „Genesis die Schönheit der Natur und ist gleichzeitig ein Aufruf zum Kämpfen!“
„Genesis“ ist bis zum 16. August im c/o Berlin (im Amerika-Haus am Bahnhof Zoo, Hardenbergstraße 22-24) zu sehen. Öffnungszeiten täglich von 11 bis 20 Uhr.