„Mickey 17“ – ein erstaunlicher Film mit Robert Pattinson

Ein Mann im Schnee reinigt seine Schutzbrille, reibt seine schmerzenden Glieder und merkt, dass es in eine tiefe Gletscherspalte gestürzt ist. „Wie habe ich das überlebt?“, fragt er sich und schreit um Hilfe. An einem Seil lässt sich ein Kollege herab und staunt: „Was? Du bist ja noch nicht tot! Aber du bleibst ja hier.“ Dann lässt er sich wieder hochziehen.

Nach dieser absurden Nicht-Rettungs-Szene ein Rückblick: Mickey 17 (Robert Pattinson) hatte mächtige Geldsorgen, wurde von brutalen Gläubigern verfolgt und verpflichtete sich für ein langjähriges Raumfahrtprogramm. Viereinhalb Jahre dauerte die Reise zum Eisplaneten Nifelheim. So ganz genau hörte er beim Anheuern nicht zu und las auch nicht, was er unterschrieb. Seine Anleiterin roch ihm einfach zu gut. Nach der Landung auf dem Himmelskörper musste er die toxische Atmosphäre erkunden und von Wissenschaftlern entwickelte Gegenmittel testen. 

Nun starb er bereits 16-mal und wartet wieder auf den Tod. Doch es kommt anders als bisher, das wird aber hier nicht verraten. Im Raumschiff reproduziert man bereits Mickey 18. Mickeys Biodaten sind eingescannt und seine aktuellen Erinnerungen gespeichert, so kann er jederzeit mit einem 3D-Drucker kopiert werden. „Du wirst dich ans Sterben gewöhnen müssen“, hieß es. Er ist quasi der letzte Dreck der vielfältigen Besatzung, die aus 200 Technikern, Ingenieuren, Sicherheitsleuten und „edlen weißen“ Menschen besteht, die den Planeten bevölkern sollen.

In weiteren Rückblenden erfahren wir von Mickys ersten Toden, dann von seiner heimlichen Liebschaft mit der Sicherheitsfrau Nasha (Naomi Ackie), die in der Hierarchie weit, weit über ihm steht. Aber immerhin wird er ja von Robert Pattinson verkörpert. Deshalb ist Nasha auch sehr erfreut als die beiden Mickeys – der alte, eher zärtliche, und der neue, eher draufgängerische – ihr plötzlich gegenüberstehen. Sofort schleppt sie beide in ihre Kabine… 

Mehr wird nicht von dieser Story nicht gespoilert, die Handlung wird in diesem Genremix sehr komplex erzählt und überrascht mit einigen dramatischen Wendungen. Die Raumreise und die Besiedelung des neuen Planeten wurde von Kenneth Marshall (Mark Ruffalo) organisiert und durchgeführt. Er wird von seinen Anhängern auf der Erde und im Raumschiff als Messias verehrt, denn er will auf Nifelheim eine reine weiße Superrasse heranzüchten.

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„The Substance“ ein Horrorfilm?

„Jugend, die mir täglich schwindet…“ – wie aktuell sind doch diese 180 Jahre alten Zeilen Heinrich Heines. Wer würde diesen Prozess des Alterns nicht gerne aufhalten? Die Diva Liz Sparkle, im Film „The Substance“ dargestellt von Demi Moore, ist wahrlich kein junges Mädchen mehr. Aber mit ihren 50 Jahren ist sie immer noch eine topfitte und äußerst attraktive Frau. Doch der verschlagene Programmdirektor Harvey (Dennis Quaid), der aussieht wie Dieter Bohlen, will ihre erfolgreiche Aerobic-TV-Show absetzen und sie loswerden.

Dem alten Knacker ist Liz zu alt, hinter ihrem Rücken bereitet er heimlich das Casting für eine Nachfolgerin vor. Als Sparkle zufällig von der Intrige erfährt, verursacht sie anschließend vor Wut einen heftigen Autounfall. Später bekommt sie in der Klinik einen Zettel zugesteckt, er erhält ein attraktives Angebot…

Mit Hilfe einer geheimnisvoll Substance bekommt sie die Chance, eine Woche lang äußerst jung, dünn und schön zu sein, in der jeweils folgenden Woche müsste sie dagegen ihr altes Ich leben und altern. Natürlich nimmt sie an und nimmt die Substance. Nackt liegt Liz regungslos in ihrem Badezimmer, dramatisch kommt aus ihrem aufreißenden Rücken die nackte junge Sue (Margaret Qualley) herausgekrochen und näht später ihr altes Ego zu. Schnell gewinnt sie die Casting-Show des Senders und wird ihre eigene Nachfolgerin.

Im Folgenden geht es nicht um die Substance und die anonymen Mächte die dahinterstecken, sondern ausschließlich um die Folgen dieses eigenwilligen Tauschs. Immer wieder heißt es: „Ihr seid eine Einheit“, aber Sue wird mit der Wechselei immer unzufriedener. Sie mogelt herum, schindet längere Verwandlungszeiten heraus, doch dadurch altert Liz immer schneller und heftiger. Irgendwann wird sie zum riesigen Monster, wie Dorian Gray in der Erzählung von Oscar Wilde. Und am Ende des Films spritzt das Blut aus ihr wie aus Feuerwehrschläuchen…

So wird auch der Filme, der zunächst im schönen, perfekten Barbieland beginnt, zum krassen Monsaterfilm, genauer zum Genrefilm Body-Horror. Doch der Streifen ist kein Selbstzweck der Regisseurin Coralie Fargeat, für den sie beim letzten Filmfestival in Cannes mit einer Silbernen Palme (Bestes Drehbuch) ausgezeichnet wurde.

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„Cuckoo“ – rufst aus dem Wald

Auf der letzten Berlinale im Frühjahr hatte der Film „Cuckoo“ seine Weltpremiere in der Sektion Special Gala und wurde dort als eher düsterer Beziehungsfilm abgekündigt. Die Geschichte der Protagonistin Gretchen beginnt im Ressort „Alpschatten“, jedoch im Schatten eines Alptraums wird „Cuckoo“ völlig unerwartet ein echter Horrorfilm. 

Zwar werden keine Bäuche mit herausquellenden Gedärmen aufgeschlitzt oder blutspritzend Arme durch Kettensägen abgetrennt. Doch mit Licht und Schatten, ja gelegentlich tiefer Schwärze, grellen Schreien, krassen Schnitten, manchmal einer erdbebenartigen Kamera, Loops der bizarren Handlung, in der sich zu schriller Neuer Musik Ereignisse rasch wiederholen, treibt uns der junge Regisseur Tilman Singer in einen tiefen Abgrund. Neben der oft Gänsehaut bereitenden Filmsprache, die man aushalten muss, werden wir Zuschauer auch noch einer abstrusen Handlung ausgesetzt. 

Ungerne kommt die 17-jährige Gretchen (Hunter Schafer) aus den USA in die Bayrischen Alpen, um dort mit ihrem Vater, seiner neuen Frau und ihrer Halbschwester zu leben. Warum bleibt lange offen, denn sie ruft ihre Mutter immer wieder auf dem Anrufbeantworter an und fleht, nach Hause kommen zu dürfen. Erst spät erfährt man vom Tod der Mutter. Ihr Vater soll das Ressort umbauen, dessen etwas schmieriger Besitzer Herr König (Dan Stevens) bietet dem jungen Mädchen gegen den Willen des Vaters an, in der Rezeption zu arbeiten. 

Bald versetzt uns der Streifen in eine bizarre Zwischenwelt von Realität und Alptraum: eine irre wirkenden blonde Frau erschreckt die Filmfiguren (und uns) mit grellen Schreien, dabei bebt die Erde. Doch die Schreckensgestalt verschwindet immer wieder schnell und lässt die Akteure (und uns) verwirrt zurück. Ein neuer weiblicher Gast versucht Gretchen mit heißen Küssen zu verführen. Als sie nach dem ersten Arbeitstag mit dem Fahrrad in der Dunkelheit in ihr neues Zuhause fahren will, wird sie von der blonden Frau attackiert.

Man weiß nicht, neigt sie zum Wahnsinn oder wird sie wirklich verfolgt? Verletzt flüchtet sie in eine Klinik, in der auch bald ihr Vater mit Frau und Kind erscheint. Denn die gehörlose Halbschwester Bela (Mila Lieu) leidet an Krampfanfällen und muss hier zeitgleich behandelt werden.

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„Perfect Days“ von Wim Wenders im Kino

Die Feuilletons triefen vor Lob über das neue Werk von Wim-Wenders, wann gibt es denn schon mal solchen Einklang? „All diese typischen Wenders-Eigenschaften hat man seit seinen Filmen der siebziger Jahre nicht schöner gesehen“, beendet Daniel Kothenschulte seine Eloge in der Frankfurter Rundschau. Nun, erinnern wir uns an die siebziger Jahre – es gab die verrückten Italo-Western oder die spannenden Krimis des französischen Film Noir. Und viele Kinogänger fanden damals Wenders-Filme einfach nur langweilig. Möglicherweise hat sich diese Einschätzung nach einem halben Jahrhundert geändert, aber schauen wir doch mal in diese so gepriesenen „Perfect Days“.

Ein Mann steht auf, rasiert sich, trinkt einen Kaffee, strahlt in den Morgenhimmel und kriecht in seinen Overall mit der Aufschrift „The Tokio Toilet“. Zu Eric Burdons „House oft he rising sun“ düst er fröhlich mit einem Firmenwagen durch die japanische Metropole und putzt gründlich verschiedene Toiletten im Tokioter Stadtteil Shibuya. Doch das sind keine versifften heruntergekommenen Klos wie wir sie kennen, sondern sehr unterschiedliche, aber immer luxuriöse Design-Gebilde. Sein jüngerer Kollege ist faul und ziemlich dumm, Hirayama (Kôji Yakusho) selbst jedoch lebensfroh und gewissenhaft. Im Beuyschen Sinne ist er tatsächlich ein Künstler, der an seinem Ort mit seiner Arbeit, an einer sinnvollen Welt mitarbeitet. Liebevoll tröstet er einen verirrten Jungen, buddelt einen winzigen Baumableger aus, fotografiert das durch einen Baum fallende Licht mit einer altmodischen Kamera. Solche Bilder tauchen auch immer in seinen kurz angedeuteten nächtlichen Träumen auf, die die Tage zäsieren.

Auch die nächsten Morgende beginnen mit Hirayamas Routinen, doch kleine Überraschungen oder Unbilden geschehen. Er findet im Damenklo einen geheimnisvollen Brief. Sein Helfer will die wertvollen Audiokassetten seines Chefs verkaufen, um ein cooles Mädchen für sich zu gewinnen. Einmal hat das Firmenauto kein Benzin mehr. Nach einer Woche taucht bei ihm eine junge Frau auf, seine Nichte, die von zu Hause abgehauen ist. Flüchtig erfahren wir so von Hirayamas Familiengeschichte und erleben ihn kurzzeitig sehr traurig.

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Die 71. Berlinale im Home Office (3)

Die Erwartungen an die cineastische Qualität auf der diesjährigen zweigeteilten Berlinale durften nicht allzu hoch sein: Aufgrund der Pandemie wurden wenig Kinofilme produziert, viele Streifen werden noch zurückgehalten. So gelangten in alle Sektionen des 71. Festivals auch etliche mittelmäßige Filme. 

Statt wie sonst 400 Streifen gab es nur ein Drittel, die ausschließlich online für Filmschaffende und Kunden des Europäischen Filmmarktes (EFM) sowie Presseleute zu sehen waren. Statt klugen Pressekonferenzen oder Schaulaufen auf dem rotem Teppich mit internationalen Stars, musste man in den Computer glotzen. Doch im Juni wird der zweite Festival-Teil in Berliner Kinos für das Publikum mit Preisverleihungen nachgeholt.

Eins muss man der Wettbewerbs-Jury bei ihrer nicht immer nachvollziehbaren Bärenauswahl lassen, ihr gelang ein Parforceritt durch die Fülle des zeitgenössischen Kinos. So wie das gekürzte Gesamtprogramm bildeten ebenfalls ihre Entscheidungen im Wettbewerb diese Vielfalt ab: Von extremen Experimenten über berührende Dokumentationen, endlosen Gesprächsmitschnitten bis zu bildgewaltigen Erzählungen.

Den goldenen Bären gab es für einen Film, der im Titel „Bad Luck Banging or Loony Porn“ sein Thema anklingen lässt: Er beginnt mit ausgiebigem Sex einer Lehrerin mit ihrem Ehemann, wie man ihn im normalen Kino noch nie sehen konnte. Später läuft die weibliche Darstellerin lange (angezogen) durch Bukarest zu einer Elternversammlung. Denn der Clip ihres sexuellen Abenteuers wurde durch Unbekannte ins Netz gestellt. Von den aufgebrachten Eltern wird ihr nach wirren bigotten Diskussionen unterstellt, sie sei als Pädagogin ungeeignet. Der Mittelteil des Werks besteht aus zahlreichen Clips zu Stichworten wie Faschismus, Selbstbefriedigung oder Freiheit, die assoziativ den Zustand der rumänischen Gesellschaft skizzieren. Ein wenig erinnert dieser überzeugende Montage-Film an westliche Experimente in den 1970er-Jahren.

Die wunderbare Dokumentation „Herr Bachmann und seine Schüler“ bekam einen Silberbären als „Preis der Jury“. Der ältere Lehrer Bachmann versucht in Stadtallendorf geflüchteten, heimatlos gewordenen Schülerinnen und Schülern einfühlsam, aber auch konsequent, ein Stück Heimat wiederzugeben. Ebenfalls einen Silberbären erhielt Maren Eggert für ihre darstellerische Leistung in dem weiteren deutschen Wettbewerbsbeitrag „Ich bin dein Mensch“. Darin spielt sie eine alleinstehende selbständige Frau, für die ein lebensechter Roboter gebaut wurde, der alle ihre Wünsche erahnen kann. Das ist kein Science Fiction, sondern ein spannender und humorvoller Streifen über Paarbeziehungen. Wie immer hätten Werke in anderen Sektionen allemal silberne Bären verdient gehabt. 

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Die 71. Berlinale im Home Office (1)

Es ist saukalt, die Berlinale beginnt mit einigen Wochen Verspätung, doch statt mit der Berliner S-Bahn zum Potsdamer Platz zu fahren, steige ich auf den großen Dachboden der Wohngemeinschaft und mache Feuer an. Später sitze ich dann alleine im „Dachbodenkino“ vor der mächtigen Leinwand und schaue online Filme.

Ich vermisse den großen Berlinale-Palast mit den Wettbewerbsfilmen und die kleinen Kinos mit den experimentellen Filmen. Mir fehlt das Stöhnen, Lachen, Meckern oder Klatschen der Kolleginnen und Kollegen. Ich hätte so gerne die Pressekonferenzen mit der Nähe zu den Filmleuten sowie die Gespräche zwischen den Aufführungen, die Hektik und die Müdigkeit, die Qual der Wahl zwischen den diversen Filmen… 

Dennoch kommen sogar auf meinem Dachboden Kinogefühle auf: an einen anderen Ort gehen, in der Dunkelheit sitzen, später ins Sonnenlicht treten. Ich entdecke einen großen Vorteil, ich kann zappen! Täglich werden online etwa 30 Filme aus allen Sektionen – wie Wettbewerb, Berlinale-Specials, Generation oder Perspektive Deutsches Kino – angeboten. Die kann man von 7 Uhr morgens bis 24 Uhr niemals alle sehen, aber es ist möglich in viele hineinzuklicken und nach einer Viertelstunde zu wissen: Oh, den möchte ich weitersehen oder ach nee, schon wieder ein gut gemeinter aber langweilig erzählter Flüchtlings-, Beziehungs-, erste-Liebe- oder Politfilm.

Mein erster Eindruck: Die besten Filme laufen in der Sektion Panorama und in Berlinale Specials: Tim Fehlmanns („Hell“) Endzeitdrama „Tide“, mit undeutlichen Bildern in Schlamm und Wasser. Anne Zohra Berracheds („24 Wochen“) „Die Welt wird eine andere sein“ ist eine melodramatische Liebesgeschichte zwischen einer weltoffenen Türkin und einem islamistischen Libanesen in Deutschland. Aber auch Maria Schraders Wettbewerbsfilm „Ich bin Dein Mensch“ ist durchaus großes Kino, in dem ein menschenechter Roboter speziell für eine Frau gebaut wurde. 

Doch der sogenannte Wettbewerb ist eigentlich ein Witz: Kümmerliche 14 Filme, die wir Presseleute vorab sehen dürfen (Daniel Brühls und Dominik Grafs Streifen sind nicht zur Online-Ansicht freigegeben) und die Restjury besteht nur noch aus vier ehemaligen Bärenpreisträgern*innen. Die Gold- und Silberbären sowie die anderen Preise werden am Freitag bekanntgegeben und erst im zweiten Teil der Berlinale im Juni vergeben. Dann soll durch die geöffneten Kinos wieder die Atmosphäre eines Publikumsfestivals entstehen.

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Ein Münsterer Tatort im Zwischenreich: „Limbus“

So viel ist sicher: Dieser 37. Tatort aus Münster wird nicht nur die Fans von Börne und Thiel irritieren, sondern auch die Tatort-Gemeinde spalten. Statt der ewigen Frotzeleien zwischen den beiden Kontrahenten, erleben die Zuschauer eine irrsinnige Geschichte, in der es wenig zu lachen gibt.

Lange, dunkle unterirdische Gänge. Altmodische Paternoster. Knöcheltiefes Wasser in düsteren Büros. Nach einem schweren Autounfall findet sich Professor Börne  im Limbus wieder, in der Vorhölle zwischen Leben und Tod – während er zugleich im Krankenhaus im Sterben liegt. „Wir sind froh über jede Stunde, die wir ihn noch am Leben erhalten können“, sagt die Ärztin seinen Münsterer Kolleginnen und Kollegen. Noch am Vorabend hatten sie in einer Kneipe vom Professor Abschied genommen, weil der sich eine Zeitlang beurlauben ließ, um ein Buch über den Tod zu schreiben. 

So viel können wir hier von diesen surrealen Ereignissen bereits verraten, weil die makabre Mischung – von Tatort-Krimi und Börne als Wiedergänger im Zwischenreich – nach fünf Minuten des TV-Films klar sind.

Kommissar Thiel glaubt nicht an Börnes schweren Unfall mit 180 km/h auf der nächtlichen Landstraße: „Das ist nicht seine Art! Außerdem war er stocknüchtern, als er die Kneipe verließ.“ Während der Kommissar gegen den Willen der Staatsanwältin Klemm klassisch ermittelt, versucht der Professor verzweifelt als Untoter die Ermittlungen zu beeinflussen und seine Assistentin Frau Haller („Alberich“) zu kontaktieren. Jedoch zwischen der realen Welt und dem Limbus ist keine Kommunikation möglich, allenfalls kann Alberich ihren Ex-Chef vage spüren, wenn der seine Hand auf ihre Schulter legt. Erst als sie kurzzeitig selbst dem Tod nahe ist, kann der Wiedergänger mit ihr Kontakt aufnehmen und sie warnen.

In der Zwischenwelt trifft der Untote auch auf die Ermittlerin Nadeshda aus Münster, die vor einiger Zeit im Tatort „Das Team“ ermordet wurde. Sie befindet sich ebenfalls noch im Limbus, hat sich dort aber verlaufen. „Der sieht ja aus wie Thiel“, sagt sie über den Geschäftsführer (den man früher Teufel nannte), der Börnes nahenden Tod bearbeitet und ebenfalls von Axel Prahl gespielt wird.

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Zum Film „Pelikanblut“

Nach einem alten Mythos hacken sich Pelikanweibchen die Brust auf, um mit dem Blut ihre toten Jungen ins Leben zurückzuholen. Diese frühchristliche Metapher des Filmtitels scheint auch das Handeln der alleinerziehenden Pflegemutter Wiebke (Nina Hoss) zu bestimmen.

Als sich ihr zweites neues Adoptivkind Raya (Katerina Lipovska) als garstiges Monster und „emotional totes Kind“ (so Regisseurin Katrin Gebbe) entpuppt, wird sie – im übertragenen Sinn – zum Pelikanweibchen. Sie schleppt die Fünfjährige den ganzen Tag lang im Wickeltuch herum, besorgt sich illegale, Muttermilch fördernde Medikamente, um das Kind zu säugen. So will sie an frühe Entwicklungsphasen anknüpfen, als Raya noch beziehungsfähig war. Denn das bulgarische Waisenkind ist schwer traumatisiert…

Aber erzählen wir die Geschichte der Reihe nach:
Wiebke ist eine leicht amerikanisch angehauchte Pferdezüchterin, die für eine Reiterstaffel der Polizei junge Pferde dressiert. Mit ihrer neunjährigen Adoptivtochter Nicolina versteht sie sich großartig, bis das neue Adoptivkind ins Haus kommt. Für kurze Zeit passt Raya sich an und Nicolina freut sich über ihre Schwester. Doch nach und nach wird Raya nicht nur ihrer großen Schwester immer unheimlicher: Sie bunkert Essen, schmiert mit Kot, legt Feuer, quält oder sexualisiert andere Kinder bis die Eltern sie aus der Kita rausschmeißen: „Die ist krank! Die muss weg!“

Das stellt letztlich auch ein Kinderpsychologe fest. Wiebke muss erkennen, dass Liebe und konsequentes Handeln alleine keine Heilung bringen. Doch sie merkt auch, dass gestörte Kinder nicht wie Pferde dressiert werden können. Jedoch als sie das Kind in eine Spezialklinik bringen will, rennt es weg und schreit plötzlich „Mama!“

Wiebke bildet parallel zu dieser Geschichte Polizeipferde aus und zähmt für eine Polizistin (und mit ihr) einen wilden Hengst. Auf einer richtigen Demo dreht das Tier durch, verletzt Demonstranten, wirft seine Reiterin ab und wird erschossen. Das kann man mit dem wilden Kind nicht machen – doch als mit Raya gar nichts mehr geht, schlägt der sozialpädagogisch anmutende Psychothriller in ein anderes Genre um: Weiterlesen

Känguru-Chroniken kein Blödelfilm

Ein lebensgroßes Känguru namens Känguru klingelt einige Male an Marc-Uwes Wohnungstür, um alle Zutaten zum Backen eines Pfannkuchens auszuleihen und zieht schließlich ungefragt bei ihm ein. So wie der Kult gewordene Episodenroman „Die Känguru-Chroniken“, beginnt auch der Film, der am 5. März in den Kinos anläuft.

Die millionenfach verkauften Chroniken sind keine Blödelsammlung, sondern politisch-surreale Begebenheiten und Weltbetrachtungen, die vom Regisseur Dani Levy („Alles auf Zucker“) großartig cineastisch umgesetzt werden. Allerdings macht er aus dem Allerlei von Figuren, Orten und Ereignissen eine durchgehend groteske Geschichte. Allem Anschein nach spielt sie in der Wendezeit in Berlin-Kreuzberg. Aber bitte kein Gejammer – das Drehbuch entwickelte der  Regisseur gemeinsam mit dem Autor der Chroniken Marc-Uwe Kling.

Das noch von Eingeborenen bewohnte, aber auch multikulturelle und hausbesetzte Kreuzberg, wird vom rechtspopulistischen Immobilienhai Dwigs (Henry Hübchen mit Föhnfrisur) und seiner skrupellosen Frau Jeanette (Bettina Lamprecht mit reichlich Schwangerbauch) plattgemacht. Beide finanzieren eine Nazi-Partei, deren Prügelbande die letzten Bewohner eines Altbaus, darunter Marc-Uwe (Dimitrij Schaad) und sein Beuteltier, drangsalieren. Dabei wird schon mal ein typisch Berliner Nacht-Einkaufsladen („Späti“) verwüstet oder aus Versehen Dwigs Porsche zu Schrott gehauen.

Das soziale Leben der Bewohner spielt sich meist in der Kneipe von Herta (Carmen-Maja Antoni) und einem türkischen „Späti“ ab. Wie selbstverständlich bewegt sich, ungezügelt und intellektuell zugleich, das Känguru zwischen ihnen. Mal spielt es das Haustier, mal einen findigen Rechtsanwalt, manchmal gibt es seinem Mitbewohner sogar Tipps, wie der die alleinerziehende Mari (Rosalie Thomass) becircen könnte. Nebenbei: Seine Eltern schenkten dem schüchternen Marc-Uwe zehn Psychoanalyse-Stunden, die er bei einem schrägen Wiener Psychiater absitzt. Aus machtgeiler Bosheit will Dwigs eines der letzten alten Häuser abreißen und darauf einen riesigen Turm bauen. Ohne allzu viel zu verraten kann man sagen, dass ihm das nicht gelingen wird, weil Mari fantastische digitale Kenntnisse besitzt.

Die filmische Umsetzung der Chroniken ist kein linksradikaler Politklamauk und schon gar keine, Burleske zum schenkelklopfenden Ablachen. Es ist eine liebevolle aber reichlich übertriebene Erzählung von denen da oben und den Menschen dort unten. Weiterlesen

Kann Mia die Welt retten? Über den Film „Electric Girl“

Die aufgedrehte dreiundzwanzigjährige Studentin, Barfrau und Poetry Slammerin, will die Welt retten. Doch anders als wir früher oder Fridays for Future heute, will Mia (Victoria Schult) das ganz alleine machen: „Denn nur ich kann die feindlichen Mächte sehen!“, verkündet sie.

Theatralisch und hektisch düst sie durch den Alltag, scheint selten zu schlafen und versucht vergeblich Verbündete zu gewinnen. Doch nur ihr älterer, etwas verwahrloster Nachbar Kristof (Hans-Jochen Wagner) spielt eine Zeitlang mit.

Zufällig bekam Mia die Rolle als deutsche Synchronsprecherin in einem japanischen Animationsfilm, in dem Superheldin Kimiko alleine die Welt befreit. Während der Arbeit am Film identifiziert sie sich mehr und mehr mit der Heroine. Anfangs verschwimmen die Kinobilder zwischen den verschiedenen Welten, bis Mia schließlich selbst erlebt, wie sich auch in Hamburg die bösen Mächte mithilfe des elektrischen Stroms zu schaffen machen. Wie bekifft oder auf einem LSD-Trip versucht sie Freundinnen für ihren Abwehrkampf zu gewinnen: „Ich weiß, was ihr nicht wisst!“. Doch vergeblich, ihr Umfeld zweifelt eher an Mias seelischer und geistiger Gesundheit.

Mittlerweise sieht sie mit ihrer lila Perücke und dem gelben Mantel aus wie Kimiko. In diesem Aufzug taucht sie auch bei ihrer Familie auf, um den schwer kranken Vater zu besuchen und provoziert einen lebensgefährlichen Skandal. Einige Ereignisse scheinen aber ihrem möglichen Wahn zu widersprechen und überraschen auch uns Zuschauer: Mia hält wirklich einen Bus mit einer Kung-Fu-Bewegung an, springt von einem Hausdach und rettet einen Mann, der ohnmächtig vor die Hamburger U-Bahn zu gleiten droht.

Regisseurin Ziska Riemann (nein, nicht die Tochter von Katja Riemann) unterlegt häufig die Handlung mit bizarren Geräuschen und bedrohlicher Neuer Musik. Das schafft eine düstere Unterströmung, die sowohl die reale Bedrohung der Menschheit als auch den manischen Wahn Mias suggeriert. Der Film changiert zwischen diesen beiden Polen und der Schluss, der hier ausnahmsweise mal in einer Rezension angedeutet wird, bleibt offen. Ein wenig so wie in Andrei Tarkowskis „Opfer“: Am Ende des Films weiß man ja ebenfalls nicht, war der Protagonist verrückt oder hat er mit seiner Hingabe wirklich eine Katastrophe verhindert? Weiterlesen