„Wenn Nina kam, verstummten alle Gespräche“ – Darstellerin Hoss und Regisseur Petzold zu den schwierigen Dreharbeiten
Für Nina Hoss war es eine große Verantwortung, eine Holocaust-Überlebende zu spielen. Und Regisseur Christian Petzold bewunderte, wie seine Hauptdarstellerin beim Drehen schwierige Situationen gemeistert hat, wie die beiden im Gespräch mit mir erzählen.
Liebe, Verrat, Schuld, Identität: „Phoenix“ behandelt die großen Themen des Kinos. „Ja, da trifft eine Figur, die Nelly, auf das Berlin in der Nachkriegszeit, auf das Deutschland, das nichts von ihr wissen will“, meint Nina Hoss. „Es ist ein ganz kleiner Kosmos in diesem großen Ganzen, der wie in einer Druckkammer untersucht wird. Diese für sich allein komplizierte Geschichte in so ein Setting zu setzen, das ist besonders und darin liegt auch einer der Unterschiede zu manch anderen Filmen über die Nachkriegszeit.“
Für die 39-Jährige gibt es keine Situationen, die denen der Holocaust-Opfer ähneln: „Ich wüsste nicht, wo man sonst derartig ausgelöscht wurde, wie in den Konzentrationslagern. Nelly kennt sich ja selbst nicht mehr und muss sich neu zusammensetzen. Sie versucht sich wieder der anzunähern, die sie mal war. Aber man kann das Leben nicht einfach so zurückdrehen. Besonders nicht nach all dem, was sie mitgemacht hat.“
Auf die Frage, wie es für sie war, diese Figur wieder zum Leben zu erwecken, erzählt die vielfach preisgekrönte Schauspielerin: „Es ist eine große Verantwortung, wenn man eine KZ-Überlebende spielen soll, kann, darf… Dem musste ich mich erst mal ganz offen annähern. Ich habe mich gefragt, wie komme ich denn an diesen Zustand des absoluten Traumas heran, an einen Menschen der eigentlich ausgelöscht ist, denn das ist ja passiert im Lager. Man hat Nelly entmenschlicht, ihr die Würde genommen. Es geht nicht darum, dass ich als Nelly wieder ‚schön‘ bin, wie die Freundin zu mir sagt. Es geht darum, dass ich nicht mehr weiß, wer ich bin, dass ich nicht weiß, wie ich in dieser Welt zurecht kommen soll.“
Nina Hoss hat viel zum Thema gelesen, sich intensiv mit Traumatherapie beschäftigt: „Es gibt ja nur wenige Menschen, die direkt von der Lagererfahrung erzählt haben. Sie wurden nicht gefragt, aber sie haben auch alles erst einmal verdrängt, um weiterzuleben. Nellys Antrieb ist die Liebe gewesen, die hat sie am Leben gehalten. Nun kann sie nicht akzeptieren, dass es diese nie gegeben haben soll. Das war für mich sehr nachvollziehbar.“
Regisseur Christian Petzold erzählt, dass er den Film chronologisch gedreht hat und Nina Hoss im Team immer etwas außen vor war. Sie wurde morgens lange geschminkt, zwei bis drei Stunden, und musste den ganzen Tag lang „mit dieser Scheiße“ herumlaufen. Wenn sie dann in den Pausen mit ihren Verbänden kam, entstanden seltsame Situationen. „Alle Gespräche verstummten. Sie war nicht Teil unserer Gesellschaft. Sie war außenstehend, das hat sie aber mit in ihre Figur eingearbeitet“, berichtet er voller Bewunderung.
Der jüdische Philosoph Theodor W. Adorno misstraute der künstlerischen Umsetzung des Entsetzlichen. Sie berge die Gefahr einer ästhetischen Stilisierung hin zu einem „Genuss“ und einem „Sinn“: „Es wird verklärt, etwas von dem Grauen weggenommen. Damit allein schon widerfährt den Opfern Unrecht!“, schrieb der Frankfurter. Petzold war sich dieser Problematik bewusst und schmiss das Filmmaterial des ersten Drehtags weg. „Es geht ja nicht darum, den Holocaust nachzustellen“, meinte er, „sondern um Leute, die ihn überwinden wollen.“ Zu stark hatte er die erste furchtbare Szene ästhetisiert – einen impressionistisch wirkenden Wald gedreht, in dem man nur auf den zweiten Blick die herumliegenden Leichen sah, aus denen sich die schwer verletzte Nelly erhebt. Sein neuer Film „Phoenix“ überwältigt nicht brutal wie etwa das Oscar-prämierte Sklavendrama „12 Years a Slave“, aber auch emotional „tropft die Depression nicht von der Decke“, wie Petzold sagt.