Siegheilkirchen

„Willkommen in Siegheilkirchen!“ Der Name des imaginären Ortes in Österreich verweist auf Nazireste und Spießertum in den Anfängen der 1960er-Jahre. Der Film basiert auf animierten aber gerade noch wie echt wirken Figuren, des 2016 gestorbenen Karikaturisten Manfred Deix. Auch für Menschen geeignet, die keine Animationsfilme mögen…

Rotzbub, der pubertierende Wirtshaussohn, zeichnet nackte Frauen, die zwei seiner geschäftstüchtigen Klassenkameraden als Wichsvorlagen verkaufen. Auf einem Bild fährt die nackte Nachbarin ihre riesigen Brüste im vorderen Fahrradkorb herum. Aus der üppigen nackten Bürgermeisterin wird eine hügelig-erotische Landschaft. 

Zur Frage in der Schule – „was will ich als Erwachsener werden?“ – fällt dem Jungen nicht viel ein. Statt den geforderten Aufsatz zu schreiben, zeichnet er ein Daumenkino, in dem sich die Nachbarin mit Rubensfigur entkleidet. Künstler will der Zwölfjährige werden, das könnte er, meint auch der lüsterne Kunstmaler aus der Großstadt. Er soll die verblassten Nazisprüche am Rathaus übermalen, treibt es mit den ledigen voluminösen Frauen im Ort und nutzt den Bub als Helfer zum Farbeanrühren.

Drumherum treiben die Altnazis ihr Unwesen, der Friseur will endlich selbst einmal Führer werden. Der Dorfpolizist ist ständig besoffen, die Bürgermeisterin korrupt, der Pfarrer ein brutaler Despot. Als sich eine Romafamilie in der Nähe von Siegheilkirchen niederlässt, planen die Rechtsradikalen ein Attentat: „Weg mit dem Ungeziefer.“ Rotzbub verliebt sich in die Tochter eines Romaweibs, die jedoch seinen Avancen zurückweist: „Du Dorftrottel!“ Mutter und Tochter sind für Zigeunerinnen, wie man sie damals beschimpfte, erstaunlich emanzipiert. Im wirklichen Leben hätten sie diese Rechte in ihrer Sippe bestimmt nicht gehabt. Rotzbub versucht gemeinsam mit einem Freund der Romas und einem kiffenden Hippie, der in Siegheilkirchen eine neue Kneipe eröffnet, den Überfall auf das Lager der Roma zu verhindern…

Spießertum, Doppelmoral, Gewalttätigkeit, Rassismus und Sex sind die Zutaten, die bereits Deix in seiner grotesken Bildergeschichte „Rotzbub“ zusammen mixte. Allenfalls Liebe und Aufrichtigkeit ermöglichen in seiner coming-of-age-Erzählung hoffnungsvolle Auswege. Bis zu seinem Tod arbeitete der Zeichner an dem Streifen mit, später konnte Markus H. Rosenmüller als Regisseur gewonnen werden, der bereits in seinem Film „Wer früher stirbt ist länger tot“ einen ähnlichen Jungen cineastisch begleitete.

Der Film bringt die gesellschaftliche Situation vor der weltweiten 68er-Revolte derb, unanständig und provozierend auf den Punkt. Es gibt viel zum Lachen – das einem manchmal allerdings im Hals steckenbleibt. Deix und seine Filmemacher wussten, aber auch wir wissen, dass sich die Verhältnisse dann doch noch radikal wandelten. Darüberhinaus ist „Willkommen in Siegheilkirchen!“ eine hinreißende Hommage an den Karikaturisten, die autobiografische Elemente enthält.

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Berlinale 2022

Gestern Abend begannen die Filmfestspiele in Berlin mit „Peter von Kant“, einer kühnen Interpretation des Fassbinder-Streifens „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ durch den Regisseur François Ozon. Der rote Teppich ist vor dem Berlinale-Palast ausgerollt und die Hauptstadt hängt voller stilisierter Bärenplakate: Die 72. Berlinale findet tatsächlich statt, wenn auch mit strengen Hygienekonzepten, 50% weniger Plätzen und einem etwas eingeschränkten Programm. Dennoch überschlugen sich hämische Kommentare in manchen Medien und Netzwerken, die Filmbranche wolle doch nur sich selber ohne Rücksicht auf Verluste feiern – aber das Gegenteil ist der Fall! Manche filmwirtschaftliche und andere Industrial Events finden eher online statt, das größte Publikumsfestival der Welt wollte jedoch die Kinofans nicht enttäuschen und zeigt 256 Filme dem öffentlichen Publikum.

Der Wettbewerb wurde um einige Tage gekürzt, die Bärenverleihung findet bereits am Mittwoch statt, dafür muss man als Journalist einige Male vier Streifen am Tag ansehen. Doch für das Publikum werden dadurch mehr Aufführungen wiederholt. Während bei den beiden anderen großen Filmfestivals in Venedig und Cannes die Stars, Cineasten und Prominenten meist unter sich bleiben, kamen in Berlin in den letzten Jahren jeweils weit über 300.000 normale Besucher und Besucherinnen in die Festival-Lichtspielhäuser. Mit dem Anspruch „Berlinale Goes on Kiez“ werden, wie in den letzten Jahren, kleinere Programmkinos in den Stadtteilen Aufführungen wiederholen. 

Das Publikum kann nun alle Filmschaffenden in diesem Jahr wieder auf dem roten Teppich, im Festspielpalast und anderen Orten live erleben. Nach der vorletzten Berlinale 2020 begann wenige Tage später der erste deutsche Lockdown mit seinen einschneidenden Konsequenzen für alle Kulturbereiche. Im letzten Jahr war das Festival zweigeteilt, wir Journalisten durften im Frühjahr sämtliche Beiträge aller Sektionen im heimischen Fernsehen oder auf dem Computer gucken, im Sommer konnte man die populärsten Streifen in Berliner Open-Air-Kinos sehen. Dort gab es dann eher fröhliche Biergartenstimmung als intensive Kinoerlebnisse.

Wie immer wird viel über den Wettbewerb mit seinen 18 Werke diskutiert: Ist es ausreichend, dass „nur“ sieben Filmemacherinnen dabei sind? Warum gibt es lediglich zwei deutsche Beiträge und nur einen aus Hollywood? Nun ja, der Anteil von weiblichen Filmschaffenden auf dem Festival war schon immer beträchtlich höher als bei vergleichbaren Events. Die Berlinale ist kein Heimatfest, es gab bisher auch viele Festspiele ohne teutonische Streifen im Wettbewerb.

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Gemalte Kunst auf Ansichtskarten…

Im Rahmen der drei Winterausstellungen der Kunststation zeigt Roland Stratmann seine Schau „WeltLäufig“. Zwei Arbeiten des Künstlers, die sich wie viele seiner Werke mit Reisen beschäftigen, gehören scheinbar zusammen.

Auf einem Bild schauen offensichtlich schwarze Jugendliche auf langen Stelzen den Betrachter von oben herab grimmig oder herausfordernd an. Unter ihnen verkünden zwei Schriftzüge: „I have never Seen such a Thing before / they don’t even have normal sidewalks.“ „So etwas habe ich noch nie gesehen, die haben nicht mal normale Bürgersteige.“ Den Hintergrund, gleichsam die Leinwand des riesigen Tableaus mit mehr als zwei mal drei Metern, bilden die in diversen Sprachen beschriebenen Rückseiten von 400 Ansichtskarten aus aller Welt. Von einer dieser einst verschickten Karten stammt die arrogante Nachricht über die fehlenden Bürgersteige. Roland Stratmann hat bei aller Komplexität seiner Objekte auch viel grotesken Humor, denn seine Konfrontation des Touristenspruchs mit der Tuschzeichnung der Kids auf Stelzen könnte meinen: wozu brauchen die denn Bürgersteige?

Auf dem Boden davor sind viele Seiten eines alten Diercke-Atlas auf einer Platte von zwei mal drei Metern ausgebreitet, darauf verteilen sich elf verschiedene Drahtfiguren. Sie beschreiten als Urlauber die Länder oder eroberten sie früher kolonialistisch und warfen ihre Schatten. Als Betrachter sieht und bringt man beide Werke zusammen, obwohl sie aus unterschiedlichen Schaffensphasen des Künstlers stammen.

Ohne dass man etwas über dieses Arrangement weiß, fasziniert es durch seine reine Anmutung. Darüberhinaus fordern beide Tableaus zur eigenen Bewegung heraus: Um das Bodenbild „WeltAtlas“ muss man herumgehen und sich bücken, an das Wandbild „I have never seen“ muss man näher herangehen, um die Postkarten erkennen oder lesen zu können. Das Bild besteht – wie die meisten Werke des Künstlers – aus verschiedenen Schichten: den handgeschriebenen Karten, einem daraus meist destillierten Spruch und den dominierenden Tuschzeichnungen (wir berichteten). In diesem „Dreischicht-Verfahren“ (Trescher) entstehen leicht reliefartige Objekte.

Die aus Datenkabeln gefertigten und dadurch symbolisch miteinander vernetzten Figuren nehmen Länder ein, hinterlassen Ökologische Fußabdrücke, werfen düstere Schatten auf Teile der Welt. Aber sind es ihre realen Silhouetten, vielleicht sind es nur die schattigen Klischees der Wesen, exotische Fantasien, die sie von den betretenen Ländern haben? Ähnliches gilt für das Stelzenlaufen der Kids, das einst in einer afrikanischen Kultur Teil eines Initiationsritus war –  heute aber bewusst als „Folklore“ für Touristen inszeniert wird. Zeigen die Gesichter der Kids postkoloniale Empörung oder sind es Fratzen für sich fürchten wollende Reisende?

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Action Painting mit Kunststoff

„Farblust – grenzenlos“ nennt Stefanie Brehm die Werke in ihrer Schau, die sie im Rahmen dreier Winterausstellungen in der Kunststation präsentiert. Ihre keramischen Objekte sind bereits ein Grenzgang zwischen Kunsthandwerk und freier Kunst, doch mit ihren expressiven farbenprächtigen Gemälden in riesigen Formaten, löst sie sich auch noch völlig von Bildträgern.

Denn die blau-grün-gelben oder blau-weißen Farben scheinen direkt an die Wände gegossen, geschüttet und gespritzt worden zu sein. Die gläsern wirkenden Arrangements vermitteln beim Betrachter Gefühle reiner Dynamik und greller Wildheit. Sie symbolisieren nichts, stellen nichts dar, sondern spiegeln allenfalls den inneren Zustand der Künstlerin im Gestaltungsprozess wider. Als „deutungsoffen“ bezeichnet Brehm deshalb selbst ihre Arbeiten.

Es sind jedoch keine flachen Glasreliefs die man sieht, sondern Objekte aus dem künstlichen Stoff Polyurethan. Im flüssigen Zustand lässt sich das eingefärbte Material durch Action Painting – also Aktionsmalerei – auf Flächen auftragen ohne sich mit ihnen zu verbinden. Dadurch entstehen diese fragilen Gebilde, welche die Künstlerin dann aufwendig direkt an den Wänden befestigt. 

Die Polystücke seien eine „fluide Spielerei“ aus Spannung und Gleichgewicht, kommentiert Professor Johannes Kirschenmann ihre Arbeitsweise mit dem Werkstoff aus Plastik. Das Verfahren ist einerseits die Fortsetzung ihrer ursprünglichen Ölmalerei, die sie einst in der Münchener Akademie erkundete. Andererseits verweist die glasartige Wirkung des Kunststoffes auch auf die Verwandtschaft mit ihren glasierten Stücken in der Kleinsassener Ausstellung. 

Immer noch kann uns in diesen tristen, durch Klimawandel und Corona geprägten Zeiten, die „grenzenlose Farblust“ Brehms anstecken und unsere Stimmung farbenfreudig einfärben. 

Info:
„Farblust- grenzenlos“ und die übrigen Ausstellungen sind bis zum 27. Februar zu sehen. Öffnungszeiten: Donnerstags bis sonntags von 13 bis 17 Uhr.
www.kunststation-kleinsassen.de

Warme Farben gegen das Grau und die Kälte

Zum Beginn der Winterausstellung ist die Kunststation in der Rhön nicht romantisch eingeschneit, ihre Umgebung ist grau in grau, nass und kalt. Wie gut tut es, in die Schau „Farblust – grenzenlos“ von Stefanie Brehm einzutauchen, zwischen ihren fröhlichen vielfarbigen Objekten aus Keramik oder Kunststoff gute Laune zu bekommen. 

Die Künstlerin hatte einst Keramikerin, also Töpferin gelernt, was man ihren kleineren, wunderbar glasierten Arbeiten in der Ausstellung auch ansieht. Es sind aber keine Gefäße zum Gebrauch obwohl sie wie Dosen wirken, sondern winzige Skulpturen oder wie die Töpfer sagen: Zierstücke. Jedoch mit ihren lebensgroßen, aus Ton montierten, oben geschlossenen und polychrom glasierten Zylindern verlässt Brehm das Kunsthandwerk und kreiert autonome Skulpturen. Man kann um sie herumgehen ohne dass die Farbe aufhört: Das Farblust ist tatsächlich grenzenlos. Die Säulen „wollen umtanzt werden, angeregt von Verve und Beschwingtheit des Farbauftrags“, meint Kuratorin Dr. Elisabeth Heil. Ist bei den keramischen Arbeiten noch ein, im weitesten Sinn getöpferter Bildträger vorhanden, so löst sich die Künstlerin mit ihren Werken aus Kunststoff (Polyuretan), den sie in flüssigem Zustand gestaltet, scheinbar völlig von Trägern. Die ausgehärteten, ebenfalls kräftig eingefärbten Objekte, montiert sie direkt an den Wänden.

Roland Stratmann überrascht das Publikum in seiner Ausstellung „WeltLäufig“ zunächst mit einem riesigen, aus Klamotten gestalteten Nashorn, das sich selbst auf einem Abbild zu betrachten scheint. Diese Installation ist Teil eines komplexen ästhetischen Projektes, das der Künstler mit Jugendlichen verwirklichte. Die Zusammenarbeit mit anderen Menschen, auch in fremden Kulturen, ist für ihn ebenso eine Notwendigkeit wie die Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Themen. 

Sein Nashornbild, dem Rhinozeros Albrecht Dürers nachempfunden, ist typisch für viele weitere Arbeiten seiner Schau, in denen er Ansichtskarten als Bildträger nutzt. Diese postalischen Grüße mit Landschafts, Stadt- oder Kunstmotiven, versehen mit persönlichen Zeilen, wurden früher massenhaft verschickt. Der Künstler sucht und sammelt diese Karten, die er thematisch sortiert und zusammenstellt. Er befestigt die beschriebenen Seiten aneinander und nutzt sie als Untergrund, auf den er Zitate aus den Reisetexten schreibt und sie mit irritierenden Bildern versieht. Auf sein mit Zeichentusche gestaltetes Nashorn schreibt er: „Viele Grüße an alle die nach mir fragen.“ Denn das von Dürer auf einem Holzschnitt dargestellte Tier versank mit dem Transportschiff, er musste es im Jahr 1515 aus Erzählungen gestalten. Stratmanns vieldeutige Arbeiten transformieren seine Fundstücke in eigenständige Kunstwerke, die uns auf Reisen in seine eigenartigen Bildwelten mitnehmen.

Reisen dürfen auch Kunstschaffende aus dem Görlitzer oder Fuldaer Raum auf der Via Regia in die jeweilige Partnerstadt, wenn sie für ein monatliches Arbeits-Stipendium vorgeschlagen werden.

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Neue Objekte im Skulpturengarten der Kunststation

Gerade in den Zeiten, als die Ausstellungshallen in Kleinsassen geschlossen oder nur eingeschränkt besuchbar waren, bekam der Skulpturengarten um die Kunststation herum wieder mehr Aufmerksamkeit. In der letzten Zeit sind auf dem ständig zugänglichen Anwesen weitere künstlerische Objekte aufgestellt oder montiert worden. 

Im großen Baum vor der Ausstellungshalle schwankt oder dreht sich ein großes Spiegelobjekt im Wind und bildet, manchmal wie ein schneller Film, im Wechsel Äste mit Blättern, den nahen Kirchturm oder den Himmel ab. Das Kunstwerk „Lichteinfall“ ist eine Dauerleihgabe des Schlüchterner Künstlers und Architekten Gerwin von Monkiewitsch. Seit einigen Jahren kreiert er die spiegelnden Blechplastiken, die einerseits als Fremdkörper in der Landschaft stören, andererseits aber die Anmutung der Natur durch ihre Wiedergabe verstärken.

In einem zweiwöchigen Symposium im September vor der Station, schufen die Bildhauer Lothar Nickel und Johannes Klüber, aus einem tonnenschweren Marmorblock bzw. einem riesigen Holzstamm, neue Objekte für die Anlage. Zum ersten Mal kreuzten sich die Wege der Künstler, obwohl beide schon lange in der Region leben und arbeiten. Trotz ihrer unterschiedlichen Arbeitsweisen entdeckten sie viele Gemeinsamkeiten. Beide waren vor allem mit der Frage beschäftigt, „was macht die Form mit dem Raum?“ Die Natur nimmt die Größe der Kunstwerke problemlos auf, aber im Skulpturengarten entstehen zwischen den vorhandenen Plastiken sofort Beziehungen – die es zu beachten gilt. Bei gutem Wetter stieß Ihre öffentliche Arbeit auf reges Publikumsinteresse, viele Leute haben nur zugesehen, mit anderen gab es aber auch intensive Gespräche. 

Mittlerweile sind beide Objekte auf dem Gelände aufgestellt: Klübers eher reduzierte und konzeptionelle Holzsäule mit spannungsreichen lichtdurchlässigen Einschnitten und den eingekerbten Worten „Baum Art / Stamm Art / Stand Art / Eiche“. Nickel schuf eine figurative Plastik, das weiße „Himalalama“, das er schon einmal wesentlich größer im italienischen Carara unterhalb der Marmorbrüche herstellte. Mit ihrer Werkschau sind die beiden Künstler auch in der laufenden Herbst- Ausstellung der Station präsent (wir berichteten). 

Bereits im Sommer fertigte Hama Lohrmann mit Rhönsteinen sein „Kosmisches Wurmloch“. Das Land-Art-Projekt war von der Kunststation eigentlich für den – ausgefallenen – Hessentag in Fulda geplant und schmückt nun den Skulpturenpark. Weichen musste dafür die einnehmende Stahlplastik Matti Kujasalos, die demnächst auf dem nahen Hügel oberhalb des Kunsthauses einen neuen Platz finden wird.

Info:
Flyer zum Herunterladen auf der Webseite www.kunststation-kleinsassen.de

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„Grenzgänge“ im Kunstverein Fulda

Marlies Pufahl, Gerlinde Kielburger und Wolf Bach stellen ihre Arbeiten zum Thema „Grenzgang“ aus. Die Kunstschaffenden präsentieren eine spannende kontrastreiche Ausstellung, die „zwischen Realität und Fiktion“ changiert, so der Untertitel.

In den Galerieräumen beeindrucken den Besucher gleich auf den ersten Blick die lebensgroßen roten Skulpturen Pufahls. Es sind weiblich wirkende Figuren, die von ihr aus groben, unterschiedlich geformten Keramikplatten zusammengesetzt und schwarz verfugt wurden. Diese Wesen selbst sind erkennbare und doch unbestimmte, zerbrechliche und zugleich kraftvolle Grenzgängerinnen – sie vereinigen in sich diese Gegensätze. Zu ihnen gesellt sich eine reduzierte, gerade noch menschlich wirkende grau-weiße Gestalt. Sie sieht wie ein aus Steinen geschichtetes Objekt aus, das zu zwei Bildern Bachs hinter ihr zu gehören scheint. Darauf sind von ihm getürmte graue Findlinge mit menschlichen Zügen dargestellt, welche er mit „Die Schöne und das Tier“ betitelt (Foto unten).

Als nächstes Objekt irritiert ein Gemälde des Künstlers, das von weitem wie eine mit Felsen umsäumte Meerlandschaft aussieht. Doch in deren Mitte bewegt sich etwas brausend Blau-Weißes. Erst beim Näherkommen erkennt man einen, in das Werk collagierten digitalen Schirm der fließendes Wasser zeigt. Fasziniert geht man vor und zurück, um den Moment des Erkennens zu wiederholen. Auch die weiteren Arbeiten des Künstlers sind Grenzgänge zwischen Abbildern und Collagen, in denen er Malereien rauer Landschaften mit Alltagsmaterialien wie Karton, Sand, Holzstückchen oder Wachs verbindet.

Im Kaminsalon staunt man über die rot glühenden Gemälde Gerlinde Kielburgers, die den Betrachter als bedrohliche Wiedergabe der Vulkanausbrüche auf La Palma anmuten. Berge sollen es sein die sie ausstellt, doch die Bilder drücken eigentlich bewusst ihre Gefühle aus. Neben den Gebirgsmassiven könnten auch rasende Fluten oder heftige Stürme die Künstlerin bewegt haben. Ihre Emotionen, etwa Erhabenheit oder Überwältigung, lassen sich beim Betrachten nachempfinden, weil sie die farbkräftigen Gestaltungen oft auf reine Kraft, Bewegung und Dynamik reduziert. Neuerdings experimentiert sie mit Materialien wie Asche, Kaffee oder Eisenspänen, die sie den Acrylfarben untermischt. Dadurch werden die Oberflächen ihrer Arbeiten leicht reliefartig, was die expressive Anmutung noch verstärkt.

Auch Bach hat eine Serie kleinerer Collagen geschaffen, die im weitesten Sinn Landschaften darstellen. Kritisch setzt er sich in den, manchmal abstrahierten Materialcollagen, mit Monokulturen und anderen Umweltsünden auseinander. „Meine Urlaubsbilder“, meint er spöttisch zu den Grenzgängen zwischen Mahnung und Ästhetik. Neben dieser Serie oder den Gebirgen Kielburgers findet man in der Galerie auch kleinere weibliche Figuren Pufahls. Sie sind ebenfalls grob montiert –

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Geheimnisvolle Aktionsräume von Christofer Kochs

Christofer Kochs zeigt seine Arbeiten in der Herbstausstellung der Kunststation unter dem Titel „Die Rückseite der Wirklichkeit“. Der vielseitige Künstler malt mit satten Ölfarben, druckt Holzschnitte und koloriert sie nach oder modelliert mit der Kettensäge Holz-Skulpturen, die er kräftig einfärbt.

Das Besondere seiner Malerei ist, dass er die Leinwände vor dem Bemalen knickt, faltet oder gerissene Streifen hinzufügt. Dadurch entstehen leicht reliefartige Oberflächen, in deren Räumen die aufgemalten Menschen einen „Aktionsort“ finden: „Sie leben mit und gegen das Vorgefundene und überwinden es schwebend“, meint Kuratorin Dr. Elisabeth Heil, sie „kommen auch ohne reiche Naturdetails oder Architekturen aus.“

Die heute vorgestellte Arbeit mit dem Titel „Wimpernschlag der Endlichkeit“ ist eine Collage. Das Hemd, das der gefalteten Leinwand hinzugefügt wurde, verschwindet durch die Übermalung im düsteren Hintergrund. Eine weißliche, transparente Figur liegt unten im Bild. Doch trotz der figurativen Gestaltung hat auch dieses rätselhafte Gemälde des Künstlers – wie alle Werke in seiner Ausstellung – etwas Unwirkliches. Kochs kreiert keine mimetischen Abbildungen, seine Objekte entwickeln ihre eigene Realität. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch die Faltungen, die oft am unteren Bildrand eine Art Bühne schaffen, auf der nur theatralische, keine realen Ereignisse angespielt werden. 

Im Hintergrund der Collage vermittelt die sternenartige Kulisse möglicherweise die Weite des Alls, das Hemd verweist vielleicht auf menschliche Kultur. Etwas verdrehte oder aufgerollte Gebilde mit Streifen wirken dynamisch, denunzieren jedoch den Hintergrund als Staffage. Farbenfrohe aber undefinierbare Objekte, vielleicht fette exotische Früchte, locken das weiße Wesen oder baumeln unheilschwanger darüber: Die menschliche Figur – oder ihr zurück gebliebener Umriss – existiert zwischen Bühne und Kulisse. 

Von außen scheint die benachbarte Holzskulptur zuzugucken – oder war sie es, die sich aus dem Werk befreite? Bestimmt schuf Kochs sie nicht als Pendant zum Gemälde, aber sie wurde nicht beliebig dorthin dekoriert. Das so zu sehen und darüber nachzudenken ist erwünscht, denn der Künstler gestaltet keine in sich geschlossenen Geschichten. Vielmehr bewirkt er mit seinen kryptischen Werken Anreize zum Weitererzählen und Träumen. Keinesfalls bewusst verrätselt er die Arbeiten, auch nicht diese Collage, sondern sie entwickeln sich so im Prozess seiner Formgebung.

Der Titel „Wimpernschlag der Endlichkeit“ fördert freie Assoziationen und eigene Interpretationen: Ist die begrenzte menschliche Existenz nur ein Wimpernschlag angesichts der Ewigkeit? Zeigt das Bild einen Moment der berstenden Wirklichkeit? Geht es um den Tod im endlichen Menschenleben? Die Arbeit erinnert an das Todespoem „Abschied“

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Eine Zusammenarbeit von Künstler & Natur

Jens Rausch (45) ist einer der drei Künstler, der seine neuen Arbeiten in der Herbstausstellung der Kunststation in Kleinsassen (Rhön), unter dem eigenen Titel „Echo 2“ präsentiert. Er ist in Fulda aufgewachsen, hat hier studiert und lebt jetzt in Hamburg.  

Bereits im letzten Jahr entsandte ihn die Kunststation – im Rahmen des Via-Regia-Künstleraustausches – ins Schloss Königstein bei Görlitz. Bei der Führung durch die aktuelle Ausstellung deutet Kuratorin Dr. Elisabeth Heil auf die Kreationen „Entkernung“ und „Feldstudie“. „Das sind ältere Arbeiten“, meint sie lächelnd, „doch die sind gerade mal drei Jahre alt.“ Der experimentierfreudige Künstler entwickelte sich rasant weiter und schuf in kurzer Zeit ein gewaltiges Oeuvre. Seine früheren Werke, etwa die Sonnenblumenfelder, wirken beim flüchtigen Hinschauen wie Abbilder. Doch Rausch strebt keine Wiedergabe der Natur an, kreierte noch nie gefällige Landschaften. 

Nun weisen die Oberflächen der Materialbilder häufiger zentimeterdicke Krusten und Belage auf. Immer stärker nutzt er dazu natürliche Substanzen wie Bitumen, Ruß, Asche, Metalloxyde, Kalk oder Steinmehle, die er mit Öl bindet und auf die Leinwände pinselt, schüttet oder fließen lässt. Doch mit diesen Mitteln malt er nicht anstelle von Farbpigmenten, nur gelegentlich nutzt er schwarze oder weiße Farbe „zum Nachschärfen.“ Zufälle und Veränderungen der Stoffe beim Auftragen bestimmen die Tableaus. Reines Eisen oder Kupfer oxidiert und ändert mit der Zeit die Farbe, Bitumen wandelt seinen Zustand. Rausch kann stets nur ahnen und wird immer wieder überrascht, wie sich die Objekte selber (mit-) gestalten. „Ich berge sie aus dem Material“, meint er bescheiden.

Jedoch allemal greift der Künstler ständig ein – kratzt, schabt, verwischt die Oberflächen, nutzt den Schneidbrenner, um Stellen oder Löcher abzusengen oder reißt tiefere Schichten wieder auf. Dann schimmern in neueren Werken auch Zeilen aus Telefonbüchern durch die Risse. Rausch metamorphosiert seine Materialien in natürlichen Prozessen. Kuratorin Heil erklärt, so mache er die Natur zum großen Thema seiner Kunst und bringe dadurch ein tiefes Naturerleben zur Anschauung.

Zwei neue Arbeiten, die jeweils neben einem Fenster hängen, sollen etwas näher betrachtet werden. Das Format der hohen schmalen Fenster entspricht der schlanken Bilderform. Von außen milde hereindringendes Licht verweist auf die Natur und erhellt die wie Baumstämme wirkenden Objekte. Aus dem Tableau „Entwurzelung“ hängt sogar eine echte Wurzel heraus. Im Bildnis „Einblick“ schimmern Adressfragmente eines Telefonbuchs vage durch die aufgerissene Masse. 

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Entführung in seltsame Welten

Zum 25-jährigen Jubiläum der Galerie Liebau präsentiert der international erfolgreiche Künstler Michael Jastram Bronzeskulpturen und Zeichnungen. Nicht zum ersten Mal ist der Bildhauer hier mit einer Ausstellung zu Gast.

Die Skulpturen entführen die Betrachter in merkwürdige Welten: Eine männliche Figur hockt einsam auf der Spitze eines langgezogenen, schiffsartigen Gebildes („The River“). Über eine Mauer mit Rädern reiten drei Männer auf Pferden den „Schmalen Pfad“. Einer sitzt als „Easy Rider“ auf dem Rand eines maschinenartigen Hauses mit zwei Rädern. Oft halten die Menschen Balancierstangen, wohl um an diesen seltsamen Orten nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten. 

Drei listig wirkende Frauen halten den Leib eines Mannes in einer sargartigen Kiste auf Rädern gefangen, nur der Kopf schaut hinten heraus; sie stehen auf dem Gefährt. „Urteil des Paris“ heißt diese Arbeit. Offenbar hatte der Eingesperrte keine Chance, eine der Frauen – Aphrodite, Athene oder Hera – auszuwählen, wie in der griechischen Mythologie vorgesehen. Jastram kann also auch humorvoll sein, das Oeuvre ist sowieso frei von Pathos.

Die architektonischen Gebilde sind nicht kunsthandwerklich ausgearbeitet, sondern rustikal geformt und zusammenfügt, weisen kräftige Arbeitsspuren auf. Oft verbinden steile, holperige Treppen diverse Bildteile. Grob geformt sind die Figuren, zeigen Haltungen, aber keine individuellen Züge. Oft besteht eine starke Spannung zwischen diesen singulären Wesen und den Räumen, in denen sie sich zurückzogen oder ausgesetzt wurden. Die rauen Oberflächen haben Patina angesetzt, gelegentlich schimmert die Bronze durch, aus der alle Stücke aufwendig im Wachsschmelzverfahren gegossen wurden. Behutsam sind einige Werke etwas vergoldet.

In der blendend weißen Galerie sind die Plastiken streng und zentralperspektivisch angeordnet, doch es lohnt sich näher zu treten und sie aus anderen Blickwinkeln zu sehen. Die Objekte sind nicht besonders groß, bilden nichts realistisch ab, deuten ihre Motive und Themen lediglich an – und sind doch von enormer Kraft und ziehen einen in ihren Bann. 

Mal wirken die Menschen verloren oder einsam, mal agieren sie listig in Gruppen wie die Weiber auf dem „Paris“ oder als unterschiedlich mutige Kerle auf drei Pferden. Trotz ihrer Verschiedenheit sind die Skulpturen alle leicht verrätselt und dadurch irritierend. Sie wirken wie eingefrorene Träume, in denen Fundstücke unterschiedlicher Provenienzen und Epochen miteinander verbunden oder aufeinander getürmt wurden. Man wird in andere Welten versetzt, nicht unbedingt in die Antike und schon gar nicht an wiedererkennbare Orte. Es sind durch Form und Farbe archetypisch wirkende Gebilde, die dennoch bis in die Gegenwart reichen. Ein verwirrendes Gefühl der Fremdheit stellt sich ein, das wohl Jastrams Gestalten, diese Reisenden in der Zeit, ebenfalls erleben. 

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