Am Ende des Menschen-Schattenspiels „Amazing Shadows“ in der Fuldaer Orangerie feierte das Publikum das achtköpfige Ensemble mit stehenden Ovationen, während die Tänzerinnen und Tänzer abermals mehrere kurze Höhepunkte aus ihren vorherigen Darbietungen zeigten:
Als schwarze Silhouetten tanzten sie noch einmal, leicht klassisch, hinter der Projektionswand, formierten sich zu einem riesigen Tier, verharrten kurz, lösten sich auf und bewegten sich weiter. Mit unglaublicher Leichtigkeit, großer Präzision und atemraubender Akrobatik schuf die Compagnie zwischen den Tänzen Felslandschaften oder vielarmige Figuren, amorphe Ungeheuer oder Wälder aus Körperteilen.
Auf der Bühne agierten die Akteure vor einer Projektionslampe und waren durch die riesige Leinwand vom Publikum getrennt. Mit ihren Aktionen in der Tiefe des Bühnenraums veränderten sie ihre Größe, je näher sie vor die Bildwand kamen, desto kleiner wurden sie. Links und rechts am Bühnenrand (eigentlich an der Lichtquelle) schnappten riesige Köpfe im Profil mit gierigen Mündern bedrohlich nach kleinen Ballerinen (dicht vor der Leinwand).
Das Ensemble präsentierte kein durchgehend dramatisches Stück, sondern performte eine Revue unterschiedlicher Minidramen und lebender Bilder. Zunächst zeigte es noch Kamelreiten zwischen Pyramiden in Ägypten oder Kung-Fu-Kämpfe in China, dann sogar den Fall der Berliner Mauer… Die Themen wurden kurz angespielt, farbiges Licht und diverse musikalische Klänge schufen vielfältige Atmosphären. Doch zunehmend lösten sich schlüssige Erzählungen auf und wurden durch eher assoziative Szenen ersetzt: Ein sozial isoliertes Mädchen fürchtete sich, kämpfte mit Drachen, landete im Bauch eines Wals, erlebte die Schatten ihrer Eltern. Bis sie auf ihrer surrealen Reise endlich zu sich fand, musste sie allerlei Abenteuer bestehen.
Wie in Träumen changierten in einem Western, dann in einem Spionage-Thriller, schließlich sogar zu Vivaldis „Die vier Jahreszeiten“ reale oder fantastische Orte. Manchmal konnte man in die Schattenfiguren hineinsehen, in einem großen Kopf stritten sich kleine Menschen oder kämpften mit winzigen Monstern. Hände wurden zu Spinnen, die überall herumkrabbelten. Ein Kleid wechselte von einer Frau zum Mann. Ständig entstanden neue magische Tableaus ohne digitale Mätzchen, aber das war kein Hexenwerk, alle „handgemachten“ Kunststücke waren durchschaubar und brachten dennoch jedes Mal das Publikum zum Staunen. Häufig war es gar nicht so wichtig, was da hinter der Leinwand entstand und was es bedeutete, sondern wie sich die lebenden Bilder entwickelten.
Anfangs wechselten die Schattenbilder oft mit ungeheurer Schnelligkeit, ein visuelles Feuerwerk wurde abgebrannt, das gelegentlich wie pure Effekthascherei wirkte. Doch allmählich wurden poetische Stimmungen länger gehalten und manche Sequenzen ruhiger.
Seit mehr als zweitausend Jahren ist das in Süd-Ost-Asien entstandene Figurentheater bekannt, das Schattenspiel mit Menschen entwickelte sich dagegen erst im modernen Theater. „Amazing Shadows“ stellte sehr viele Möglichkeiten dieses neuen Mediums dar, ging dabei aber nur selten in die Tiefe und riskierte keine Ausflüge in die Abgründe der menschlichen Existenz. „Was ist Leben? Ein Schatten, der vorüberstreicht!“, heißt es in Shakespeares „Macbeth“ – doch an diesem Abend in der Orangerie konnte man das ganze Leben nicht erblicken. Dennoch war der unterhaltsame Abend mit dem seltenen Menschen-Schattenspiel ein sehenswertes Ereignis.
Leider gab der Veranstalter Catapult Entertainment kein Programmheft zu „Amazing Shadows“ heraus, so dass keine Informationen über die Arbeitsweise des Ensembles sowie zur Regie und Choreografie vorliegen.
Foto © catapult entertainment (Veranstalter)