Berliner Theatertreffen 2025: „Kontakthof Echoes of ‘78“ von Meryl Tankard

Fünf Tänzerinnen, vier Tänzer sind übriggeblieben und begegnen sich in der Choreografie „Kontakthof Echoes of ‘78“ nach Pina Bausch von Meryl Tankard. Alt sind sie geworden, denn vor 46 Jahren gehörten sie zur Erstbesetzung dieses legendären Stücks. Doch nach wie vor sind sie einsam, flirten oder zanken sich – untereinander oder mit imaginären Gegenübern. Sie bieten sich an, zeigen ihre Körperteile, demonstrieren, was sie so können, begutachten die anderen, nähern sich an und quälen einander. 

Ihr „Kontakthof“ ist kein Raum für käufliche Liebe im engeren Sinne, sondern der Sehnsuchtsort dieser Menschen: Sie wollen wahrgenommen, berührt, geliebt werden und machen sich dafür zur käuflichen Ware. Zugleich präsentieren sie sich dem Publikum als Professionelle, als Auftretende, die gefallen müssen. Auf einer zweiten Ebene werden so auch die Zwänge des Tanztheaters zum Thema gemacht.

Dieses frühe Stück gehört zu den meist gespielten Arbeiten des Wuppertaler Tanztheaters. Bereits damals fragte sich Pina Bausch, wie das wohl wäre, es eines Tages mit ihren älter gewordenen Mitwirkenden zu inszenieren. 22 Jahre nach der Uraufführung erarbeitete sie eine Version mit Amateuren von über 65 Jahren. Kurz vor ihrem Tod entstand auch der „Kontakthof mit Jugendlichen“, der von einigen Mitarbeiterinnen ebenfalls mit Laien verwirklicht wurde. Diese Inszenierungen mit verschiedenen Generationen zeigen, dass Tanztheater nicht elitär ist, sondern alle Körper, alle Lebensalter und alle Erfahrungen einschließen kann. 

Viele Choreografien von Pina Bausch enden so wie sie begonnen haben. Man verlässt das Theater und denkt: Es hört nicht auf – das, was Menschen unternehmen, um geliebt zu werden. Wenn man das Stück Jahre später erneut sieht, hat man das Gefühl, es habe auch in der Abwesenheit nicht aufgehört. Tanzende wurden zwar ausgetauscht, andere haben die Rollen übernommen – aber das Spiel geht weiter, wie das Leben selbst.

„Echoes“ wurde im letzten Winter in Wuppertal uraufgeführt und ist nun zum Berliner Theatertreffen 2025 eingeladen worden.

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Bausch trifft Brecht. Und Weill

„Die sieben Todsünden“ von Pina Bausch in Wuppertal. Gradwanderung zwischen Empathie und Distanz: So begegnete Pina Bausch dem ewig vorwurfsvollen Zeigefinger Brechts.

Dunkel und völlig kahl ist die Bühne. Später wird im Hintergrund das Wuppertaler Symphonieorchester sichtbar. Dann beleuchtet ein Mann auf einer Leiter immerzu mit dem Scheinwerfer eine Tänzerin. Musik setzt ein. Nun stimmt Sängerin Ute Lemper die folgende Geschichte an: „Wir sind eigentlich nicht zwei Personen / sondern nur eine einzige.“ 

Sie ist die coole, planende, strenge Anna1, ihre tanzende Schwester die verrückte, verspielte, lebenslustige Anna2: Die beiden sind „aufgebrochen nach den großen Städten Amerikas“, um Geld zu verdienen für ein Haus in Louisiana. Jeder besuchte Ort steht für eine der sieben Todsünden. Unaufhörlich fordert die Schwester von Anna2, nicht den Lastern zu verfallen, sondern sich brav zu prostituieren. „Denk an das Haus in Louisiana!“ Während der durchgehenden Handlungsgesänge werden vom Wuppertaler Tanztheater Szenen angespielt, umgedeutet oder paraphrasiert: 

Anna2 wird als Hure ausstaffiert. Ein Frauenensemble bietet sich lasziv an. Sie mischt sich darunter. In der Episode „Wollust“ in Los Angeles verliebt sie sich in einen Kunden. Schwarzgekleidet formieren sich viele Tänzerinnen zu grotesk maschinenartigen Revueauftritten. Männer stampfen diagonal über die Bühne, grabschen sich nacheinander Anna2. Die wird auch vermessen und gewogen. Unaufhörlich wird sie gequält und geschunden, obwohl sie sich gelegentlich tapfer wehrt. Sehr beklemmend ist sie für das Publikum Opfer der Verhältnisse. Stärker als in der Brecht’schen Vorlage wird weniger der gesellschaftliche Hintergrund betont, sondern Annas Ausbeutung und Zerrissenheit als Ware Frau.

Puppenkarussell aus Frauen

1933 schrieb der bereits aus Deutschland geflüchtete Bertolt Brecht das Libretto für Kurt Weills satirisches „Ballett mit Gesang“, das damals von George Balanchine in Paris choreografiert wurde. Pina Bausch inszenierte „Die sieben Todsünden“ 1976, drei Jahre nach Beginn ihres Engagements in Wuppertal, als erste theatralisch-tänzerische Collage. 

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„Ich heiße Viktor. Ich bin wieder da!“

Mit einer sofort ausverkauften Neueinstudierung kommt erneut „Viktor“, das legendäre Rom-Stück von Pina Bausch, auf die Bühne des Wuppertaler Tanztheaters.


Neueinstudierung meint nicht die Veränderung oder Kürzung des wegweisenden Tanzstücks aus dem Jahr 1986, wie es einmal ein naseweiser Zahnspangen-Volontär in der ZEIT forderte. Im Gegenteil – alle Choreografien der 2009 gestorbenen Pina Bausch werden Bild für Bild, Szene für Szene detailliert und werkgetreu rekonstruiert. Dabei helfen ehemalige Tänzerinnen und Tänzer des Ensembles den Neuen oder Jungen und „übergeben“ ihre Rollen. In der aktuellen Inszenierung ist nur noch eine einzige Ballerina, Julie Anne Stanzak, aus der Originalaufführung von vor fast 40 Jahren dabei. Einige Male wurde „Viktor“ bereits in den letzten Jahrzehnten wieder auf die Bühne gebracht und hatte jeweils nichts von seiner Kraft und Berührung verloren.

Die Bühne wirkt wie eine viele Meter hohe Erdgrube, vielleicht ist es ein gigantisches offenes Grab, in dem das Ensemble agiert. Gelegentlich schippt ein Totengräber Erde herunter. Ein scheinbar lebloses Paar wird hereingetragen und auf dem Boden liegend, von einem Mann getraut. Zum Hochzeitskuss dreht er die beiden zueinander, danach rollen sie wieder einsam auseinander. Eine Frau wird in einen Teppich gewickelt. Die singende, hüpfende Tänzerin soll unter einem Wintermantel zum Schweigen gebracht werden. Zu einem bolivianischen Klagelied ruckelt eine sitzende Tänzerin, die Arme in die Luft schlingend, zur Rampe nach vorne. Sie wird von irgendjemandem zurückgeschleift und beginnt ihren tragischen, berührenden Tanz aufs Neue.

Andere Tanzende werden hereingetragen und hochgehalten. Plötzlich geht eine aufgeregte Versteigerung los, in der zum Geschrei der Auktionatorin auch Schränke, Bilder, Vasen und anderer Plunder herein- und wieder herausgeschleppt wird. Noch in der Totengrube, im Abgrund wird gefeilscht und gehandelt – aber auch geträumt und fantasiert, ein anderes Leben zu leben: Denn unaufhörlich versuchen sich hier Menschen zu finden, zueinander zu kommen. Als sich ein Paar küsst, mogelt sich eine Frau dazwischen. Verschämt lässt eine Tänzerin jemanden unter ihren Rock schauen. Mehrfach zieht sich eine andere kokett aus und ein neues Kleid an, geht lockend umher, zieht das Kleid aus und ihr erstes wieder an. Eine stopft Kalbfleisch in ihre Ballettschuhe und riskiert einen Spitzentanz. 

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„Tradition ist nicht das Bewahren der Asche…“

Beinahe ein halbes Jahrhundert nach der Uraufführung, präsentiert ein afrikanisches Tanzensemble die Wiedereinstudierung des “Frühlingsopfers“ von Pina Bausch in Wuppertal. Der Film, der die Erarbeitung des Stückes dokumentiert, erschien jetzt auf DVD.

Aggressive schwarze Tänzer stampfen rhythmisch durch Torf auf dem Bühnenboden. Verzweifelt klammern sich dunkelhäutige Tänzerinnen in weißen Kleidern aneinander, manche winden sich in der Moorerde. Eine der Frauen wird das Opfer und muss sich im roten Kleid zu Tode tanzen… Diese Performance ist kein Als-ob-Theater, die Beteiligten agieren real bis zur völligen Erschöpfung.

Vom Publikum wurde die, bis ins Detail rekonstruierte Choreografie durch die ad hoc gebildete afrikanische Compagnie, frenetisch gefeiert. Bauschs Interpretation der Ballettmusik Igor Strawinskys – in der Tradition des deutschen Ausdruckstanzes – begründete einst den internationalen Ruhm als Pionierin des Tanztheaters und ist bis heute ihr am meisten gespieltes Stück.

Dieses Event ist die erste und exemplarische Kooperation des Wuppertaler Tanztheaters mit der Pina-Bausch-Stiftung ihres Sohnes. 14 Jahre nach dem Tod der Choreografin sind die grotesken Streitereien um ihre Nachfolge überwunden. Der Ausbau des alten Stadttheaters zum Pina-Bausch-Zentrum ist planerisch vollendet, die öffentliche Finanzierung gesichert. Nach einigen Irrwegen sind die Ziele festgelegt: Ihr Werk soll gepflegt, aber ebenfalls neue Wege des Ensembles ermöglicht werden, unter anderem durch die Kooperationen mit Kunstschaffenden aus anderen Bereichen. Die Partizipation des Publikums ist angestrebt, derzeit werden 200 Laien für ein tänzerisches Straßenprojekt gesucht. 

„Tradition ist nicht das Bewahren der Asche, sondern das Schüren der Flamme.“ Das gilt für das weiterhin gezeigte choreografische Werk der Choreografin. Dessen Themen – was tun Menschen um geliebt zu werden oder der Widerspruch von Nähe und Distanz in der Liebe – sind ja weiterhin hochaktuell. Stets sind die Wuppertaler Vorstellungen ausverkauft und begeistern auch junge Leute. Alljährlich geht die Compagnie auf Welttourneen mit den rekonstruierten Stücken.

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Same, same but different…

Neue Wege des Tanztheaters Pina Bausch
Beinahe ein halbes Jahrhundert nach der Uraufführung, zelebriert ein afrikanisches Tanzensemble kraftvoll die Wiedereinstudierung des “Frühlingsopfers“ von Pina Bausch in Wuppertal.

Aggressive schwarze Tänzer stampfen rhythmisch durch Torf auf
dem Bühnenboden. Verzweifelt klammern sich dunkelhäutige Tänzerinnen in weißen Kleidern aneinander, manche winden sich in der Moorerde. Eine der Frauen wird das Opfer und muss sich im roten Kleid zu Tode tanzen… Diese Performance ist kein Als-ob-Theater, die Beteiligten agieren real bis zur Erschöpfung.

Ende Januar wurde die, bis ins Detail rekonstruierte Choreografie durch die ad hoc gebildete afrikanische Compagnie, vom Publikum frenetisch gefeiert. Pina Bauschs Interpretation der Ballettmusik Igor Strawinskys – in der Tradition des deutschen Ausdruckstanzes – begründete ihren internationalen Ruhm als Pionierin des Tanztheaters und ist bis heute ihr am meisten gespieltes Stück.

Dieses Event – mit einer weiteren Darbietung der Wuppertaler Compagnie „Café Müller“ (Foto links) und dem Duo einer jeweils sehr alten weißen und schwarzen Tänzerin „common ground“ (Foto rechts) – ist die erste und vor allem exemplarische Kooperation des Tanztheaters mit der Pina-Bausch-Stiftung. 14 Jahre nach dem Tod der Choreografin sind die grotesken Streitereien um ihre Nachfolge überwunden. Der Ausbau des alten Stadttheaters zum Pina-Bausch- Zentrum, unter anderem mit fester Spielstätte für die Truppe und ihrem Archiv, ist planerisch vollendet, die öffentliche Finanzierung gesichert.

Nach einigen Irrwegen sind die Ziele festgelegt, das Werk soll gepflegt und erhalten, aber ebenfalls neue Wege des Ensembles ermöglicht werden. Dazu sind Kooperationen mit Kunstschaffenden aus anderen Bereichen – wie Architektur, Film oder Bildender Kunst – vorgesehen. Eine stärkere Partizipation des Publikums ist angestrebt: Derzeit werden 200 Laien für ein tänzerisches Straßenprojekt in der Stadt gesucht, das der neue Intendant Boris Charmatz initiiert.

„Tradition ist nicht das Bewahren der Asche, sondern das Schüren der Flamme.“ Das wurde exemplarisch an demTanzabend deutlich und gilt für das gesamte, weiterhin gezeigte choreografische Werk der Pina Bausch. Alljährlich geht die Compagnie auf Welttourneen mit alten Stücken. Deren Themen – etwa was tun Menschen um geliebt zu werden oder der Widerspruch von Nähe und Distanz in der Liebe – sind weiterhin hochaktuell. Stets sind die Wuppertaler Vorstellungen ausverkauft und werden auch von jungen Leuten gefeiert. Viele der Neuen, die in den aufgefrischten Choreografien tanzen, kennen Pina Bausch gar nicht mehr. Ehemalige Ensemblemitglieder ermöglichen durch ihre Mitarbeit die präzise „Rollenweitergabe“:

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Gesamtkunstwerker oder Salatmacher?

Ein Besuch beim Berliner Künstler Volker März.
Kurz nach Eröffnung der Frühjahrsausstellung in der Kunststation begann der Lockdown, Jetzt ist sie wieder geöffnet, erneut kann man auch vielfältige Arbeiten von Volker März (62) erleben. Am 7. Juni liest er in der Station „Ich bin ein Stern und suche Liebe.“ Wir besuchten ihn in seinem Berliner Atelier.

„Das ist oft die pure Lust“, meint März über das Kneten seiner kleinen Tonfiguren, die zum Leben erwachen, wenn er sie nach dem Brennen bemalt. Dann sagt er einer auch schon mal: „Du bist aber ein Schöner!“ Er braucht viele dieser Gebilde, um sie in Gruppen auszustellen, mit ihnen Geschichten zu erzählen oder sie auf Reisen mitzunehmen. Manchmal illustrieren sie bereits aufgeschriebene Erzählungen, oft tauchen sie seltsam verfremdet – wie lebensgroß – in seinen Reisefotos oder Videoclips auf.

Aus dem Interview wird ein „wildes Gespräch“ mit zahlreichen Abschweifungen, in dem auch der Befrager befragt wird. Assoziativ grasen der Künstler und der Journalist die Welt ab! Jedoch ein Künstler will dieser Maler, Bildhauer, Schreiber, Reisender, Fotograf, Performer und Philosoph nicht sein. Auch kein Regisseur der Gesamtkunstwerke schafft: „Das klingt so nach Leni Riefenstahl.“ Auch über die wurde gestritten, darf man zwischen Kunstwerk und Mensch unterscheiden? Allen Ernstes will März als jemand gesehen werden, der einen guten Salat macht! Da kämen ja auch weitere gute Zutaten wie Öl, Nüsse, Käse und anderes hinein…

Er kann zuweilen selbst nicht fassen, was er schafft: Die Figuren beginnen in seinen Händen zu leben; von ihm arrangierte Installationen und Ausstellungen gelingen ohne große Pläne. Aber er betont, das habe nichts mit dem automatischen Tun der Surrealisten zu tun oder „von höheren Wesen“ erzeugte Inspirationen.

Was immer März ist – ein braver Salatmacher ist er jedenfalls nicht… Weiterlesen

Bilder- statt Tanztheater? Das erste „Neue Stück“ der Pina Bausch Compagnie

Ein Tänzer besteigt einen Stuhl am linken Rand der halbdunklen Bühne, bekommt einen weiteren Stuhl gereicht, auf den er sich stellt. Dann nimmt eine Tänzerin mit High Heels seinen Platz ein.

Mit der Zeit arbeitet sich so das ganze Ensemble zeitlupenhaft auf den Stühlen an der Rampe entlang und verschwindet allmählich am rechten Rand. Zehn Minuten lang ertönt keine Musik, nur das Scharren und Knarren der Möbel ist zu hören.

Während Einzelne im Hintergrund noch mit Stühlen balancieren oder improvisieren, scheinen auf der Bühne eigenartige Bilder auf: Ein Mann wird aus dicken Papierknäueln geschnitten, später bewundert er sich als nackter Narziss in kleinen Spiegeln, die ihm Frauen reichen. Mit einem riesigen Baum besteigt eine winzige Tänzerin das Gebirge aus grauen Matten im Hintergrund der Bühne. Eine Frau scheint mit zwölf Beinen zu tanzen. Rücklinks gleiten einzelne Menschen extrem langsam den Berg hinunter…

Diese grotesken, meist schönen, manchmal auch lasziven Bilder sind keine Zwischenstationen des Tanzes, keine eingefrorenen Bewegungsbilder, sondern überwiegend eigenständige „lebende“ Gemälde und Skulpturen. Es ist deutlich, der Gast-Choreograf Dimitris Papaioannou kommt von der Bildenden Kunst, der Performance Art und dem experimentellen Theater. Klassisch oder zeitgenössisch wird in dem neuen Stück wenig getanzt, denn der griechische Choreograf knüpft an die mittlere Schaffensphase der Bausch an, seit der wir ja wissen: „Vieles kann Tanz sein.“

Mit dem Ensemble hat er wohl ganz im Geiste der legendären Choreografin gearbeitet: Etliche Szenen entstanden wie bei ihr aus Improvisationen, selten mal zitiert er ihre typischen Tanzfiguren, etwa eine „richtig“ getanzte Diagonale. Doch ansonsten entwickelt der Grieche ein ganz und gar individuelles Bildertheater, das sich dennoch in der Tradition des Wuppertaler Tanztheaters weiß.  Weiterlesen

„Marie Curie“ – ein weiterer Film über kämpferische Frauen um 1900 in Paris

„Willst Du?“, stöhnt der Mann. „Ja!“, haucht sie – doch statt im Bett übereinander herzufallen springen beide auf und stürmen des Nachts in ihr kaltes, zugiges Labor, um wissenschaftlich zu arbeiten. Doch ganz so eine Nonne der Wissenschaft ist Marie Curie schließlich nicht, wie sich im Laufe des Films herausstellt.

Aber erzählen wir der Reihe nach: Ende des 19. Jahrhunderts musste die naturwissenschaftlich hochbegabte Polin Marie Curie (Karolina Gruszka) nach Paris gehen, weil sie nur dort studieren kann. Der Film beginnt, wie sie und ihr Mann Pierre Curie (Charles Berling) den Nobelpreis bekommen, den lediglich er entgegen nehmen darf. Die Auszeichnung erhalten die beiden für die leidenschaftliche Weiterentwicklung ihrer Radium-Krebstherapie. Als Pierre überraschend bei einem Unfall ums Leben kommt, widmet sich Marie alleine der Forschung. Um Pierres Lehrauftrag an der Sorbonne zu übernehmen oder gar in die Académie des sciences aufgenommen zu werden, stößt sie auf fast unüberwindliche Schwierigkeiten in der, von allenfalls durchschnittlich begabten Männern dominierten Wissenschaft.

Gemeinsam mit ihrem Kollegen Paul Langevin (Arieh Worthalter) setzt Marie ihre Forschungsarbeiten fort, versucht gleichzeitig aber auch bei Kindern und Studenten Forscherlust zu wecken. Aus der Arbeit mit Langevin entwickelt sich eine lange, leidenschaftliche Liebesaffäre mit dem verheirateten Kollegen. Während bekannt wird, dass sie als erste Frau den Nobelpreis für ihre wissenschaftliche Arbeit erhalten wird, geht Langevins verlassene Frau an die Öffentlichkeit. Die Pariser Gazetten geißeln die Witwe als Hure und Ehebrecherin, obwohl Langevin für seine zahllosen außerehelichen Affären bekannt ist. Das Nobel-Komitee legt Marie nahe, auf den Preis zu verzichten…

Wir hatten vor einiger Zeit  über die Filme „Paula“ und „Die Tänzerin“ berichtet (zum Link), Paula Modersohn-Becker und Luis Fuller mussten ebenfalls um die Jahrhundertwende nach Paris gehen, um als Künstlerinnen anerkannt zu werden. Dabei hatten sie es schon schwer genug – aber eine weibliche Wissenschaftlerin galt selbst im fortschrittlichen Paris als perverses, abartiges Ungeheuer. Übrigens endet der Streifen „Marie Curie“ interessanterweise mit der Rekonstruktion des Tanzes „Radium Dance“ Luis Fullers. Die Tänzerin und die Curies kannten sich und waren geschmeichelt, dass ihnen ein Tanz gewidmet wurde.

Marie wird als moderne Frau ohne Plüsch und in zeitloser Kleidung gezeigt, das historische Umfeld spielt keine große Rolle im Film. „Das soll zur Identifikation herausfordern“, meint Regisseurin Marie Noelle. Doch ist dieser Film als Zeitbild einerseits so authentisch wie „Paula“ oder „Die Tänzerin“, andererseits aber sehr viel näher an der biografischen Realität der Protagonistin. Dennoch ist er kein Biopic, weil er sich, trotz einiger Rückblenden, auf die Zeit zwischen den beiden Nobelpreisen konzentriert. Weiterlesen

Ein lebendiger Erfahrungsraum: Die Pina-Bausch-Ausstellung im Berliner Gropius-Bau

 

Diese Stimme!

großmann-klein-1010048.jpgBereits vor der Vernissage hört man aus der Menge die rauchige Stimme Mechthild Großmanns, der Staatsanwältin aus dem Münster-Tatort. Welcher Fan der Serie weiß wohl, dass die Schauspielerin als einzige „Nicht-Tänzerin“ mehr als 30 Jahre lang Mitglied im Wuppertaler Tanztheater war? Zur Eröffnung liest sie aus einer Rede der Choreografin (Foto rechts).

Im Lichthof des Gropius-Baus steht ein – erst irritierender – riesiger schwarzer Klotz. In ihm ist die Probebühne der Compagnie rekonstruiert, das 50er-Jahre-Kino „Lichtburg“. Hier hat Bausch alle ihre Stücke mit dem Ensemble entwickelt. Prächtige Kleider und feine Anzüge hängen an Garderobenständern, Spiegel an den Wänden. Ballettstangen und ein Klavier stehen am Rand. Die Tänzerin Ann Endicott (66), die von Anfang an in Wuppertal dabei war, ermuntert behutsam Besucher zur Einstudierung eines einfachen Tanzes, der „Nelken-Linie“ (siehe Kasten). Dieses „Warm-up“ zur Ausstellung wird mehrmals täglich angeboten. Staunend kann man selbst erleben, dass vieles Tanz sein kann, wie Bausch einst erklärte.

Darüberhinaus gibt es Workshops und Performances, um in der „Lichtburg“ Ensemble-Mitgliedern zu begegnen. Die Idee kam aus der Compagnie selbst, um so Besuchern einen Zugang zur seinerzeit einmaligen, neuen Arbeitsweise der Bausch zu ermöglichen: Das rekonstruierte Lichtspielhaus wird zum lebendigen Erfahrungsraum…

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