Interview mit Nina Hoss

„Pelikanblut“ und „Schwesterlein“ – erst jetzt kommen zwei Filme mit Nina Hoss in die Kinos, die bereits vor der Corona-Pandemie anlaufen sollten. In „Pelikanblut“ spielt sie Wiebke, eine Mutter, die mit allen Mitteln um das Vertrauen ihres zweiten Adoptivkindes Raya kämpft. Der Streifen „Schwesterlein“ zeigt sie als Lisa im Ringen mit dem Tod des kranken Zwillingsbruders (siehe Filmbesprechungen). In beiden Filmen hat man das Gefühl, dass die Schauspielerin selbst an ihre Grenzen geht. Aber gar nicht durch dramatisches oder exzessives Spiel, sondern durch spürbare Einfühlung in die Figuren und die Authentizität ihrer Darstellung.

Beide von ihr gespielten Frauen kämpfen (scheinbar) mit fehlender instrumenteller Vernunft und akademischer Logik – ohne Rücksicht auf ihr mahnendes Umfeld – gegen ein unabänderliches Schicksal. Im Gespräch geht Nina Hoss tief in die Details, sagt aber viel Allgemeines über die von ihr dargestellten Frauen und ihre Arbeit.

Frage: 
Sind die beiden Figuren besessen oder sind sie voller Glaube, Liebe, Hoffnung?

(lacht) Ich kann die Kraft beider Frauen individuell erklären: Wiebke weiß in „Pelikanblut“ als „Horsemanship“-Frau,hier sagt man fälschlich Pferdeflüsterin, dass Tiere trotz schlechter Erfahrungen mit Menschen wieder Vertrauen gewinnen können: Ohne Druck und Gewalt. Was sie da verstanden hat, will sie auch mit ihrem neuen Adoptivkind verwirklichen. Sie ist ja eine unglaublich einfühlsame Frau, die Vertrauen herstellen kann. 

Den beiden Mädchen aus Bulgarien, nur da darf man sie als alleinerziehende berufstätige Frau adoptieren, will Wiebke auf ihrer „Ranch“ größtmögliche Freiheit und Entwicklungsmöglichkeit gewähren. Jetzt funktioniert das aber nicht so, wie sie es sich vorgestellt hat. Was heißt das, wenn ich auf Widersprüche, auf Hindernisse stoße? Wie schnell sage ich, ach, das lasse ich sein und gebe den anderen auf… 

Frage 
…das ist in Wiebkes Leben nicht vorgesehen?

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Zum Film „Pelikanblut“

Nach einem alten Mythos hacken sich Pelikanweibchen die Brust auf, um mit dem Blut ihre toten Jungen ins Leben zurückzuholen. Diese frühchristliche Metapher des Filmtitels scheint auch das Handeln der alleinerziehenden Pflegemutter Wiebke (Nina Hoss) zu bestimmen.

Als sich ihr zweites neues Adoptivkind Raya (Katerina Lipovska) als garstiges Monster und „emotional totes Kind“ (so Regisseurin Katrin Gebbe) entpuppt, wird sie – im übertragenen Sinn – zum Pelikanweibchen. Sie schleppt die Fünfjährige den ganzen Tag lang im Wickeltuch herum, besorgt sich illegale, Muttermilch fördernde Medikamente, um das Kind zu säugen. So will sie an frühe Entwicklungsphasen anknüpfen, als Raya noch beziehungsfähig war. Denn das bulgarische Waisenkind ist schwer traumatisiert…

Aber erzählen wir die Geschichte der Reihe nach:
Wiebke ist eine leicht amerikanisch angehauchte Pferdezüchterin, die für eine Reiterstaffel der Polizei junge Pferde dressiert. Mit ihrer neunjährigen Adoptivtochter Nicolina versteht sie sich großartig, bis das neue Adoptivkind ins Haus kommt. Für kurze Zeit passt Raya sich an und Nicolina freut sich über ihre Schwester. Doch nach und nach wird Raya nicht nur ihrer großen Schwester immer unheimlicher: Sie bunkert Essen, schmiert mit Kot, legt Feuer, quält oder sexualisiert andere Kinder bis die Eltern sie aus der Kita rausschmeißen: „Die ist krank! Die muss weg!“

Das stellt letztlich auch ein Kinderpsychologe fest. Wiebke muss erkennen, dass Liebe und konsequentes Handeln alleine keine Heilung bringen. Doch sie merkt auch, dass gestörte Kinder nicht wie Pferde dressiert werden können. Jedoch als sie das Kind in eine Spezialklinik bringen will, rennt es weg und schreit plötzlich „Mama!“

Wiebke bildet parallel zu dieser Geschichte Polizeipferde aus und zähmt für eine Polizistin (und mit ihr) einen wilden Hengst. Auf einer richtigen Demo dreht das Tier durch, verletzt Demonstranten, wirft seine Reiterin ab und wird erschossen. Das kann man mit dem wilden Kind nicht machen – doch als mit Raya gar nichts mehr geht, schlägt der sozialpädagogisch anmutende Psychothriller in ein anderes Genre um: Weiterlesen