Leichen pflastern seinen Weg: Richard III

Ella Späte, die Kulturpreisträgerin des Main-Kinzig-Kreises, entwarf die Komplettausstattung für das sensationell inszenierte Shakespeare’sche Drama „Richard III“ im Theater Plauen-Zwickau. Die bundesweit gefragte Bühnen- und Kostümbildnerin ist Partnerin des Steinauer Theatriums, das in Osthessen durch sein Figurentheater bekannt wurde.

Für „Richard III“, den größten Bösewicht der Theatergeschichte, entwarf sie das Bühnenbild, die Kostüme und Masken, sowie die etwa 50 Puppen und Figuren, die mit den sechs Schauspielerinnen in diesem Stück agieren. Viele ihrer Geschöpfe verkörpern Massenszenen, doch 15 von ihnen haben sogar Namen und Rollen. Ständig stolpern die Akteure über auf der Bühne liegende Gestalten, die von Richard getötete Rivalen symbolisieren. Die Königin trägt eine Latte auf den Schultern, an dem Figuren hängen und manchmal belebt werden. Immer bewusst erkennbar sind die zwei Puppenführerinnen, manchmal treten sie hinter ihre Wesen zurück, oft jedoch verdoppeln sie sichtbar deren Ausdruck. Die großartigen, von Ella Späte entworfenen Kostüme und Masken sind zeitlos schrill oder fantastisch. 

Richard giert nach der Macht und beseitigt brutal alle Verwandten und Widersacher, bis er endlich König wird. Doch auf dem Höhepunkt seiner Ambitionen überfallen ihn Skrupel und Zweifel: Das soll nun alles gewesen sein? Durch Ella Spätes Mitarbeit im Inszenierungsteam wird die letzte Königserzählung Shakespeares zum künstlerischen Bildertheater, das dem ortlosen Text und der gewaltigen Sprache des englischen Dichters gleichberechtigt entgegenwirkt: Daraus entsteht eine aufregende Hochzeit des dramatischen mit dem postdramatischen Theater. 


Zeitgenössisches Figurentheater ist beileibe kein Kindertheater und die brutalen Machenschaften Richards sind nicht auf die Bühne zu bringen: normalerweise finden sie nur in den Fantasien der Zuschauer statt.

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Michal Fuchs: „Die Quadratur des Kreises“

In der Kunststation Kleinsassen (bei Fulda) präsentiert derzeit die israelische Künstlerin Michal Fuchs ihre große Einzelausstellung „Die Quadratur des Kreises.“ 

Die Jury des documenta-kritischen Wettbewerbs „Make Friends AND Art“, wählte im Sommer 2023 den Beitrag der Künstlerin als beste Arbeit: Ein kleiner Sandhaufen verkörperte die palästinensische Wüste. Darüber schwebte eine riesige Kaktusfeige aus Aluminium. „Von dem Land hinab zu gehen“ hieß dieses Objekt. Fuchs wies darauf hin, dass Israelis und Palästinenser diese Pflanze metaphorisch für ihre eigene Wehrhaftigkeit beanspruchen; sie drücke den Überlebenswillen beider aus.

In ihrer Schau greift sie das Thema „Von dem Land hinab zu gehen“ erneut auf und zeigt unter anderem eine Installation mit 18 filigranen Dreimasterblumen aus Eisen, die jeweils aus Betonsockeln herauszuwachsen scheinen. In kleine Mulden um die Pflanzenstelen wird täglich Wasser eingefüllt, damit die eisernen Objekte während der Ausstellungszeit rosten. 

Die aus Mexico stammenden Blumen bilden in der Natur oft starke Wurzeln und gelten als widerstandsfähig. In der Installation sind sie einbetoniert und wirken dauerhaft gefangen. Jedoch symbolisiert der während der Ausstellung entstehende Rost nicht nur Verfall, sondern winzige „Luftwurzeln“, die für Neuanfänge stehen. So strahlt das Werk trotz seiner düsteren Anklänge Zuversicht aus. 

Gleichzeitig hat es eine weitere, bedrückendere Bedeutung: „Auf Englisch und Hebräisch heißt die Pflanze „The Wandering Jew“ („Wandernder Jude“) und verweist auf die antisemitische Legende vom „Ewigen Juden“: Er wurde von Christus bestraft und muss stets wandern, ohne Wurzeln zu schlagen: Dadurch wird er zum ewigen Migranten! Dieses Thema der Migration, Verpflanzung, Aus- und Einwanderung beschäftigt die Künstlerin in vielen ihrer Arbeiten. 

Fuchs‘ Objekte wirken faszinierend und geheimnisvoll, selbst wenn man nichts darüber weiß. Sie stehen ästhetisch zunächst für sich selbst. Zusätzliche Wandtafeln in der Ausstellung legen Spuren für eigene Interpretationen. Allerdings chiffriert die Künstlerin keine Botschaften, die es zu entschlüsseln gilt.

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Eine „goldene Verbindung“ zwischen Oberitalien und der hessischen Rhön

„Una festa italiana“ in der Kunststation in Kleinsassen/Rhön. Ein Trio spielte „Cantare“, alle Leute sangen fröhlich mit. Zur Vernissage in der Studioausstellung des Künstlers Giorgio Cavina kamen 60 italienische Gäste aus seiner Heimat. Sie verbreiteten sofort südländisches Flair und steckten die zahlreichen deutschen Besucher an. Gefördert wurde dieser kulturelle Austausch – zwischen Hofbieber, zu dem Kleinsassen gehört, und Montana Acquacheta in Oberitalien – durch den Rhöner Freundeskreis Italien.

Auf den ersten Blick muten die groben farbkräftigen Malereien Cavinas irgendwie arabisch an, weil sie verhüllte, ja manchmal verschleierte Wesen zeigen. Formal erinnern sie aber auch an byzantinische Ikonenmalerei, nicht zuletzt, weil der Künstler viel Blattgold in seinen Arbeiten verwendet. „Connessione d’oro“ heißt seine Ausstellung, goldene Verbindung – und das ist tatsächlich wörtlich zu nehmen. 

Aber manche Bilder changieren auch ins Abstrakte und irritieren dadurch den Betrachter. Was zeigt denn der Künstler eigentlich wirklich, fragt man sich, und beim zweiten Blick überraschen dann die Untergründe. Cavina nutzt neben Leinwänden auch erkennbar Sperrholz oder Zementplatten für seine Bilder. Die werden nicht nur mit Ölfarbe, Blattsilber und Blattgold arrangiert, sondern auch mal mit Bitumen versehen oder durch Zeitungsschnipsel collagiert. Dadurch entstehen völlig ungegenständliche aber spannende Kompositionen. Die bedeuten gar nichts mehr, bleiben titellos und beeindrucken am meisten, weil sie starke Gefühle provozieren. 

Das ist vielleicht Geschmacksache, doch auch die verhüllten Gestalten oder die arabisch wirkenden Buchstaben sollen lediglich exotische Assoziationen wecken, sie bilden keine Wirklichkeit ab. Denn der Maler will auf diese (Gestaltungs-) Weise ausdrücklich unterschiedliche, ja einander fremde Kulturen verbinden.

Einige neuere Arbeiten mit grellroten Farben setzen sich mit den katastrophalen Unwettern auseinander, denen Cavinas Heimatregion ausgesetzt war.

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„Lebensformen“

Gisela Eichhardt ist eine der drei neuen Ausstellerinnen in der Kunststation Kleinsassen/Rhön

Kaum war in Kleinsassen die Kunstwoche vorbei, begannen bereits eine Woche später in der Kunststation drei neue Ausstellungen. Bewusst hielt die Station die große Papierausstellung bis zum Ende des Festivals geöffnet und beteiligte sich mit Workshops und Aktionen.

Im Folgenden stellen wir Gisela Eichhardt als erste der Ausstellenden mit ihren „Lebensformen“ (Titel) vor. Gleich beim Betreten ihres Saals begegnet man zwei großen, halbwegs realistischen Holzfiguren. Zunächst stößt man auf die „Braut“, die angesichts ihrer Hochzeit eher nachdenklich, bedrückt und in sich gekehrt wirkt. Etwas weiter steht der Doppelkopf „Zusammen allein“. Er könnte siamesische Zwillinge oder ein eng verbundenes Pärchen darstellen, aber auch das widersprüchliche Innere einer Person. Hoffnung macht ein einzelner Flügel, der dieses hölzerne Werk optimistisch aufhellt.

Die weiteren menschlichen, meist weiblichen Skulpturen der Bildhauerin sind ebenfalls leicht naturalistisch ausgearbeitet und wirken genauso verschlossen und nachdenklich. Wichtig ist, um die Figuren herumzugehen, um deren Ausdruck und mögliche Gefühle zu erfassen. Einige sind Fragende: „Wohin“ heißen zwei Wesen, der Holzmann ist ein „Suchender“. Die Arbeitsspuren im Holz, die „Narben“, sowie die dezente Übermalung schaffen eine eher traumartige Anmutung der Geschöpfe. Manche Titel weisen zwar Wege, überlassen aber letztlich die Interpretation den Betrachtern.

Keinesfalls sind die hölzernen Bildhauereien Porträts realer Menschen. Stattdessen sehen sie so aus, als seien sie aus den Baumbildern gekommen, die sie an den Wänden als Bilderwald oder Waldbilder umgeben. Doch um die Skulpturen herum hängen keine Abbilder der Natur, sondern Abdrucke von Natur- und anderen Materialien, die lediglich wie eigenartige Bäume und fantastische Landschaften erscheinen.

Diese wald- und landschaftsartigen Objekte bilden die zweite Werkgruppe der Künstlerin und muten unwirklich, ja fantastisch an.

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Wunderbar kuratiert

Drei neue Ausstellungen in der Kunststation Kleinsassen

Kaum war in Kleinsassen die Kunstwoche vorbei, begannen bereits am letzten Sonntag in der Kunststation drei neue Ausstellungen. Bewusst hatte die Station die Papierausstellung noch so lange geöffnet und war auch selbst mit Workshops und Aktionen an der Kunstwoche beteiligt.

Die Malerin Simone Distler nennt ihre Ausstellung „Resonanz“. Mit wilden Gesten und heftigen Bewegungen bringt sie ihre vermischte Acrylfarbe auf die Leinwände und schafft darauf ungegenständliche Gebilde. Obwohl abstrahiert, wirken sie dennoch wie ortlose Landschaften, kämpfende Riesenwesen oder Eisgebiete.

Gisela Eichardt begrüßt die Besucher in ihren „Lebensformen“ (Titel) mit Holzskulpturen, einem Zwillingspaar und einer Braut, es sind zwar realistische, aber doch sehr in sich gekehrte Wesen. Sie sehen so aus, als seien sie gerade den Bäumen entsprungen, die sie (an den Wänden) umgeben. Doch rundherum hängen keine Abbilder der Natur, sondern Hoch-Drucke von Natur- und anderen Materialien, die wie eigenartige Bäume und traumhafte Landschaften anmuten. 

Michal Fuchs ist die vielseitige Künstlerin, die sich im letzten Jahr an der documenta-kritischen Ausstellung „Make Friends AND Art“ in der Kunststation beteiligte. Für ihre Installation wurde sie mit dem Jurypreis ausgezeichnet und erhielt dafür ihre Einzelausstellung, die sie „Die Quadratur des Kreises“ nennt. Sie beschäftigt sich intensiv mit Prozessen in der Natur, die sie als Metaphern für gesellschaftliche Entwicklungen wahrnimmt oder die Modelle für menschliches Zusammenleben sein könnten.

Ich werde die Künstlerinnen mit einigem Abstand jeweils einzeln vorstellen. 

Service
Die drei Ausstellungen gehen noch bis zum 17. November 2024. Die Kunststation ist von dienstags bis sonntags und an Feiertagen von 13 bis 18 Uhr geöffnet. Ab 31. Oktober gelten die reduzierten Winteröffnungszeiten.

Sämtliche Informationen unter www.kunststation-kleinsassen.de

„Fremde überall“ in Venedig

Auf der venezianischen 60. Biennale gibt es neben genähten oder bestickten Textilien, naiven Bildern wie von Kinderhand oder ornamentaler Volkskunst auch anspruchsvolle zeitgenössische Kunst. 

Das Ausstellungskonzept „Fremde überall“ passe zum zeitgeistigen Mainstream und habe etwas Anbiederndes, schrieb vorab die Neue Züricher Zeitung. Auch nach dem Beginn gab es Kritik am Konzept des brasilianischen Kurators Adriano Pedrosa, überdies antisemitische Proteste zweitklassiger Kunstschaffender. Doch anders als bei der documenta fifteen steht hier der Diskurs über aktuelle Kunst im Fokus des Festivals, das seit langem zweigeteilt ist: In vielen Hallen der Arsenale, einer steinalten Schiffswerft, und im neu grellbunt bemalten Palast in den Giardini, werden Werke präsentiert, die der Kurator zum Thema der zentralen Biennale-Ausstellung auswählte. Er lud 332 meist unbekannte Kunstschaffende ein.

Beide Orte beginnen mit spannenden Arbeiten, in den Arsenalen mit dem „Refugee Astronaut“, einer lebensgroßen, in afrikanisches Tuch gewickelte Raumfahrer-Figur. Und im Eingang mit der Lichtinstallation von Maori-Künstlerinnen, die zeitgenössische Kreationen mit regionalen Wurzeln verbinden und dafür einen Goldenen Löwen bekamen. Ansonsten schmiegen sich in den halbdunklen Hallen viele Objekte faszinierend an die verrotteten Wände, die vergitterten Fenster und die maschinellen Überbleibsel der einstigen Werft. Zwischen Kitsch, Kunstgewerbe und Folklore überraschen faszinierende Wandteppiche mit surrealen Motiven oder riesige traditionelle Farbscherenschnitte mit sexuellen Motiven. In der zentralen Schau in den Giardini empfängt uns ein Nomadenzelt, eine Zuflucht und doch ein Gefängnis für Frauen. Es folgen faszinierende Malereien einer Outsider-Künstlerin. Andere Bilder werfen Fragen auf: Hat Picasso sie abgeguckt oder ahmen die Enkel lokaler Künstler im globalen Süden ihn nach?

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„Kleines ganz groß“

Im Vonderau-Museum präsentiert der Fuldaer Kunstverein seine spannende diesjährige Querschnitts-Ausstellung „Kleines ganz groß“. 52 Kunstschaffende interpretieren mit 102 unterschiedlichen Arbeiten und künstlerischen Medien das Thema.

Besucher stoßen im Eingangsbereich auf eine Wand von 162 eng gehängten, grünen Leinwänden im Format 20 mal 20 Zentimeter. Die von Mitgliedern gefertigten „kleinen Grünen“ sind extrem verschieden – und verweisen damit auf die gestalterische und inhaltliche Vielfältigkeit der folgenden Schau. Doch die Ausstellung ist kein beliebiges Sammelsurium, sondern hervorragend kuratiert.

Ein gewaltiger hölzerner Apfelgriebsch („Apfel“), eine Wiese von Textilcollagen, „kleine Blüten ganz groß“ (Titel) oder textile Spermien, „Einer wird gewinnen“, empfangen humorvoll die Gäste. Die Beatles sind in Grafiken als Käfer verfremdet („Seltene Spezies“), die fette Spinne auf einer Eiswaffel bietet die „Eiskalte Überraschung“. 

Denn im hinteren Bereich der Halle geht es düsterer zu: Edle, aber bedrohlich anmutende phallusartige Keramikgebilde, verweisen auf die aktuelle Diskussion um die Taurus-Raketen („Taurus 300“). Das Gemälde eines Kindersoldaten geißelt: „Statt Lutscher Kalaschnikow“. Gandhi und Hitler in Graphit auf Papier, provozierend nebeneinander gehängt, symbolisieren den „Flügelschlag eines Schmetterlings“. Diese beklemmenden Arbeiten überwältigen nicht mit eindeutigen Botschaften, sondern provozieren Emotionen und Gespräche.


In der ersten Etage gibt es vor den zahlreichen Wandbildern allerlei Skulpturen. Etwa wieder zwei Käfer, („Skarabäus“), riesig und aus diversen Metallen vor verrätselten Fotografien, die Blumen mit Mädchen verweben („fleur François“). Gigantische Pilzobjekte wirken schön aber bedrohlich, denn diese Gewächse sind ja auch fremdartig – und nicht einfach nur „Drei kleine Pilze“.

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Das Festival „artkin groove“ des Kollektivs Mania

Inmitten des Aufeinandertreffens von Natur, Bildender Kunst, Musik und wenig Regen – im „Botanischen Garten“ in Steinau-Seidenroth – erlebte das Publikum zwei Tage lang ein großartiges abwechslungsreiches Festival.

Etwa einhundert „Suchende“ waren ständig an diesem magischen Ort im „Botanischen Garten“ präsent und befanden sich in einer anderen Welt. Der Höhepunkt des ersten Tages war sicherlich der Auftritt der legendären Psychedelic-Rockband „Embryo“, die mindestens drei Generationen anlockte.


Unterhalb einer Blumentreppe lag ein riesiger, etwas angeschlagener „Schlüsselanhänger“, so groß, wie das Erschrecken, wenn man seinen verlorenen Schlüssel sucht. Vielleicht wuchs er aber auch zu einem autonomen Wesen, das sich davonmachen wollte. Der kräftige Wind wehte durch die Lamettahaare eines Monsters, das vor einem, drohend wirkenden Baum in einem Käfig steckte. Eine künstliche Mauer trennte und verband zugleich das Wohnhaus mit dem Garten. In der nahen Halle zeigte eine chinesische Künstlerin ein Video, das den unglaublichen mechanischen Gruppendrill tanzender Kinder entlarvte. Die krassen Bewegungen der kleinen Tanzmaschinen unterlegte sie mit Knattern, Rattern, Quietschen und anderen unerbittlichen Industriegeräuschen.

Das Festival des Kollektivs Mania realisierte kein Museum im Grünen, keine luftige Konzerthalle im Freien. Einerseits waren die Kunstwerke, Performances und Filme das Thema der Auseinandersetzung mit der Natur, andererseits jedoch das Medium zur Begegnung und Kommunikation der Gäste. Selten erlebte der Verfasser dieser Zeilen so viele freundliche Kontakte mit „Fremden“. Erstaunlich die große Vielfalt, der von den zwei Kuratorinnen Melika Moazeni und Ines Schäfer ausgesuchten Objekte und Darbietungen.

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Mit einem Tiger schlafen

Auf einem Gemälde von Maria Lassnig (1919 – 2014) scheint ein Tiger die kurzhaarige Frau, die große Ähnlichkeit mit der Malerin besitzt, zu beglücken oder zu vergewaltigen. Dieses Bild gab dem Film, der soeben in die Kinos kam, seinen Titel: „Mit einem Tiger schlafen“. Viele Leute kennen dieses Bild, aber selten die Künstlerin, die es gemalt hat.

Klaglos nimmt die junge österreichische Malerin Maria Lassnig es hin, dass ein von ihr ausgestelltes Bild, ein nackter Mann mit einem roten Penis, vom Bürgermeister ihrer kleinen Heimatstadt mit einem Tuch zugedeckt wird: „Der Dreck ist eine Schande“, bellt er. Ein jüngerer Mann als sie, fast noch ein Junge, reist das Tuch fort und schnauzt, das sei doch das einzig gute Bild in dieser Ausstellung. 

Er ist der jungenhafte Arnulf Rainer, mit dem die Künstlerin in den nächsten Jahren zusammenleben wird und heftig konkurriert: „Immer geht es nur um Rainer“, beschwert sie sich nach einer Parisreise, in der die beiden Galerien besuchten und ihre Arbeiten zeigten.

Später weiß sie genau, was sie braucht und was sie will: „So geht das nicht“, schreit sie in einer Galerie, „das hängt hier alles viel zu tief, meine Bilder sind doch keine Bodenfeger.“

Die Mutter kritisiert Maria, die von ihr gemalten Nachbarn sähen so seltsam aus. „Du musst heiraten“, keift sie, doch Maria widerspricht: „Ich heirate nur einen, der meine Bilder versteht. „Da kannst Du aber lange warten“, kontert die Mutter. 

So wild aneinandergereiht wie diese Beispielszenen, ist der Film geschnitten, springt mit Vor- und Rückblenden durch verschiedene Zeiten, wechselt kühn die Orte, mal im einsamen Waldatelier in den Bergen, mal in Brooklyn. Ihre Begegnungen mit vielen wichtigen Zeitgenossen und Künstlergruppen, von Paul Celan, Andre Breton bis Caroline Schneemann und der Gruppe „Women/Artists/Filmmakers“ fehlen allerdings im Film.

Birgit Minichmayr, die großartige Schauspielerin, zeigt uns Maria Lassnig in jedem Alter: Als junges Mädchen, als bekannte Malerin, selber als zickige Mutter: „Die Sammler stehlen meine Bilder, das sind doch meine Kinder, die sollen nicht ins Waisenhaus“. Und sie gibt auch die alte Frau, die kaum noch malen kann. 

Vor allem jedoch bringt sie uns nahe, wie Lassnig arbeitete. Ihre Bilder kann man als figurativen Expressionismus beschreiben. Oft lag sie auf ihren Papierbögen, räkelte und wand sich, fühlte in sich hinein: wo und wie berühre ich den Boden? Und malte dann ihre Gestalten und Figuren mit empfundenen Bewegungen als „Körpergefühls-Figurationen“.

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„Farbe trifft Holz“ 


Drei unterschiedliche Kunstschaffende in der aktuellen Ausstellung des Kunstvereins Fulda

Zu Beginn des Rundgangs trifft man auf die „Vier Jahreszeiten“ der Holzbildhauerin Ines Britz. Mit ihrer Installation konfrontiert sie den Besucher direkt mit dem Ausstellungsthema „Farbe trifft Holz“: In drehbare Scheite hat sie, wie bei Holzschnitten, Gesichter eingekerbt und mit Acryl übergewalzt. So entstanden vier Porträts, die für die unterschiedlichen Jahreszeiten stehen. 

Drumherum an den Wänden hängen riesige, farbkräftige Acrylbilder von Jan Döhrer, die man sogleich als Landschaften interpretieren möchte. Doch warum sind sie an den Rändern so ausgefranst oder verwischt? Sind das reale Destruktionen der Gemälde durch Witterung und Verfall oder sind es künstlerische Gestaltungen? Verweisen die Werke auf den Klimawandel oder haben die Übermalungen eine rein ästhetische Funktion? Die irritierenden Gemälde sind keine Ratespiele, vielmehr spielen mit den Wahrnehmungen und Fantasien des Betrachters. 

Andere Bilder des Künstlers sind zentimeterdick mit kräftigen Farben gespachtelt. Diese Farben greifen in den Raum, grapschen nach dem Besucher. Und natürlich kann man auf den Objekten wieder Landschaften sehen: die Natur, die sich ihre Welt zurückholt, mit loderndem Feuer, verbrennender Sonne oder geilem Grün.

Beim Weitergehen sind andere überraschende Arbeiten von Iris Britz zu sehen: In einer Holz- und Eiseninstallation scheinen sich zwei weiß übermalte Figuren zu trennen. Eine Frau schaut einem Mann nach, der gramgebeugt durch eine Tür getreten ist. Man will in die Figuren hineinspüren, ihre Haltungen nachahmen, ihre Erzählung verstehen. Rein formal setzen sich die strengen Linien der Eisenkonstruktion dahinter in den Fenstern und Heizkörpern fort. Ein hervorragender Ort – eigentlich ein Nicht-Ort – in dem „Hin und weg“ (Titel) passiert. 

Die Werke in den hinteren zwei Räumen sind dem 2020 gestorbenen Künstler Ronald Johnson aus Franken gewidmet. Im ersten hängen wilde, scheinbar abstrahierte Kompositionen mit kräftigen Farben, in denen man jedoch (nicht nur als Mann) weibliche Figuren oder Formen erkennen kann. Auch sie sind oft lediglich nummeriert, ohne wegweisende Titel. 

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