Neues Tanztheater im herbstlichen Hessen – ein kleiner Streifzug

„Feuervogel“ und „Petruschka“ – im Gießener Stadttheater sind moderne Interpretationen dieser Ballette von Igor Strawinsky (1882 – 1971) zu sehen. In Wiesbaden und Darmstadt präsentiert das Hessische Staatsballett den Tanzabend „Weltenwanderer“.

In „Petruschka“ bewegen sich weiß gekleidete Figuren mit bizarren Bewegungen zu manchmal süßlich neoromantischen, dann wieder dröhnenden Klängen. Die Tanzenden winden sich an den Wänden, verknäueln sich auf dem Boden, frieren ein, werden lebende Bilder. Auch ein verliebtes Paar begegnet sich mit fremdartigen Bewegungen im Pas de deux. Der mit der „Ballerina“ herumturtelnde „Mohr“ wird eifersüchtig von „Petruschka“ überwacht, der Strawinskys Ballettmusik von 1911 den Namen gab. Doch bei allen, von den Klängen hervorgerufenen dramatischen Gefühlen, bleibt das tanzende Ensemble eigentümlich distanziert. Choreograf Tarek Assam ließ sich nicht dazu hinreißen, die Ballettgeschichte tanz-theatralisch zu illustrieren.

Ähnliches geschieht im „Feuervogel“ (1910), dem zweiten Strawinsky-Ballett des Abends, choreografiert von Pascal Touzeau. Auch bei dieser eher mythischen Geschichte, gleitet die Inszenierung nicht ins banale Nacherzählen ab: „Ich brauche keinen Vogel im Tutu“, meint Touzeau. Der sehr freie Umgang mit der Sagengestalt des „Feuervogels“ wird in düstere und strengere Tänze als in „Petruschka“ umgesetzt.

Gewiss ist das kein Ballett mehr, was da auf der kleinen Bühne dargeboten wird… Weiterlesen

„Pindorama“ – Lia Rodrigues Companhia de Danças im Frankfurter Mousonturm

Im Frankfurter Mousonturm begann am letzten Wochenende das internationale Tanzfestival „Together Forever“. Ein erster Höhepunkt war der Auftritt der brasilianischen Gruppe Lia Rodrigues Companhia de Danças.

Im großen, abgedunkelten Saal des Mousonturms steht oder sitzt das Publikum um eine lange Plastikplane auf dem Boden. Stille. Eine nackte Frau begießt sich mit Wasser, legt sich nieder, bewegt sich embryonenartig mit unendlicher Langsamkeit auf der Plane. Vor den Augen der Zuschauer verwandelt sie sich in ein unbestimmtes Wesen. Irgendwann werden ihre ruhigen Bewegungen durch die Plane gestört, die von Helfern geschüttelt wird. Die Plane schlägt stärkere Wellen, wie in einem Sturm ringt die Kreatur mit den Wogen, die bald über ihr zusammenschlagen. Sie windet und rollt sich, gleitet und glitscht, scheint hilflos von einem Ende der Plane zum anderen mitgerissen zu werden. Nach langen kräftezehrenden Ringen liegt die Tänzerin wirklich erschöpft auf der Plane. Der Sturm ist vorbei.

Auch in den folgenden zwei Teilen von „Pindorama“ macht die Companhia de Danças kein bedeutungsschwangeres Drama, zeigt keine gespielten Gefühle und vermeidet jeglichen emotionalen Kitsch. Man kann das Ausgeliefertsein an elementare Naturgewalten oder Kampf gegen Elemente assoziieren. Jedoch bleibt die Interpretation dieser lebenden Bilder dem Publikum überlassen, das nicht vom Geschehen überwältigt aber heftig berührt wird. Die Choreografin Lia Rodrigues erschafft mit ihrem Ensemble eindringliche Tableaus, deren Bedeutungen nicht festgelegt sind… Weiterlesen

Das Wuppertaler Tanztheater Pina Bausch – voller Lust auf ein reiches Erbe

Mit einem frühen und einem späten Werk der vor sechs Jahren gestorbenen Choreografin Pina Bausch ging das Wuppertaler Tanztheater in die Sommerpause. Die nächste Spielzeit beginnt zum ersten Mal in dessen 40-jähriger Geschichte mit „Neuen Stücken“ einiger Gastchoreografen – doch ein „Neuanfang“ des berühmten Ensembles ist das nicht!

Nur eine Tänzerin steht auf der Bühne, zeigt sich von allen Seiten, bleckt die Zähne, streift die Haare zurück. Weitere Frauen kommen, bald lässt sich das ganze weibliche Ensemble taxieren. Dann verwandeln die Männer durch Vervielfachung und Übertreibung alltäglicher Verhaltensweisen die Bühne in einen grotesken „Kontakthof“. Der Name des Stückes ist sein Inhalt – was tun Menschen alles, um zu gefallen, um jemanden zu finden, um nicht einsam zu sein? Dieses Beziehungsthema, das in zahllosen assoziativen Szenen mal verzweifelt, mal humorvoll umkreist wird, hat heute nichts von seiner Aktualität verloren.

Es war ein Skandal als Pina mit diesem Stück vor fast vier Jahrzehnten formal und inhaltlich das klassische Ballett und den Modern Dance infrage stellte. „Mich interessiert nicht, wie die Menschen sich bewegen, sondern was sie bewegt“, meinte die Choreografin. Sie wollte den Tanz nicht revolutionieren, aber sie suchte gemeinsam mit ihrem Ensemble nach neuen, lebensnahen Ausdrucksformen. Viele alt gewordene Akteure sind in diesem Stück seit zwanzig Jahren oder länger dabei, nur wenige sind unter vierzig. Pina hat dieses zeitlose Werk einige Jahre vor ihrem Tod zunächst mit älteren Laien über 65 inszeniert, später sogar mit Teenies.

Auch „Vollmond“ beginnt mit skurrilen Wettkämpfen im Alltag… Weiterlesen

Was machen alte Tänzerinnen und Tänzer wenn der Vorhang fällt? Eine Tanzgala in Kassel

„Der Vorhang fiel / aber die Vorstellung war noch nicht zu Ende“, heißt es in einem Aphorismus des Lyrikers Thorwald Proll. Was machen eigentlich Tänzerinnen und Tänzer, die mit 30, spätestens 35 Jahren nach gängiger Auffassung alt und verbraucht sind, wenn der Vorhang fällt?

Die Choreografin Pina Bausch behielt in der gut vierzigjährigen Geschichte ihres Wuppertaler Tanztheaters nicht nur ihre alten Tänzer oder Tänzerinnen im Ensemble. Für Neueinstudierungen früher Stücke versuchte sie immer ehemalige Mitglieder ihrer Compagnie zu gewinnen. Mit Laientänzern, „Damen und Herren über 65“ – so der Titel des Stücks – re-inszenierte sie ihren legendären „Kontakthof“. Das bekannte Nederland Dans Theater hat auch ein Ensemble mit Tanzenden über 40 Jahre. Neulich präsentierte in Berlin die sechzigjährige Riki van Falken ein beeindruckendes einstündiges Solo.

Die Tanzästhetik hat sich verändert – Schnelligkeit, Ausdauer und Kraft sind im Zeitgenössischen Tanz nicht mehr das einzige Ausdrucksmittel. Wenn es um Expression geht, können alte Körper sogar eine intensivere Sprache sprechen als die Leiber der jungen Hüpfer.

Dennoch dominieren „Barbie“ und „Ken“ immer noch mit ihrer, vom klassischen Ballett geprägten jugendlichen Schönheit die Bühnen. Weiterlesen

Drei Solo-Tanzstücke von Jan Fabre im Frankfurter Mousonturm

Der Mousonturm präsentiert im Rahmen seiner aktuellen Tanz- und Theaterreihe „Tod und Auferstehung“ auch drei Solostücke Jan Fabres. Zwei Arbeiten des Bildenden Künstlers und Choreografen waren bereits zu sehen, das letzte Stück wird heute und morgen Abend gezeigt.

In „Preparatio Mortis“ (Vorbereitung zum Tod) sitzt das Publikum lange im Dunklen. Schrille Orgeltöne wechseln mit brausenden tiefen Akkorden. Eine moderne Toccata für eine Trauergemeinde. Nach und nach wird ein mit Chrysanthemen bedeckter Schrein im fahlen Bühnenlicht sichtbar. Stille. Lange bewegt sich der Blumenberg raupenhaft, bis aus ihm allmählich eine Hand, ein Arm, blonde Haare auftauchen. Erneut dissonante Orgelklänge. Mit eigenartigen Bewegungen befreit sich eine Frau in schwarzer Unterwäsche aus den Blumen, löst sich akrobatisch vom gläsernen Sarkophag.

Zeitlupenhaft bewegt sie sich auf der völlig mit Blumen bedeckten Bühne, ist hin- und hergerissen zwischen Erstarrung und zitternden Bewegungen. Sie klammert sich an Pflanzen, wälzt sich wie rasend darin, wirft sie fröhlich in die Luft, zerdrückt sie zornig. Immer wieder sackt sie zusammen, ringt stöhnend nach Luft. Plötzlich Stille und lange Dunkelheit.

Im schwachen Licht bewegt sich die jetzt nackte Frau unendlich achtsam in dem gläsernen Sarg zwischen großen lebenden Schmetterlingen. Mit weißer Farbe beschmiert sie das Glas mit obszönen naiven Malereien. Manchmal schaut sie ins Publikum. Winkt. Sucht vergeblich Kontakt, während das Licht langsam erlischt. Weiterlesen

„Hieronymus B.“ – ein neues Gesamtkunstwerk der Choreografin Nanine Linning

Erneut schuf die Choreografin Nanine Linning mit ihrer Tanzcompagnie und weiteren Künstlern durch „Hieronymus B.“ ein beeindruckendes Gesamtkunstwerk. Im dritten Jahr ihres Engagements in Heidelberg brachte sie ihre Interpretation der bizarren Fantasiewelten des Hieronymus Bosch mit Tanz, Licht, Video, Bildender Kunst und Musik auf die Bühne.

Geflüster, seltsame Musik, Videobilder mit Tanzenden als garstige Mischwesen, die bald auf der Bühne erscheinen: Ein grüner Flügelfrosch bedrängt gierig ein verängstigtes Mädchen, das dann, selbst neu-gierig geworden, auf ihm davonreitet. Ein Vogelmensch mit umgekehrtem Trichter als Hut verrenkt sich voll erotischer Lust. Ein Teil des Publikums im Saal kann erleben, wie die Tanzcompagnie einige Details der opulenten Wimmelbilder des Malers lebendig macht. Die übrigen Besucher begegnen derweil hinter der Bühne hautnah diesen Mischwesen – einem Mädchen, das sich akrobatisch aus einem Ohr windet, dem Liebespaar, das von einem Sensenmann in Fischgestalt getrennt wird. Dann wechseln die Zuschauer die grotesken Szenerien. Weiterlesen

Die Hessische Tanzszene im „Aufwind“

Mit Spannung erwarteten Tanzfreunde „Aufwind“, die erste Inszenierung des Hessischen Staatsballetts nach der Fusion der Darmstädter und Wiesbadener Tanzbühnen.

Staatsballett – das klingt nach Beamtentänzen am Schwanensee, doch der dreiteilige Abend zeigt ein breites Spektrum modernen Tanzes.Die Trilogie beginnt mit der konventionellen Choreografie „Vom Anfang“ des neuen Ballettchefs Tim Plegge. Ein Teil der dunklen Bühne besteht aus einer schrägen Plattform, auf der zu romantischer Musik einzelne Tänzerinnen und Tänzer balancieren, herunterrutschen, sich berühren und wieder lösen. Dem Besucher schwant fürchterliches, erinnert diese Tanzerei doch an die zähen Arbeiten Mei Hong Lins, der letzten Choreografin. Doch die allzu gefällig Tanzenden werden von den Tönen György Kurtágs aufgestört und zu bizarren Bewegungen getrieben. Bei wechselndem Licht entstehen Bilder „Vom Anfang“, von gestrandeten, gescheiterten aber immer neu beginnenden Menschen. Weiterlesen

„Echnaton“ – Nanine Linnings Tanztheater in Heidelberg

Eine Region wird tanzbegeistert…

Mit der Inszenierung der Oper „Echnaton“ von Philipp Glass schuf die Choreografin Nanine Linning zum Ende ihrer zweiten Spielzeit in Heidelberg ein großartiges Gesamtkunstwerk aus Musik, Gesang, Bewegung, Licht und Video, das jetzt im Herbst erneut wieder aufgenommen wird.

Die Abendsonne scheint heiß in die Altstadt Heidelbergs, durch riesige Fenster des Theateranbaus kann man der Tanz Compagnie beim Aufwärmen zusehen. Wenig später bewegt sich die Tanztruppe, aber auch der Chor, als dunkle Figuren auf der grell-weiß beleuchteten Bühne. Im Rhythmus der repetitiven, sich minimal verändernden Tonfolgen, kommen und gehen die Gestalten durch schmale Luken im Bühnenboden. Schon während der Ouvertüre (musikalische Leitung Dietger Holm) wird die Minimal Musik von Glass durch das Tanz- und Opernensemble sichtbar gemacht: Regisseurin Linning illustriert nicht die, eigentlich wenig bildhafte Oper, sondern verwandelt zunächst Töne, später auch die Gesänge in lebende Bilder, in denen auch der Chor immer in Bewegung ist. Weiterlesen