Rufe in die Dunkelheit – fantastisches Herbstkonzert des Grimmmischchores

Herbstlich geworden ist die Natur. Fallende Blätter treiben im Wind. Wir spüren bereits die düstere, kalte Jahreszeit. Der Ukrainekrieg dauert an, Israel wurde von einer Terrororganisation überfallen. In diesen dunklen Zeiten vermittelte der Gesangsabend des Grimmmischchores am letzten Sonntag in der Katholischen Kirche in Steinau a.d. Straße neue Kraft und Zuversicht.

In der angenehmen Atmosphäre des sehr gut besuchten Gotteshauses wurde das Vokalensemble in zurückhaltendes, farbiges Licht getaucht und war oft nur schattenhaft zu erkennen. Doch trotz des Ortes und zahlreicher geistlicher Melodien handelte es sich nicht um ein religiöses Konzert. Die Aufführung begann mit dem Stück „Morgenrot“ und endete mit dem „Abendlied“. Symbolisch nahm uns der Chor mit auf eine Tagesreise.

Das Programm war in mehrere Blöcke mit diversen Songs unterteilt, in die jeweils ein Chormitglied einführte. In den ersten Gesängen ging es um die Frage nach neuen Wegen und die Zeit des Abschieds. Einmal sogar poetisch-humorvoll im Schlaflied einer Seehündin für ihren kleinen Heuler: „Ach mein kleiner Flipper, roll dich behaglich zusammen…“ Bald wurde es spiritueller: „Wo Güte ist und Liebe, da ist Gott“, hieß es oder „Alle Augen warten auf Dich“. Himmelsboten wurden besungen mit Felix Mendelssohn-Bartholdys „Denn er hat seinen Engel“. 

Zwischendurch sprach eine Sängerin über ihren persönlichen Zugang zum Repertoire, eine andere deklamierte zur Herbststimmung passende Gedichte von Rainer Maria Rilke und Mascha Kaléko: „…ein welkes Blatt treibt still im weiten Raum.“ Der dramatische Höhepunkt der eineinhalbstündigen Darbietung waren die überaus kräftigen Gesänge „Domine“ oder „Ehre und Preis“ – gleichsam Rufe in diese dunkel werdende Welt. Leonhard Cohens „Halleluja“ brachte das Publikum dann langsam wieder herunter und zum leisen Mitsingen.

Neben deutschen Liedern gab es viele lateinische und englische Stücke, deren Texte oft kaum zu „verstehen“ waren. Aber gerade musikalische Klänge können ja das Unsagbare (oder das akustisch nicht Verstehbare) ausdrücken und fühlbar machen.

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Figurentheater „Amadeus“ im Steinauer Theatrium

Das Theatrium in Steinau an der Straße präsentiert in einer Wiederaufführung ihr Figurentheater „Amadeus“. Das Solostück mit Puppen bietet ein spannendes Erlebnis für Erwachsene und kann auch diejenigen faszinieren, die normalerweise mit klassischer Musik wenig zu tun haben. 

„War ich es oder war ich es nicht, der Mozart umgebracht hat?“ ruft mit Shakespeare’schem Zungenschlag der alt gewordene Komponist Antonio Salieri zu Beginn der Aufführung. Detlef Heinichen gibt als großartiger Schauspieler diesen, von Hass auf Wolfgang Amadeus Mozart zerfressenen Wiener Hofkapellmeister. Am Ende seines Lebens legt der bejahrte Salieri eine Beichte ab, in der er von den Begegnungen mit dem jungen Mozart berichtet und seine Intrigen gegen ihn bekennt. Heinichen führt als alter Salieri durch das Stück und lässt mit seinen großartigen Figuren das Ende des 19. Jahrhunderts in Wien aufscheinen. 

Changierend zwischen Erzähler und Puppenspieler nimmt er sein Publikum mit auf die spannende Zeitreise: Gerade verlässt Salieri Italien für eine bescheidene Karriere in Wien, da tingelt der sechsjährige Mozart bereits durch ganz Europa. Dieses „obszöne Kind“, wie der Hofkapellmeister es nennt, kommt später als exaltierter Erwachsener nach Wien und mischt die kaiserliche Musikszene auf. Salieri ist begeistert von Mozarts Musik, doch bereits in der ersten Oper, „Die Entführung aus dem Serail“, „…legten die Instrumente Netze aus Schmerz über mich.“ So stark spürt der Italiener seine eigene Mickerigkeit und Mozarts Größe. 

Viele Werke des jungen Komponisten werden erfolgreich aufgeführt, die seiner Meinung nach „das wirkliche Leben und keine langweiligen Legenden beschreiben“. Der begnadete, aber in ärmlichen Verhältnissen lebende Musiker, gewinnt sogar Kaiser Joseph II für sich, doch eine feste Anstellung bekommt er nicht. Das verhindern der hasserfüllte Salieri und andere höfische Musikschranzen: „Zu viele Noten, zu kompliziert“, suggerieren sie dem Kaiser.

Das Stück „Amadeus“ folgt dem gleichnamigen, vielfach preisgekrönten Film Milos Foremans von 1984.

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Die Performance-Trilogie „Leave Paradise“ im Grimm-Haus: „Rotkäppchen“ (Teil 1)

 

Drei Abende lang führt der Sprachkünstler Simon Weiland seine Performance-Trilogie „Leave Paradise“ im Grimm-Haus in Steinau an der Straße auf. Der Ursprung seiner Darbietungen sind Märchen der Brüder Grimm, die er kunstvoll in Szene setzt und radikal auseinander nimmt.

„Was ist, wenn der Wolf im Schafspelz sich ausgibt als der gute Hirte?“ Am ersten Abend geht es um Rotkäppchen, eine Stunde lang schlägt der Mann das Publikum im Grimm-Haus mit seinen Worten in den Bann. Mit intensiver Mimik und Körpersprache, wilden oder sanften Gesängen, Rollentausch und wechselnden Stimmen seziert er das von den Grimm-Brüdern arg gezähmte Märchen. Der Performer ist mal ein komischer, mal Gänsehaut erzeugender Sprachkünstler, der in keine Schublade passt.

Noch relativ konventionell stellt er mimisch dar, was Rotkäppchen im Wald soll, wie es plötzlich krumme Wege mit dem Wolf geht und dabei ihre Unschuld verliert. „Sah ein Knab’ ein Röslein stehn, Röslein auf der Heide.“ Mit seinem Gesang zur Gitarre entlockte Weiland die mächtig erotische Unterströmung des Volkslieds (und Goethe-Gedichts). „Rotkäppchen, wo bist Du?“ heult der einsam zurückgebliebene Wolf, denn „Rotkäppchen wollte nicht auf der Heide bleiben, keine Heidin sein.“ Sie geht nach Rom, dort tragen die Kardinäle ebenfalls rote Kappen…

Kühne Assoziationen, Wortspiele und Gedankensprünge wechseln mit bös grotesken Sequenzen: Weiterlesen