Zwischen Nonsens und Selbstreflexion

Poetry-Slam mit Lars Ruppel im KulturWerk:
Die Aneinanderreihung von Schriftzeichen / man nennt sie Wörter, die etwas bezeichnen / sie flatterten, flogen, piekten oder bohrten / sich fürchterlich geschwind durch unsere Ohren… 

Oder um es nun im Zeitungsdeutsch auszudrücken: Die poetischen Wortkaskaden, die am KulturWerk-Abend auf das Publikum herabprasselten, ließen sich kaum mitschreiben. Diesem Poetry-Slam-Sturzbach ging ein Workshop von Lars Ruppel mit 16 Schülern und Schülerinnen im Hutten-Gymnasium voraus. Bereits am Nachmittag motivierte er die Jugendlichen den inneren Deutschlehrer zu ignorieren und frei von gewohnten Sprachzwängen, einfach drauflos zu dichten. Um „neue Welten zu erschaffen“ bot er ihnen außergewöhnliche Spiele mit Wörtern an. 

Der Poet ermunterte sie, etwa tief im Wortschatzkästchen, unbekannte Synonyme zu suchen: Was kann man denn für Hund oder zum Fliegen sagen (siehe oben die von ihm inspirierte Einleitung des Verfassers dieser Zeilen). Oder das Sprachspiel, schnell sagt nacheinander jeder ein Wort zu einer Geschichte, in einem vorher festgelegten Genre. Heraus kamen absurde, surreale, deutschfehlerhafte und wenig logische Erzählungen. Aber genau mit diesem Spiel schuf er auch abends im Publikum eine entspannte und kreative Atmosphäre. Darin trauten sich sieben Jugendliche mit ihren Texten auf die Bühne und slammten ausdrucksstark über ihr Leben. 

Daraus wollen wir hier klitzekleine Auszüge zitieren. Kathi spielte mit Zahlen und dem Älterwerden: „Mit dreißig dann der erste Schock / Wo ist die Zeit geblieben?“ Pia erkannte, „tausch doch dein Gewissen ein / schuldig will hier keiner sein!“ Kilian fragte, „wer bin ich / ich bin ein lebender Mensch / bin ein liebender Mensch.“ Tim träumte, „ich bin gar nicht hier / zumindest wünsch ich es mir.“ Frida war richtig sauer, „nicht allein durch die nächtlichen Straßen gehen zu können / doch ich liebe das Leben.“ Michelle „sieht in die Zukunft und wird nicht schlau draus“, glaubt aber optimistisch, „dass ich alles schaffen kann.“

Philipp dachte darüber nach, „was soll ich werden? Was ist das Richtige für mich.“ Eine hervorragende Abi-Rede freute sich Moderator Ruppel, der die Themen der jungen Leute jedes Mal aufnahm und kommentierte. Blitzschnell trug er zwischen ihren Auftritten Assoziationen dazu bei, erzählte witzige oder makabre Erinnerungen an die eigene Jugend („Meine Mutter weinte als ich Dichter werden wollte“) und deklamierte seine Gedichte. 

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KulturWerk-Festival in Schlüchtern: Multimediales Spektakel „Zuckererbsen für jedermann“ (2)

 

Auf ihrem Festival in Schlüchtern präsentierten KulturWerker aus diversen künstlerischen Bereichen ihre diesjährige Eigenproduktion. Das begeisterte Publikum erlebte eine Theatercollage aus poetischen, düsteren und surrealen Bildern zu Heinrich Heines „Deutschland. Ein Wintermärchen“.

„Im traurigen Monat November war’s / Die Tage wurden trüber…“ So beginnt Heines Vers-Epos, so begann auch das KulturWerk-Projekt an dem trüben Novemberabend, das wichtige Stationen der Reise des Dichters in Szene setzte. Als die Zuschauer durch eine Mauer aus großen Kartons gelassen wurden, erlebten sie deutsche Kleinstaaterei, wie einst der Poet nach seiner Rückkehr aus Frankreich: „Kommen sie nach Darmstadt“ oder „In Bayärn, I’ sag’s Oich“, warben die Akteure.

„Sei mir gegrüßt, mein Sauerkraut“, Schauspieler Alex Finkel sprach Heines Lob des deutschen Essens, das hinter der Schattenleinwand aufgetischt wurde. Auch zu den folgenden Szenen rezitierte er längere Textpassagen und spielte oft die Rolle als Dichter. Die Pappkartons, die vorher die Grenze bildeten, wurden umgeräumt zum Bett des „Vater Rheins“, in dem kleine, blau beleuchtete Balletteusen zwischen Plastikplanen das Wasser tanzten: „Da sah ich fließen den Vater Rhein / Im stillen Mondenglanze.“

Doch nach diesen schwärmerischen Szenen brachen böse Feindbilder auf: Ein Franzose (Luc Laignel) und ein Deutscher (Arnold Pfeifer) stritten über den Fluss hinweg: „Ihr Kartoffelfresser.“ „Sie sollen ihn nicht haben / den freien deutschen Rhein!“face-1992.jpg

„Und viele Bücher trag ich im Kopf!“ Die Schattenspielerin (Hannah Wölfel) verleibte sich damals verbotene Bücher ein, während Tänzerinnen (Monica und Julie Opsahl, Jana Quilitz) äußere und innere Zensur ausdrückten. Mit einem derben Stocktanz trieben sie dann den Heine-Darsteller in die Enge, der die legendären Sätze deklamierte: „Ein neues Lied, ein besseres Lied / Oh Freunde, will ich
euch dichten! / Wir wollen hier auf Erden schon / Das Himmelreich errichten.“ Später begegnete der Dichter im deutschen Wald den wilden Wölfen und bekannte, selbst einer der ihren zu sein.

Um das multimediale Stück zu „verstehen“, musste man kein Kenner des „Wintermärchens“ sein. Die mal bedrohlichen, mal verträumten Szenen sprachen für sich und wurden noch klarer durch die Texte. Auch die Absichten der KulturWerker waren deutlich, etwa die damaligen Feindbilder zu zeigen, die sich heute bei Flüchtlingen manifestieren. Eindeutig war die Botschaft des Stücks, nachdem die Spieler von den kleinen, nun weißen Tänzerinnen aus kartonierten Schützengräben befreit wurden: Weiterlesen

KulturWerk-Festival in der alten Fabrikhalle in Schlüchtern „Zuckererbsen für jedermann“ (1)

 

„Wish you were here“ – mit dem Pink-Floyd-Song eröffneten die Gibsies, die Haus-Band der Künstlervereinigung, die Festspiele. Wie immer kamen viele Besucher diesem Wunsch nach. „Zuckererbsen für jedermann“ lautet das diesjährige Motto der KulturWerker (wir berichteten). Die poetische Forderung des Dichters Heinrich Heine (1797 – 1857) wurde noch von der im Frühjahr gestorbenen KulturWerkerin Dorle Obländer angeregt. Ihr galt natürlich auch der Eröffnungs-Song: „Wish you were here!“

Der Malerin und Bildhauerin ist die begleitende Kunstausstellung gewidmet, in der ihre letzten Arbeiten, 19 von 30 Märchenbildern, präsentiert werden. Alle haben das gleiche Format von 60 x 60 cm und sind im typischen „Dorle-Stil“ mit kräftigen Acryl-Farben und wenig Hintergrund gestaltet. Sie zeigen bekannte Märchensituationen, etwa die auf einer aufplatzenden Schote sitzende „Prinzessin auf der Erbse“ oder das „Rumpelstilzchen“. Jedoch bei „Schneewittchen“ sieht man nur die unglücklichen Zwerge, bei „Aschenputtel“ bloß die blinden verkrüppelten Schwestern. Obländers Bilder arbeiten also häufig visuell den Kern mancher Märchen heraus. Gerne interpretieren sie jedoch die vorgegebenen Situationen, machen die Betrachter neugierig und werfen Fragen auf:

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Der Fälscher und der lachende König – das KulturWerk-Festival vom 12. bis 22. November in Schlüchtern (Osthessen)

Am Donnerstag beginnt das 6. herbstliche Festival des Schlüchterner KulturWerks. Die Bildenden Künstler, Tänzerinnen und Theatermacher haben wieder ein interessantes Programm mit eigenen Veranstaltungen und Gästen zusammengestellt. Als Belohnung für das treue Publikum gibt es nun, nach fünf Jahren, zwei herausragende Veranstaltungen bekannter Künstler: Quadro Nuevo präsentiert ihr neues Programm „Tango“ und Michael Quast zelebriert mit Sabine Fischmann seinen „Don Giovanni á trois“

Eigentlich begann das Festival schon vor längerer Zeit, denn die KulturWerker haben für die begleitende Kunstausstellung diesmal alle eingeladen die Lust hatten, sich daran zu beteiligen. Und so haben 180 Künstlerkollegen, Flüchtlinge, kleine und große Kinder, Menschen mit Behinderung und sonstige Schlüchterner Bürger quadratische Leinwände mit den Maßen 50 x 50 Zentimeter mit künstlerischen Mitteln gestaltet. Viele dieser Gestalter gehen zum ersten Mal mit einem Werk an die Öffentlichkeit, deshalb ist ihre Aufregung besonders groß.

Die KulturWerker wurden jetzt von den Bildern geradezu überschwemmt und haben mächtig viel (kreative) Arbeit, die Leinwände eng aneinander in drei Reihen aufzuhängen („Petersburger Hängung“). „Da müssen gestalterische Kontraste geschaffen werden“, erklärt KulturWerkerin Hannah Wölfel, „starke Bilder müssen neben schwächeren, dynamische neben ruhigeren hängen. Unterschiedliche Motive sollen sich ergänzen. Weiterlesen

LAND ART FESTIVAL am Fuße der Rhön in Hutten-Heiligenborn

„Kunst und Natur 3“ – zum dritten Mal arbeiten in der kommenden Woche Bildende Künstler, Tänzerinnen und Musiker in der Landschaft unterhalb der Rhön in Osthessen. Am nächsten Wochenende werden sie um Hutten-Heiligenborn ihre dort entstandenen Kunstwerke, Choreografien und weitere Arbeiten präsentieren.

Im letzten Jahr färbte Bildhauerin Hannah Wölfel Basaltblöcke auf einer großen Wiese blau ein, einige Tage später war das farbige Kunstwerk bereits wieder verschwunden. Ein von ihr mit Glasstücken gestalteter Baumstumpf ist längst mit Gras und Moos überwachsen. Solche flüchtigen Kunstwerke schufen die Pioniere der US-amerikanischen LAND ART in den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, als sie ihre New Yorker Ateliers verließen und sich bewusst vom Kunstbetrieb abwandten. Dann kam die Bewegung nach Europa, hier wurden die künstlerischen Absichten enorm verändert und ausgeweitet. LAND ART ist seitdem mehr als Naturerfahrung und kann vieles sein – diese Vielfalt wollen die KulturWerker auch bei ihrem Festival deutlich machen.

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