„Sich sammeln“ – Studioausstellung von Patricia Schellenberger

Die Künstlerin Patricia Schellenberger will „Sich sammeln“ in ihrer Schau – unter genau diesem Titel. Hier, im kleinen Saal der Kunststation, hat sie gesammelte Arbeiten aus den letzten Jahren zusammengetragen, etwa ihre kugelige „Brillenskulptur“ aus 734 zusammengesteckten Brillen oder „unartige Stickereien.“

Eine dieser gestickten Handarbeiten heißt und verkündet die „Vollendete Nutzlosigkeit“, stellt das Sammeln infrage und bestätigt zugleich dessen Sinn – so die Idee der Künstlerin. Zahlreiche bildnerische Notizen, Wortspiele und fixierte Ideen hat Schellenberger im Laufe der Zeit auf gleichgroßen Blättern gesammelt und zur Seite gelegt, die momentan im Studio präsentiert werden. Jetzt provozieren sie Nachdenklichkeit oder Widerspruch bei den Betrachtern: „Man muss das Lassen wollen“ oder „Zeichen tun so hilfsbereit, nehmen aber Handlungsspielraum.“

Aufgeblasene weiße Luftballons verzierte und beschrieb sie mit einem zarten Stift. Nach dem Entweichen der Luft wirken die Muster auf den schlaffen Ballons unendlich filigran. „Sie ruhen nun“, schrieb sie dazu. „Bereit aber, sich luftvoll wieder zu weiten.“

Die Künstlerin zeichnet, malt, kritzelt, gestaltet Installationen, collagiert, stickt und nutzt auch ihren eigenen Körper. Sie hat keine Berührungsängste mit profanen Materialien oder Techniken. Dabei gehen Schrift und Zeichnung ineinander über, Worte verschmelzen mit Bildern. Denn was sich nicht sagen lässt, skizziert sie. Die Arbeiten Stehen für sich und interagieren untereinander auf den Wänden.

Experimentierfreudig verknüpft sie Alltägliches mit Bildender Kunst. Sie ist eine philosophische Künstlerin, die sich oft der Sprache bedient, um deren Bedeutung mit einem Augenzwinkern wieder infrage zu stellen. Sie produziert keine abstrakt-philosophischen Ergüsse, sondern paraphrasiert ihre Worte mit Zeichnungen oder Stricheleien. Darum ist „Das Herz der Ausstellung“, wie sie sagt, die linke Stirnwand des Raumes voller Skizzen und Bilder. „Diese sensible Linie, die den weißen Raum dennoch bestimmt gestaltet, das ist für mich ein tragendes Element.“

Für die Besucher hat die Künstlerin einen Rundgang durch ihren Raum beschrieben, das Papier liegt als Kopie zum Mitnehmen bereit. Eine hilfreiche Idee, denn ihre Installation ist eine große Herausforderung für das Publikum.

Weiterlesen

„Der Tod und das Mädchen“ und „Shuv“ an einem Tanzabend in Kassel

Unterschiedlicher können Tanzstücke heutzutage kaum sein: Zuerst die zeitgenössische und doch neo-romantische Tanz-Interpretation des Gedichtes „Der Tod und das Mädchen“ zur erweiterten Orchester-Variante Gustav Mahlers, nach der Musik von Franz Schubert. Und dann im zweiten Teil des Abends die fast mathematisch konstruierten, unterkühlten Tänze „Shuv“ zu ebenso konstruierten Klängen des Minimal-Musik-Komponisten John Adams.

„Der Tod und das Mädchen“

Im Saal ist es noch hell, die Leute schwatzen. Auf der Drehbühne führen zwei Treppen ins nirgendwo oder in den Himmel, in der Mitte liegt eine dicke rote Turnmatte. Sanft dreht sich die Bühne, immer wieder erscheinen eine Tänzerin oder ein Tänzer, ringelt und windet sich auf dem roten Gebilde, das wohl ein Bett symbolisiert.

Es wird dunkel, Mahlers Musik beginnt, drei Männer in schwarzen Kleidern räkeln sich auf der staubenden Matte. Sie sind der verdreifachte Tod, agieren mit sexuellen Positionen, Turnübungen oder Kampfposen. Zwei malträtieren auch mal den dritten Mann. Irgendwie vergnügen sich die Tode mit ihren Fantasien, was sie wohl mit dem Mädchen alles anstellen könnten…

Die Musik verstummt. Drei Tänzerinnen kommen, spielen in der Stille Mädchen beim Spitzentanz. Dann bilden sie mit den Toden drei Paare, locken einander, turteln herum. Bald bedrängen sie sich, weisen sich zurück, ringen leidenschaftlich miteinander, raufen um Nähe und Distanz. Die Musik setzt wieder ein. Mal ziehen sich zwei Paare an die Treppen zurück, überlassen das rote Turnbett einem erotisch-aggressiven Pas de deux, dann verdreifachen sie sich erneut. Irgendwann klemmen sich die Mädchen die Tode unter die Arme, zärtlich aber energisch schleppen sie sie die Treppen hoch. Ganz zum Schluss liebt sich ein nackt wirkendes Paar auf der Matte mit lautem Gelächter.

In der Vorlage von Matthias Claudius, dem Gedicht der „Tod und das Mädchen“, fleht das Mädchen: Vorüber! Ach Vorüber! / Geh wilder Knochenmann! / Ich bin noch jung, geh Lieber! Und rühre mich nicht an.“ Dagegen säuselt der Tod: Gibt deine Hand, du schön und zart Gebild! /Bin Freund und komme nicht zu strafen. / Sei guten Muts! Ich bin nicht wild. / Sollst sanft in meinen Arten schlafen!“

Weiterlesen

Florentina Holzinger als Material-Art-Kämpferin im Film „Mond“

Da haben sich aber einige bizarre Österreicher zusammengetan: Die wilde Tänzerin und Choreografin Florentina Holzinger als Schauspielerin und Ulrich Seidl, der radikale Regisseur und jetzige Produzent des Filmes. Holzinger schockte vor kurzem die braven Stuttgarter Ballettgänger mit ihrer Inszenierung „Sancta“ auf, Seidl ist der Filmemacher mit den „schmutzigen Socken des Kinos“, wie sein Kollege Michael Haneke einst wohlwollend (!) befand. Mit „Mond“ präsentiert die junge österreichisch-kurdische Regisseurin Kurdwin Ayub ihren zweiten Spielfilm.

Darin gibt Holzinger als Sarah eine angeschlagene Material-Art-Kämpferin, der ein Job in Jordanien angeboten wird. Dieses Projekt kommt ihr gerade recht, denn durch eine blutige Niederlage ist ihre Karriere als aktive Kämpferin am Ende. Dort im Nahen Osten soll sie drei jungen Töchtern einer steinreichen arabischen Familie Kampfkunst lehren. Die Mädchen sind extrem zickig und verzogen und nicht gerade von ihrer Coachin begeistert, die mit harten Fitnessübungen einsteigt. Bisher haben sie bereits allerlei Trainerinnen verschlissen. In der riesigen Villa geschehen unheimliche Dinge, mal ruft jemand leise um Hilfe, mal entdeckt Sarah ein Krankenzimmer, das auf sie wie eine Folterkammer wirkt. Die Mädchen sind von der Außenwelt abgeschlossen, WLAN gibt es nicht. Man bangt mit Sarah und fürchtet um Sarah, die allzu neugierig unbedingt das Geheimnis des unheimlichen Hauses lüften will.

Mehr möchten wir hier von der spannenden Filmhandlung nicht verraten, die zwischen vagen Horrorelementen und Barbiekitsch changiert. „Alles kann Tanz sein“, sagte Pina Bausch einst und so „tanzt“ Holzinger nun durch Jordanien. Denn absolute Fitness ist für Kampfkünstlerinnen genauso wichtig wie für Tänzerinnen. Und in ihrem Training mit den jungen Mädchen legt sie – genauso wie im Tanz – großen Wert auf Körperkontrolle, Balance, Timing und präzise Bewegungsabläufe. Wer einmal einen anspruchsvollen Kung-Fu-Film gesehen hat, sagen wir „The Grandmaster“ von Wong Kar-wai (Berlinale 2023), der weiß, dass die asiatischen Material-Art-Kämpfe wie artifizielle Tänze anmuten können.

Also kein Wunder, dass Florentina Holzinger von der jungen Regisseurin Kurdwin Ayub für die Hauptrolle gewählt wurde. Der ganze Film wird von ihr getragen, sie ist in jeder Szene großartig präsent. Erzählt wird die Geschichte mit langen Einstellungen und recht einfachen Bildern.

Weiterlesen

„Ausgelöst“

in der neuen Ausstellung im Kunstverein Fulda zeigen drei Gast-Künstlerinnen ihre unterschiedlichen Objekte. 

Bei fantastischem Frühlingswetter wurde am letzten Sonntag die neue Ausstellung des Fuldaer Kunstvereins eröffnet. Die Vernissage fand im Freien statt und begann mit einer Performance der Künstlerin Christiane Gaebert. Auf ein großes weißes Blatt zeichnete und kritzelte sie blitzschnell mit zarten Linien viele angedeutete Gesichter. Vom Band erklangen dazu Gesänge aus den 1920er-Jahren, diverse Geräusche, groteske Töne Neuer Musik, Textfragmenten von Brecht oder Hauser. Einerseits inspirierten die Klänge die Künstlerin bei ihrer intuitiv-dynamischen Gestaltung, andererseits verdichtete sich dadurch ihre Arbeit aber auch zu einer Aufführung für das Publikum.

Nach einiger Zeit begann sie mit verschiedenen Farben Teile des Bildes auszumalen, manche Gesichter mit fetten Farblinien nachzuziehen. Gut eine spannende halbe Stunde später hatte sie ein provisorisches Werk geschaffen, das ihren wesentlich komplexeren Bildern im ersten großen Ausstellungsraum des Kunstvereins ähnelte. Auch bei dem gewaltigen Gemälde „Die Zusammenkunft“ schauen aus dem Hintergrund Menschen zu, während sich eine Äffin und ein Zicklein im Vordergrund annähern. Daneben hängt ein mächtiges Wimmelbild von ihr, mit lauter Gesichtern, gezeichnet mit einer einzigen, durchgehenden Linie. 


Gaeberts Performance war auch eine Demonstration ihrer dynamischen und spontanen Arbeitsweise, in der deutlich wurde, dass sie vielleicht bestimmte Vorstellungen zur Gestaltung im Kopf hat. Dass aber auch die äußere Atmosphäre und die Eigengesetzlichkeit der Farben und Linien das Ergebnis mitbestimmen. Im völligen Kontrast dazu stehen ihre geschnittenen Konstruktionen aus Papier, gleichsam dreidimensionale Scherenschnitte unter Glashauben. Sie wirken wie schwebende bizarre Skulpturen, die einfach geplant und konstruiert werden müssen. 

Weiterlesen

„Niki de Saint Phalle“ – ein Film über die Geburt der Künstlerin

Die Künstlerin Niki de Saint Phalle wuchs teilweise in New York auf und kehrt Anfang der 1950er-Jahre nach Paris zurück. Hier überfallen sie diffuse Ängste, blutige Träume und vage dämonische Erinnerungen. Als sie mit einem Messer unter dem Bett schlafen gehen will, zwingt ihr Ehemann sie, sich in psychiatrische Behandlung zu begeben.

In diesem seelischen Tohuwabohu werden Niki auch die einstigen sexuellen Übergriffe ihres Vaters schmerzhaft bewusst. Mit Elektroschocks traktiert man sie in der Nervenklinik, ansonsten wird sie ruhiggestellt, Beschäftigung ist ihr verboten: „Die Behandlung ist so intensiv, dass sie keine Kraft für anderes haben“, heißt es.  Sie darf nicht malen wie ein Mitpatient, dessen grellfarbene Gemälde sie faszinieren. Heimlich sammelt sie Müll, den sie gestaltet oder malt mit Schlamm und Wasser auf Pappkartons. Das wird ihr untersagt, die „Helfer“ kapieren nicht, dass ihr diese eigene Gestaltung der Welt – durch die Entdeckung der Kunst – hilft und Kraft gibt. Überhaupt nicht hilfreich ist dagegen die würdelose Behandlung in der Irrenanstalt und der vom Psychiater geleugnete väterliche Missbrauch. Jedoch fügt sie sich in die Zwänge der Anstalt um entlassen zu werden.

Wieder zuhause arbeitet Niki künstlerisch wie besessen, doch sie verzweifelt: „Ich male wie eine Zehnjährige, ich will lernen!“ Auf der Suche nach Unterstützung lernt sie in der losen experimentierfreudigen Pariser Szene Yves Klein, Daniel Spoerri und Jean Tinguely kennen. Niki und Tinguely verstehen sich gut, aber in seiner Clique wird sie anfangs heftig angefeindet: „Du bist keine Künstlerin, du bist nur die die malende Frau eines Schriftstellers.“ Dagegen ermuntert Tinguely Niki, die brave Malerei sein zu lassen: „Komm, wir spielen Kunstpolizei“, ruft er, hält sich seine Schweißermaske vors Gesicht und kommandiert: „Fort mit Farben, Leinwänden und Pinseln!“

Niki beginnt mit großen Gipsfiguren zu arbeiten, in die sie Beutel mit roter Farbe einschließt und darauf schießt. Weitere bizarre Gestaltungen und brisante Aktionen folgen, sie schleudert ihre Wut durch die Kunst in die Welt hinaus. Sie verlässt ihren Mann, heiratet Tinguely und wird zunehmend – als einzige Frau – in der männlich dominierten Kunstszene dieser Jahre bekannt. Durch den Film erleben wir diese kurze Episode ihres Lebens, die Ereignisse zwischen 1952 bis 1961, in der sie zur Künstlerin heranreift und die lockere Avantgarde-Gruppe Nouveaux Réalistes mitbegründet.

Weiterlesen

Über den Film „Köln 75“ – Keith Jarrett in Concert

Als Vera Emde 50 Jahre alt wird, taucht auch ihr Vater auf und hält ungefragt eine böse Rede, in der er seine Tochter übel beschimpft. Dann die Rückblenden: Vera Brandes (Mala Emde) ist ein aufmüpfiger Teenager in den 1970er-Jahren. Ständig liegt sie mit ihrem Zahnarztvater (Ulrich Tukur) im Clinch. Statt fleißig für das Abitur zu lernen, um mit Bestnoten Zahnmedizin zu studieren, beginnt sie heimlich Jazz-Konzerte zu organisieren. Dafür spannt sie auch ihren Bruder und ihre Freundinnen zur Mitarbeit in einer versteckten Wohnung ein. 

Zwei Jahre später, nachdem sie zum ersten Mal einen Saxophonisten promotete, erlebt sie in Berlin den eigenwilligen Improvisationsmusiker Keith Jarrett (John Magaro) am Klavier. Sie ist so fasziniert, dass sie für ihn unbedingt einen Auftritt in Köln organisieren will. Dazu braucht sie 10.000 Mark als Kaution für den Opernsaal, die ihr letztlich die Mutter (Jördis Triebel) hinter dem Rücken des Vaters zukommen lässt. Doch sie muss versprechen den Jazz aufzugeben und Zahnmedizinerin zu werden, wenn das Projekt misslingt.

Jarrett tourt durch Europa, jeden Abend improvisiert er an einem anderen Ort. Der Musiker ist erschöpft, wird von Rückenschmerzen geplagt und weigert sich nach Köln zu kommen. Doch sein Manager Manfred Eicher (Alexander Scheer) überredet ihn zum Auftritt. Beide fahren in einem winzigen Auto des Nachts von Lausanne nach Köln um Geld zu sparen. Ihnen schließt sich noch Musikjournalist Michael Watts (Michael Chernus) an, der nervt und beide vollquatscht – aber auch direkt zum Kinopublikum über Jazz und Improvisation spricht. Als sie morgens in Köln ankommen mogeln sie, dass sie aus dem Flieger kommen, so wie Brandes mit ihrer professionellen „Agentur“ schwindelt…

Es ist Wochenende, in der Oper sind keine Verantwortlichen mehr da, um den von Jarrett geforderten Flügel „Bösendorfer Imperial“ herbeizuschaffen. Auf der Bühne steht nur ein kaputter, schlecht klingender Stutzflügel für Proben. „Das ist Schrott“, schimpft der Pianist nach einem Tastenanschlag, „darauf spiele ich nicht“, sagt er und geht. Nun beginnt der Film sehr, sehr hektisch zu werden. Brandes düst durch Köln, versucht einen edlen Flügel zu bekommen, doch der kann nicht durch den Regen gefahren werden. Zwei Klavierstimmer glauben nicht, das kaputte Teil noch rechtzeitig reparieren zu können. Und Jarrett will sowieso nicht mehr spielen. Brandes stürmt in sein Hotelzimmer, wirft ihm Hochmut vor und beschimpft ihn:

Weiterlesen

„Mickey 17“ – ein erstaunlicher Film mit Robert Pattinson

Ein Mann im Schnee reinigt seine Schutzbrille, reibt seine schmerzenden Glieder und merkt, dass es in eine tiefe Gletscherspalte gestürzt ist. „Wie habe ich das überlebt?“, fragt er sich und schreit um Hilfe. An einem Seil lässt sich ein Kollege herab und staunt: „Was? Du bist ja noch nicht tot! Aber du bleibst ja hier.“ Dann lässt er sich wieder hochziehen.

Nach dieser absurden Nicht-Rettungs-Szene ein Rückblick: Mickey 17 (Robert Pattinson) hatte mächtige Geldsorgen, wurde von brutalen Gläubigern verfolgt und verpflichtete sich für ein langjähriges Raumfahrtprogramm. Viereinhalb Jahre dauerte die Reise zum Eisplaneten Nifelheim. So ganz genau hörte er beim Anheuern nicht zu und las auch nicht, was er unterschrieb. Seine Anleiterin roch ihm einfach zu gut. Nach der Landung auf dem Himmelskörper musste er die toxische Atmosphäre erkunden und von Wissenschaftlern entwickelte Gegenmittel testen. 

Nun starb er bereits 16-mal und wartet wieder auf den Tod. Doch es kommt anders als bisher, das wird aber hier nicht verraten. Im Raumschiff reproduziert man bereits Mickey 18. Mickeys Biodaten sind eingescannt und seine aktuellen Erinnerungen gespeichert, so kann er jederzeit mit einem 3D-Drucker kopiert werden. „Du wirst dich ans Sterben gewöhnen müssen“, hieß es. Er ist quasi der letzte Dreck der vielfältigen Besatzung, die aus 200 Technikern, Ingenieuren, Sicherheitsleuten und „edlen weißen“ Menschen besteht, die den Planeten bevölkern sollen.

In weiteren Rückblenden erfahren wir von Mickys ersten Toden, dann von seiner heimlichen Liebschaft mit der Sicherheitsfrau Nasha (Naomi Ackie), die in der Hierarchie weit, weit über ihm steht. Aber immerhin wird er ja von Robert Pattinson verkörpert. Deshalb ist Nasha auch sehr erfreut als die beiden Mickeys – der alte, eher zärtliche, und der neue, eher draufgängerische – ihr plötzlich gegenüberstehen. Sofort schleppt sie beide in ihre Kabine… 

Mehr wird nicht von dieser Story nicht gespoilert, die Handlung wird in diesem Genremix sehr komplex erzählt und überrascht mit einigen dramatischen Wendungen. Die Raumreise und die Besiedelung des neuen Planeten wurde von Kenneth Marshall (Mark Ruffalo) organisiert und durchgeführt. Er wird von seinen Anhängern auf der Erde und im Raumschiff als Messias verehrt, denn er will auf Nifelheim eine reine weiße Superrasse heranzüchten.

Weiterlesen

Man kommt strahlend aus dem Kino: „A Complete Unkown“

„Sie sehen aber glücklich aus“, sagen mir die Service-Frauen der Berlinale, beim Herauskommen nach dem Bob-Dylan-Film. Tja, das war ich, noch mit dem Song von Woody Guthrie in den Ohren: „So long, it’s been good to know ya“ (Es war schön, dich zu kennen). Aber wer kennt heute noch diesen Folksänger?

Mit der Ankunft Dylans in New York am 24. Januar 1961 beginnt der Film. Sogleich fährt er ins Krankenhaus, in dem sein Idol Guthrie sterbenskrank liegt. Dort trifft er auf Pete Seeger, einen anderen Folkmusiker. Dylan spielt ihnen den „Song für Guthrie“ vor, dann ein eigenes Stück. Die beiden sind begeistert, sehen in dem Zwanzigjährigen die Verjüngung der Folkmusik, die für sie auch mit dem Kampf für Demokratie und gegen Rassismus verbunden ist. Bald kommt es zu einem ersten Zwist, als Dylan erklärt, er sei kein Folksänger, er würde lediglich Folksongs machen. Doch Seeger widerspricht: „Ein guter Song braucht keinen Schnick-Schnack“. Aber angesichts Dylans neuer Musik wirkt der traditionelle Folk recht hausbacken.

Der Film zeigt wie Robert Zimmermann zum Star Bob Dylan wird, die fünf Jahre bis zu seinem unerhörten Auftritt mit einer Rockband beim Newport Folk Festival 1965. Zunächst sieht Timothée Chalamet in seiner Rolle als Dylan, ihm nicht besonders ähnlich, auch die Stimme klingt etwas anders. Doch im Laufe des Films wird Chalamet ebenfalls zu Bob Dylan mit Locken. Das Werk ist eine Mischung von temporärem Biopic und Spielfilm: Die langjährige Freundin, die der Musiker in New York findet, ist in der Geschichte fiktiv. Sie ähnelt aber seiner damaligen beständigen Geliebten, die häufig recht eifersüchtig auf Joan Baez ist. Ob diese Details stimmen, ist nicht so wichtig. Man weiß nicht, hat er wirklich zu Baez gesagt, „deine Texte sind so gewollt wie die Bilder in einer Zahnarztpraxis.“ Aber er macht und denkt immer was er will, findet dafür offene Worte.

Über ihn und Joan Baez, die bereits sehr bekannt ist, fasst er auch Fuß in der New Yorker Szene. Mit „Blowin in the Wind“ oder „The Times They Are A-Changing“ macht er schnell Karriere, weil er das Lebensgefühl der frühen 1960er-Jahre und den Kampf für Veränderungen sehr poetisch ausdrückt. Auf seiner ersten Platte sind noch Coverversionen bekannter Folk-Songs, doch bald werden auch seine eigenen Lieder veröffentlicht. Sehr schnell steigt Dylan auf, aber er verweigert sich dem Starkult, will kein Guru sein. Bei einer Party haut er schimpfend ab:

Weiterlesen

„Heldin“ – was für ein Film!

Der Film „Heldin“ ist unglaublich! Viele Kolleginnen und Kollegen der Presse konnten sich vor seiner Weltpremiere auf der Berlinale kaum vorstellen, dass dieser Spielfilm in dokumentarischer Form, eine derartige Spannung beim Publikum erzeugen kann – und ohne Pathos und Wehklagen so berührt. 

Natürlich geht es um den „Pflegenotstand“, die Überlastung des Personals in den Kliniken und die Vielfalt der Bedürfnisse der zu Pflegenden. Jedoch der Hintergrund ist ein ganz normaler Stationsalltag, es wird keine durchgehende Geschichte erzählt. Wir erleben die stationären Abläufe allein aus der Perspektive der Pflegefachkraft Flora (Leonie Benesch), die mit großer Leidenschaft und Professionalität in der Chirurgie eines Schweizer Krankenhauses arbeitet. Sie ist in (fast) allen Szenen durchgehend präsent, aber immer authentisch und glaubwürdig. Es wird nicht über sie berichtet, wir arbeiten mit ihr. Dadurch wird der Film auch nicht larmoyant.

Bei Flora sitzt jeder Handgriff, sie hat selbst in stressigen Situationen immer ein offenes Ohr für ihre Patientinnen und Patienten. In Notfällen oder prekären Momenten handelt sie sofort, muss dann aber andere notwendige Aufgaben hintenanstellen. Dafür hat ihre Klientel selten Verständnis. Als die Pflegefachkraft im Film ihre Spätschicht antritt, fällt auf der voll belegten, unterbesetzten Station eine Kollegin aus. 

Trotz aller Hektik umsorgt Floria eine schwer kranke Mutter und einen alten Mann, der dringend auf seine Diagnose wartet, ebenso fürsorglich und routiniert wie den Privatpatienten mit all seinen schrulligen Extrawünschen. Auch den Angehörigen begegnet sie einfühlsam und kümmert sich um deren Probleme. Doch dann unterläuft ihr ein verhängnisvoller Fehler und die Schicht droht, völlig aus dem Ruder zu laufen. Ein nervenzerfetzender Wettlauf gegen die Zeit beginnt, auch wenn eine Ärztin sie tröstet: „Fehler passieren uns alle mal.“

Der Film ist mit zwei, drei besonderen Situationen dramatisch verdichtet, nicht jeden Tag geschehen einige „filmreife“ Ereignisse. Filmmusik, Kamera und Schnitt sorgen zusätzlich für die cineastische Spannung des Alltäglichen. Doch die Vielzahl unterschiedlicher Anforderungen, die Hektik und Überbelastung der Pflegenden sind auch die alltäglichen Merkmale der stationären Arbeit. Doch nicht alles ist schrecklich, immer wieder können wir einfühlsame Begegnungen zwischen der Klientel und den Pflegenden oder der Pflegenden untereinander miterleben.

Weiterlesen

„In unserem Blut haben wir diese Zirkusseele“

Das Ensemble People Watching zeigt sein erstes Werk „Play Dead“ im Berliner Chamäleon

Die Bühne ist ein angedeutetes Wohnzimmer im Halbdunkel. Ein Mann versucht mehrmals eine Zigarette anzuzünden, doch wenn die Flamme angeht, zuckt er ruckartig zusammen. Während er abgeht, erscheint ein Paar. Der Mann redet auf die Frau ein, die sich genervt langsam von ihm zurückzieht. Sie beugt sich mehr und mehr nach hinten, berührt mit dem Hinterkopf den Boden, verschwindet dann mit einem Salto rückwärts über das Sofa. Eine andere setzt sich auf einen Stuhl und knabbert Möhren.

Bei diesen ersten Bildern aus „Play Dead“ wähnt man sich in einem frühen Stück von Pina Bausch. Bald wird dann mit vielen akrobatischen Einlagen emotional getanzt, nicht um athletische Kunststücke zu verbinden, sondern zur Verstärkung des Ausdrucks. Die alltäglichen Handlungen und die Tänze sind oft akrobatisch so übersteigert, dass sie erschreckend oder absurd wirken. Wir sind im Zeitgenössischen Zirkus, in dem sich durch Übertreibung und Irritation Szenerien irreal verdichten. Akrobatik ist hier weder Wettkampf noch l’art pour l’art, sondern wird ebenso wie die Tänze von realen Gefühlen der Akteure getragen. Ihre Darbietungen wirken authentisch – und immer wieder blitzt auch Humor auf.

Eine Frau klettert in den Schrank, tanzt darin, hüpft mehrfach heraus und wieder hinein, kann sich offenbar zwischen ihren Kleidern nicht entscheiden. Neugierig schaut die Gruppe zu. Halbnackt turnt sie waghalsig in und am Schrank herum. So werden die wenigen Möbel häufig bespielt oder als artistisches Gerät genutzt. 

Zwei Männer begegnen sich in einem heftigen Pas de deux, setzen sich auseinander, kämpfen miteinander, kommen dann mit übersteigerten körperlichen Posen wieder zusammen. Auf dem Schrank beobachten zwei Frauen das Geschehen. Während die Männer im Dunklen verschwinden, beginnen die beiden ganz allmählich einen kühnen Pas de deux auf dem engen Möbelstück. 

In „Play Dead“ vereint „Play“ das Spiel, das Fröhliche, die Leichtigkeit – in „Dead“ dagegen den Tod, die Verzweiflung, das Bedrohliche. Das Ensemble zeigt diese emotionalen Zustände, die es in der Abgeschiedenheit der Corona-Zeit empfand, in Form brachte und choreografierte.

Weiterlesen