Man kommt strahlend aus dem Kino: „A Complete Unkown“

„Sie sehen aber glücklich aus“, sagen mir die Service-Frauen der Berlinale, beim Herauskommen nach dem Bob-Dylan-Film. Tja, das war ich, noch mit dem Song von Woody Guthrie in den Ohren: „So long, it’s been good to know ya“ (Es war schön, dich zu kennen). Aber wer kennt heute noch diesen Folksänger?

Mit der Ankunft Dylans in New York am 24. Januar 1961 beginnt der Film. Sogleich fährt er ins Krankenhaus, in dem sein Idol Guthrie sterbenskrank liegt. Dort trifft er auf Pete Seeger, einen anderen Folkmusiker. Dylan spielt ihnen den „Song für Guthrie“ vor, dann ein eigenes Stück. Die beiden sind begeistert, sehen in dem Zwanzigjährigen die Verjüngung der Folkmusik, die für sie auch mit dem Kampf für Demokratie und gegen Rassismus verbunden ist. Bald kommt es zu einem ersten Zwist, als Dylan erklärt, er sei kein Folksänger, er würde lediglich Folksongs machen. Doch Seeger widerspricht: „Ein guter Song braucht keinen Schnick-Schnack“. Aber angesichts Dylans neuer Musik wirkt der traditionelle Folk recht hausbacken.

Der Film zeigt wie Robert Zimmermann zum Star Bob Dylan wird, die fünf Jahre bis zu seinem unerhörten Auftritt mit einer Rockband beim Newport Folk Festival 1965. Zunächst sieht Timothée Chalamet in seiner Rolle als Dylan, ihm nicht besonders ähnlich, auch die Stimme klingt etwas anders. Doch im Laufe des Films wird Chalamet ebenfalls zu Bob Dylan mit Locken. Das Werk ist eine Mischung von temporärem Biopic und Spielfilm: Die langjährige Freundin, die der Musiker in New York findet, ist in der Geschichte fiktiv. Sie ähnelt aber seiner damaligen beständigen Geliebten, die häufig recht eifersüchtig auf Joan Baez ist. Ob diese Details stimmen, ist nicht so wichtig. Man weiß nicht, hat er wirklich zu Baez gesagt, „deine Texte sind so gewollt wie die Bilder in einer Zahnarztpraxis.“ Aber er macht und denkt immer was er will, findet dafür offene Worte.

Über ihn und Joan Baez, die bereits sehr bekannt ist, fasst er auch Fuß in der New Yorker Szene. Mit „Blowin in the Wind“ oder „The Times They Are A-Changing“ macht er schnell Karriere, weil er das Lebensgefühl der frühen 1960er-Jahre und den Kampf für Veränderungen sehr poetisch ausdrückt. Auf seiner ersten Platte sind noch Coverversionen bekannter Folk-Songs, doch bald werden auch seine eigenen Lieder veröffentlicht. Sehr schnell steigt Dylan auf, aber er verweigert sich dem Starkult, will kein Guru sein. Bei einer Party haut er schimpfend ab:

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„Heldin“ – was für ein Film!

Der Film „Heldin“ ist unglaublich! Viele Kolleginnen und Kollegen der Presse konnten sich vor seiner Weltpremiere auf der Berlinale kaum vorstellen, dass dieser Spielfilm in dokumentarischer Form, eine derartige Spannung beim Publikum erzeugen kann – und ohne Pathos und Wehklagen so berührt. 

Natürlich geht es um den „Pflegenotstand“, die Überlastung des Personals in den Kliniken und die Vielfalt der Bedürfnisse der zu Pflegenden. Jedoch der Hintergrund ist ein ganz normaler Stationsalltag, es wird keine durchgehende Geschichte erzählt. Wir erleben die stationären Abläufe allein aus der Perspektive der Pflegefachkraft Flora (Leonie Benesch), die mit großer Leidenschaft und Professionalität in der Chirurgie eines Schweizer Krankenhauses arbeitet. Sie ist in (fast) allen Szenen durchgehend präsent, aber immer authentisch und glaubwürdig. Es wird nicht über sie berichtet, wir arbeiten mit ihr. Dadurch wird der Film auch nicht larmoyant.

Bei Flora sitzt jeder Handgriff, sie hat selbst in stressigen Situationen immer ein offenes Ohr für ihre Patientinnen und Patienten. In Notfällen oder prekären Momenten handelt sie sofort, muss dann aber andere notwendige Aufgaben hintenanstellen. Dafür hat ihre Klientel selten Verständnis. Als die Pflegefachkraft im Film ihre Spätschicht antritt, fällt auf der voll belegten, unterbesetzten Station eine Kollegin aus. 

Trotz aller Hektik umsorgt Floria eine schwer kranke Mutter und einen alten Mann, der dringend auf seine Diagnose wartet, ebenso fürsorglich und routiniert wie den Privatpatienten mit all seinen schrulligen Extrawünschen. Auch den Angehörigen begegnet sie einfühlsam und kümmert sich um deren Probleme. Doch dann unterläuft ihr ein verhängnisvoller Fehler und die Schicht droht, völlig aus dem Ruder zu laufen. Ein nervenzerfetzender Wettlauf gegen die Zeit beginnt, auch wenn eine Ärztin sie tröstet: „Fehler passieren uns alle mal.“

Der Film ist mit zwei, drei besonderen Situationen dramatisch verdichtet, nicht jeden Tag geschehen einige „filmreife“ Ereignisse. Filmmusik, Kamera und Schnitt sorgen zusätzlich für die cineastische Spannung des Alltäglichen. Doch die Vielzahl unterschiedlicher Anforderungen, die Hektik und Überbelastung der Pflegenden sind auch die alltäglichen Merkmale der stationären Arbeit. Doch nicht alles ist schrecklich, immer wieder können wir einfühlsame Begegnungen zwischen der Klientel und den Pflegenden oder der Pflegenden untereinander miterleben.

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„The Substance“ ein Horrorfilm?

„Jugend, die mir täglich schwindet…“ – wie aktuell sind doch diese 180 Jahre alten Zeilen Heinrich Heines. Wer würde diesen Prozess des Alterns nicht gerne aufhalten? Die Diva Liz Sparkle, im Film „The Substance“ dargestellt von Demi Moore, ist wahrlich kein junges Mädchen mehr. Aber mit ihren 50 Jahren ist sie immer noch eine topfitte und äußerst attraktive Frau. Doch der verschlagene Programmdirektor Harvey (Dennis Quaid), der aussieht wie Dieter Bohlen, will ihre erfolgreiche Aerobic-TV-Show absetzen und sie loswerden.

Dem alten Knacker ist Liz zu alt, hinter ihrem Rücken bereitet er heimlich das Casting für eine Nachfolgerin vor. Als Sparkle zufällig von der Intrige erfährt, verursacht sie anschließend vor Wut einen heftigen Autounfall. Später bekommt sie in der Klinik einen Zettel zugesteckt, er erhält ein attraktives Angebot…

Mit Hilfe einer geheimnisvoll Substance bekommt sie die Chance, eine Woche lang äußerst jung, dünn und schön zu sein, in der jeweils folgenden Woche müsste sie dagegen ihr altes Ich leben und altern. Natürlich nimmt sie an und nimmt die Substance. Nackt liegt Liz regungslos in ihrem Badezimmer, dramatisch kommt aus ihrem aufreißenden Rücken die nackte junge Sue (Margaret Qualley) herausgekrochen und näht später ihr altes Ego zu. Schnell gewinnt sie die Casting-Show des Senders und wird ihre eigene Nachfolgerin.

Im Folgenden geht es nicht um die Substance und die anonymen Mächte die dahinterstecken, sondern ausschließlich um die Folgen dieses eigenwilligen Tauschs. Immer wieder heißt es: „Ihr seid eine Einheit“, aber Sue wird mit der Wechselei immer unzufriedener. Sie mogelt herum, schindet längere Verwandlungszeiten heraus, doch dadurch altert Liz immer schneller und heftiger. Irgendwann wird sie zum riesigen Monster, wie Dorian Gray in der Erzählung von Oscar Wilde. Und am Ende des Films spritzt das Blut aus ihr wie aus Feuerwehrschläuchen…

So wird auch der Filme, der zunächst im schönen, perfekten Barbieland beginnt, zum krassen Monsaterfilm, genauer zum Genrefilm Body-Horror. Doch der Streifen ist kein Selbstzweck der Regisseurin Coralie Fargeat, für den sie beim letzten Filmfestival in Cannes mit einer Silbernen Palme (Bestes Drehbuch) ausgezeichnet wurde.

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„Sieger sein“ – ein Märchenfilm aus dem Berliner Wedding

„Ja, ich trage Klamotten, die keiner mehr trägt. Ja, ich bin ein Scheißflüchtling“, beschimpft die aus Kurdistan in Syrien geflüchtete Mona ihre Mitschüler. Sarkastisch fügt sie hinzu: „Herzlich willkommen in Deutschland!“ Die multikulturellen Kids mobben die Elfjährige, doch der freundlich-konsequente Lehrer Herr „Che“ Chepovsky nimmt sich ihrer an: „Willkommen in der 7. Weddinger Schule.“ 

In Rückblenden wird deutlich, Mona (Dileyla Agirman) wollte nicht flüchten, „aber niemand hat mich gefragt!“ Sie möchte wieder in ihr Land zurück und ist eine gute Fußballspielerin. Natürlich ist weder an eine Rückkehr zu denken noch daran, dass sie in der Mädchenmannschaft dieser Schule mitspielen darf. Denn hier Schule kämpft jeder gegen jeden: die Jungen gegen die Mädchen, die alten Migrantenkinder gegen die neuen, alle Schüler gegen die Lehrer, die Lehrer untereinander… Die Jungen gießen den Mädchen Gips in die Turnschuhe und zerschneiden ihre Trikots.

Die Kids in ihrer Klasse grenzen Mona aus, weil sie Respekt für die Lehrer fordert und Lust zum Lernen hat. „Wir wurden mit dem Lineal verhauen“, erzählt sie, „als die anderen sie als Streberin attackieren.“ Und sie macht ihnen klar, was Diktatur, gerade für Kinder in Syrien bedeutet. Manchmal wendet sie sich an das Publikum und spricht direkt in die Kamera: „Demokratie ist kein Spaß, dafür sterben Menschen bei uns.“ 

Lehrer und Trainer „Che“ (Andreas Döhler) will, dass sie bei den Mädchen mitspielt. Da sie keine Fußballschuhe hat, beschließt er kurzerhand: „Heute wird barfuß gekickt, damit ihr ein besseres Verhältnis zum Ball bekommt.“ Das Training ist eine Katastrophe, jede kämpft für sich, keine achtet auf die andere, sie sind kein Team. Später spalten sich sogar einige zickige Spielerinnen ab.

Dann beginnt jedoch das Weddinger Märchen!

Mona integriert sich und wird wichtig für die Mannschaft. Einer Schülerin soll von der Schulleitung das Mitspielen verboten werden, die anderen solidarisieren sich. Die Mannschaft wird besser und beteiligt sich, mit abenteuerlich zusammengenähten Shirts, an den Berliner Meisterschaften.

Der Film ist kein „Sommermärchen“ des Fußballs, das Spiel ist nur ein Medium für die Darstellung der Probleme in der Schule und bietet Konfliktlösungen an. Wir erleben die Migrantenfamilie, die nicht nach Deutschland wollte, aber deren Leben in der Heimat bedroht wurde. Monas Tante Heli kämpft im kurdischen Widerstand und schenkte ihr zum Abschied einen richtigen Fußball. In schwierigen Momenten erinnert sich Mona an sie und bekommt neue Kräfte. By the way erfährt gerade das junge Publikum die Unterschiede zwischen Demokratie und Diktatur oder was in Syrien los ist.

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„Andrea lässt sich scheiden…“

Dies ist der zweite Film des österreichischen Kabarettisten, Schauspielers und Drehbuchautors Josef Hader („Wilde Maus“). „Andrea lässt sich scheiden“ wurde auf der Berlinale uraufgeführt und ist ein eher tristes Werk, mit allenfalls sehr verhaltenem Humor. Stilistisch und durch seine Melancholie erinnert der Film an die Werke des Österreichers Ulrich Seidl. Jedoch wenn man vorher weiß, was im Kino auf einen zukommt und keine Burleske erwartet, kann man sich diesem Film gut ansehen.

Birgit Minichmayr spielt eine undurchschaubare Polizistin auf dem Land, im tiefsten Niederösterreich, die sich in eine größere Stadt versetzen lassen und von ihrem Mann geschieden werden möchte. Unabsichtlich überfährt sie jedoch ihren Ehemann, der dadurch – wahrscheinlich – zu Tode kommt. Sie begeht Fahrerflucht, versucht den Unfall zu verschleiern und hat ein großes Problem. Hader selbst gibt einen leicht deppert wirkenden Religionslehrer, ist der Outsider im Dorf und wird beschuldigt, Andreas Mann getötet zu haben. Mehr wird hier von der Geschichte nicht verraten, denn, obwohl kein Krimi, birgt sie doch einige überraschende Wendungen.

Der Film beginnt mit der endlos langen Aufnahme einer schnurgraden Straße in einer flachen österreichischen Landschaft. Ein Polizeiauto kommt, hält an und die Insassen, ein Polizist und eine Polizistin, machen sich umständlich bereit, zu schnell fahrende Autos zu erwischen. Das alles wird altmodisch und sehr, sehr langsam mit lediglich wenigen Schnitten in hellem Licht ohne Schatten gezeigt. Diese Erzählweise ohne Kameraschwenks, Nahaufnahmen, Lichtveränderungen oder schnelle Bilder ist typisch für den ganzen Film. Immer wieder tauchen Menschen in diesen öden, einsamen, nicht bergigen Landschaften und Dörfern auf der Leinwand auf: Man fühlt sich oft in die trostlosen Gemälde des amerikanischen Malers Edward Hopper versetzt. 

Und Regisseur Hader breitet darin die ganze Tristesse des Landlebens vor uns aus, geißelt die rüde Verlogenheit und Sprachlosigkeit der dort lebenden Menschen. Jedoch macht der Regisseur im Interview auch deutlich, dass die Menschen hier nicht verrückter oder böser sind, als die Leute aus der Stadt. Aber Frauen wie Andrea wollen hier weg, übrig bleiben viele halsstarrige oder demente Männer, aggressive oder stille Säufer…

Hader sagte dazu: „Das zieht sich mindestens von Brandenburg bis Nordfrankreich. Die Provinz ist nichts Österreichische, das ist etwas sehr Europäisches.“

„Andrea lässt sich scheiden…“ 
Regie/Buch Josef Hader, Österreich 2024, 93 Minuten, Filmstart 4. April 2024 
mit Birgit Minichmayr (Andrea), Josef Hader (Franz) u.a.

Foto:
Josef Hader, Birgit Minichmayr © wega film

„The Palace“ – Roman Polanskis Film im Kino

Peinlich berührt verdammt die Filmkritik unisono Roman Polanskis letzten Film, seine groteske Burleske „The Palace“ (2023), die nun auch hier in die Kinos kommt. Dabei wird von einigen Kritikastern „Altherrenhumor“ als neues cineastisches K.-o.-Kriterium eingeführt. Wir wissen zwar nicht, was bei TicToc und Instagram als jugendfrischer oder feministischer Humor daherkommt. Aber so schlimm ist diese Komödie wirklich nicht, denn unverfroren haut der neunzigjährige Regisseur der älteren Hautevolee im Film, lustvoll deren Dekadenz und Protzerei um die Ohren.

In der Millennium-Silvesternacht 2000 versammeln sich Superreiche, Pornostars, zwielichtige Russen und anderes aufgeblasenes Volk im schweizerischen Nobelhotel Palace. „12 Stunden bleiben uns“, verkündet morgens der Hotelchef (Oliver Masucci) seinem Personal und wird fortan selbst durch den Film gejagt, um zahlreiche Schwierigkeiten mit absonderlichen Gästen zu lösen. Etwa einen, als Geschenk angelieferten Pinguin seiner Empfängerin anzuvertrauen.

Champagner fließt in Strömen, unaufhörlich wird Kaviar gereicht. Eine französische Diva (Fanny Ardant) füttert mit dem Fischrogen ihren Hund, der daraufhin das Bett vollkackt. Der nun hinzugezogene Schönheitschirurg, eigentlich mit seiner Geliebten inkognito im Hotel, muss jetzt den Hund und dessen Frauchen behandeln. Zahlreiche von ihm verschönerte Damen erkennen und umschwärmen ihn.

Überaus dominant ist Bill Crush (Mickey Rourke), er hat zwar vergessen zu reservieren, doch sein Kampf ums Zimmer, einen Restauranttisch oder Bewunderung zieht sich als Running Gag durch die Silvesternacht. Eine arme tschechische Familie taucht im Palace auf und behauptet mit ihm verwandt zu sein. Der vermutliche Vater flippt aus, doch der Hotelchef kümmert sich rührend um die Angereisten. Mit einem braven Bankangestellten (Milan Peschel) bereitet Crush einen internationalen Millenniumsbetrug vor, doch sein Helfer wird zunehmend betrunkener und von jungen russischen Damen verführt, die ihn „niedlich“ finden.

Die wiederum gehören zu einer obskuren Delegation von Halunken, die mehrere Geldkoffer im alten Hotel-Safe verstecken…

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Nicht nur nackt in der Tür: Schauspielerin Sandra Hüller (45) gelingt endgültig der internationale Durchbruch

Für ihr Geburtstagsfest öffnet Sandra Hüller – als Geschäftsfrau Ines Conradi im Film „Tonio Erdmann“ – splitternackt ihrem Chef die Tür. Spontan? Im Stress? Kalkuliert? Man weiß es nicht, aber diese Szene ist bis heute unvergessen, wenn man sich an den, 2016 auf den Festivals in Cannes gefeierten und für den Oscar nominierten Film erinnert. Das vielfach prämierte Opus hat mehr zu bieten als diese Szene oder seine damals ungewöhnliche dreistündige Länge. Hüller und Mitspieler Peter Simonischek wurden als großartige Darsteller in 55 Ländern (welche die Filmrechte erwarben) bekannt.

Trotzdem dauerte es, bis die deutsche Akteurin wirklich international erfolgreich wurde. Sie konnte sich nach der Anerkennung in Cannes nicht einfach aus familiären oder beruflichen Bindungen lösen und monatelang im Ausland drehen. Doch in diesem Jahr liefen drei exzellente Filme mit ihr auf europäischen Festivals: Während der Berlinale wurde das absonderliche deutsche Werk „Sisi und ich“ bejubelt, sie gab das „ich“, also die in Sisi verliebte ungarische Hofdame Irma. In Cannes verkörperte sie in beiden, von der Jury mit den Hauptpreisen – „Goldene Palme“ und „Großer Preis“ – ausgezeichneten Filmen dominierende Rollen. Beide Werke, die „Anatomie eines Falls“ und „The Zone of Interest“ trägt sie fast alleine als Darstellerin.

Die 1978 in Thüringen geborene Hüller spielte bereits als Schulmädchen leidenschaftlich gerne Theater und studierte nach dem Abitur Schauspielkunst. Ab 2000 bekam sie dann mehr als ein Jahrzehnt lang Theaterengagements in ganz Deutschland, wurde vielfach prämiert und durfte sich bald ihre Figuren aussuchen. Quasi als „Hobby“ machte sie in kleineren Rollen in deutschen Filmen mit, bis sie 2006 durch den Streifen „Requiem“ bekannt wurde. Danach changierte sie neben dem hauptberuflichen Theaterspiel zwischen Klamauk- und Art-Haus-Kino, von „Fack ja Göthe 3“ bis „Ich bin Dein Mensch“. 

Nach „Toni Erdmann“ verweigerte sie die cineastische Festlegung auf extravagante Geschäftsfrauen und experimentierte mutig in diversen Genres, bis heute arbeitet sie weiterhin am Theater. Im französischen Psychodrama „Sibyl“ (2019) sprang sie, in der Rolle als Regisseurin, plötzlich ins Mittelmeer, weil sie das Gestreite ihrer Akteure nicht mehr aushielt. 

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Steven Spielberg: Sein persönlichster Film…

Jeder Film ist eine Fiktion, selbst wenn er auf wahren Begebenheiten beruht: Auch der neue Film Steven Spielbergs „Die Fabelmans“, ist zwar durch seine frühe Lebensgeschichte inspiriert, aber er hat sie kreativ umgestaltet und dramatisiert. Per se changiert die Story also zwischen Fiktion und Wirklichkeit.

Man muss kein Liebhaber des wohl erfolgsreichsten Regisseurs und Produzenten der Kinogeschichte sein, um den Film anzusehen – im Gegenteil! Wenn man Spielberg bisher eher kritisch gegenüberstand, wie der Verfasser dieser Zeilen, nimmt einen „Die Fabelmans“ (ein fiktiver Name) für den Filmemacher ein. Der Streifen beginnt mit dem ersten Kinoerlebnis des sechsjährigen Sammy, den seine Eltern mit ins Kino nehmen wollen, obwohl der Kleine etwas ängstlich ist. „Filme sind doch Träume“, meint seine Mutter beruhigend, aber „Träume sind unheimlich“, erwidert der bockige Junge. 

Die Familie sieht Cecil DeMilles „Die größte Schau der Welt“, in dem ein Auto mit einem Zug zusammenstößt und zwei Züge aufeinanderprallen. Diese Szene lässt Sammy nicht los, immer wieder spielt er sie mit seiner Modelleinbahn nach. Bis seine Mutter auf die Idee kommt, ihm die Super-8-Kamera des Vaters zu geben: „Dann muss der Unfall nicht immer wieder aufs Neue passieren!“ So lässt es der kleine Fabelman nur noch einmal für die Kamera krachen und kann dann den Schreck der garstigen Szene im Kino bewältigen. In Wirklichkeit hat Spielberg dieses Erlebnis erst einige Jahre später gehabt, als er den Streifen heimlich sah. Aber bedeutet diese Verschiebung irgendetwas für diesen Spielfilm? Natürlich nicht, denn authentisch ist, dass am Beginn seiner gigantischen Karriere diese Episode stand.

Die weitere Entwicklung ist schnell erzählt: Sammy ist fasziniert von den Möglichkeiten der filmischen Aufzeichnung und gibt die Kamera nicht mehr aus der Hand. Er hält dokumentarisch die zahlreichen Umzüge der Familie fest, zufällig auch vertrauliche Ereignisse mit dramatischen Hintergründen (die hier nicht verraten werden). Die kleinen Geschwister werden zu Mumien, wenn er sie in Klopapier einwickelt. Später müssen seine Pfadfinder als Cowboys oder Soldaten herhalten, schließlich sogar seine aggressiven antisemitischen Mitschüler. Sammys erste Liebesgeschichte als kleiner Judenjunge mit einer superfrommen Katholikin ist von hinreißender Komik, wie auch andere Begegnungen.

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„TÁR“ Musik Macht Missbrauch

Auf der Berlinale hatte der Film TÁR mit Cate Blanchett seine Deutschland-Premiere, jetzt kommt er in die Kinos

Lydia Tár (Cate Blanchett), die fiktive Stardirigentin der Berliner Philharmoniker, braucht lange um uns in ihre glamouröse Welt mitzunehmen. Zwischen New York und Berlin lebt sie in einer Blase, führt hochelaborierte Gespräche über Musik, trifft angesehene Intellektuelle oder berühmte Musiker und ist besessen von ihrem Job, in dem sie endlich auch noch Gustav Mahlers „Fünfte“ einspielen möchte. Nach gefühlter endloser Kinozeit lernen wir auch ihre Frau Sharon Goodnow (Nina Hoss) und deren adoptiertes Kind Petra (Mila Bogojevic) kennen. Das wird in der Schule gemobbt und Tár lässt es sich nicht nehmen, persönlich einer Peinigerin ihrer Tochter Prügel anzudrohen: „Ich bin Petras Vater!“

Sie geht auch recht ruppig mit den Instrumentalisten ihres Orchesters um und will den Ersatzdirigenten, „diesen Roboter“, loswerden. In ihrem amerikanischen Lehrauftrag führt sie arrogant einen schnöseligen Musikstudenten vor, der sich weigert Bach zu spielen: Weil der so frauenfeindlich gewesen sei, dürfe man ihn heutzutage nicht mehr anhören. Als eine blutjunge russische Cellistin sie bezirzt, gibt sie deren Werben nach und will sie gleich zur Solocellistin machen. 

Tár ist kein sexistisches Monster, aber hier spürt man zum ersten Mal, dass die Grande Dame ihre Macht auch privat nutzt. Dann geht alles sehr schnell, denn die Blase platzt: Ein ehemaliges amerikanisches Orchestermitglied hat sich umgebracht, mit ihr hatte Tár eine Affäre und sie dann fallengelassen. Die Familie macht die Dirigentin für den Tod ihrer Tochter verantwortlich. Gleichzeitig taucht im Internet ein manipuliertes Video vom Streit mit dem Studenten auf. Mehr erfährt man nicht, aber Tár wird nun im wahrsten Sinn des Wortes erlegt: allein aufgrund der Gerüchte wird sie als Dirigentin suspendiert, der Lehrauftrag wird ihr entzogen, die Plattenproduktion macht jetzt „der Roboter“. Nachdem sie ihn auch noch während des Konzerts von der Bühne prügelt, stürzt sie ins Bodenlose…

Im letzten Jahr wurde der Film bei den Filmfestspielen in Venedig uraufgeführt, Blanchett erhielt den Preis für die beste Hauptrolle und wird seitdem für ihre leidenschaftliche Darstellung – „Ein Star spielt einen Star“ – weltweit gefeiert und prämiert.

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Berlinale 2022

Gestern Abend begannen die Filmfestspiele in Berlin mit „Peter von Kant“, einer kühnen Interpretation des Fassbinder-Streifens „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ durch den Regisseur François Ozon. Der rote Teppich ist vor dem Berlinale-Palast ausgerollt und die Hauptstadt hängt voller stilisierter Bärenplakate: Die 72. Berlinale findet tatsächlich statt, wenn auch mit strengen Hygienekonzepten, 50% weniger Plätzen und einem etwas eingeschränkten Programm. Dennoch überschlugen sich hämische Kommentare in manchen Medien und Netzwerken, die Filmbranche wolle doch nur sich selber ohne Rücksicht auf Verluste feiern – aber das Gegenteil ist der Fall! Manche filmwirtschaftliche und andere Industrial Events finden eher online statt, das größte Publikumsfestival der Welt wollte jedoch die Kinofans nicht enttäuschen und zeigt 256 Filme dem öffentlichen Publikum.

Der Wettbewerb wurde um einige Tage gekürzt, die Bärenverleihung findet bereits am Mittwoch statt, dafür muss man als Journalist einige Male vier Streifen am Tag ansehen. Doch für das Publikum werden dadurch mehr Aufführungen wiederholt. Während bei den beiden anderen großen Filmfestivals in Venedig und Cannes die Stars, Cineasten und Prominenten meist unter sich bleiben, kamen in Berlin in den letzten Jahren jeweils weit über 300.000 normale Besucher und Besucherinnen in die Festival-Lichtspielhäuser. Mit dem Anspruch „Berlinale Goes on Kiez“ werden, wie in den letzten Jahren, kleinere Programmkinos in den Stadtteilen Aufführungen wiederholen. 

Das Publikum kann nun alle Filmschaffenden in diesem Jahr wieder auf dem roten Teppich, im Festspielpalast und anderen Orten live erleben. Nach der vorletzten Berlinale 2020 begann wenige Tage später der erste deutsche Lockdown mit seinen einschneidenden Konsequenzen für alle Kulturbereiche. Im letzten Jahr war das Festival zweigeteilt, wir Journalisten durften im Frühjahr sämtliche Beiträge aller Sektionen im heimischen Fernsehen oder auf dem Computer gucken, im Sommer konnte man die populärsten Streifen in Berliner Open-Air-Kinos sehen. Dort gab es dann eher fröhliche Biergartenstimmung als intensive Kinoerlebnisse.

Wie immer wird viel über den Wettbewerb mit seinen 18 Werke diskutiert: Ist es ausreichend, dass „nur“ sieben Filmemacherinnen dabei sind? Warum gibt es lediglich zwei deutsche Beiträge und nur einen aus Hollywood? Nun ja, der Anteil von weiblichen Filmschaffenden auf dem Festival war schon immer beträchtlich höher als bei vergleichbaren Events. Die Berlinale ist kein Heimatfest, es gab bisher auch viele Festspiele ohne teutonische Streifen im Wettbewerb.

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