„Selig sind die Toten“ – Mozarts Requiem als Gesamtkunstwerk

Das ausverkaufte Kasseler Staatstheater präsentierte Wolfgang Amadeus Mozarts „Requiem“ im Rahmen des Themas Tod in dieser Spielzeit. Mit Ovationen im Stehen bejubelte das Premierenpublikum das mutige, experimentelle Gesamtkunstwerk „Selig sind die Toten“: Zur Musik des Staatsorchesters und Gesängen des Opernchores tanzt das Ensemble „Tanz_Kassel“. Dazu wird der unvollendeten Todesmesse des Komponisten – im Wechselspiel mit seinen klassischen Klängen – zeitgenössisches Sound-Design hinzugefügt. 

Der Vorhang hebt sich, die Bühne liegt im Dunklen. Vage erkennbar eine Menschenkette mit Grablichtern, die langsam nach vorne schreitet. Es ist der Chor, der bald das „Requiem“ anstimmt, um Ruhe und Licht für die Toten zu erbitten. Davor kaum sichtbar eine weiße Gestalt, die sich windet, reckt und streckt. Eine ruhige, meditative Atmosphäre entsteht.

Doch dann grelles Licht in einer kleinen weißen, über der großen schwebenden Bühne. Krasse Technoklänge erdröhnen. Die Gestalt taucht oben auf, nach und nach quellen weitere, nur spärlich bekleidete Menschen aus der Notausgangstür herein. Später farbiges Licht. Wilde Tänze. Viel Geschrei. Dann Stille, die Orchesterbühne fährt hoch. Der Chor erscheint auf der kleinen Bühne, intoniert die „Sequenzen“. Rhythmisch bewegen sich die Singenden, während die Tanzenden mühselig aus der Höhe heruntergleiten. Auf der Bühne ein Berg Kleider. Die Menschen ziehen sich an, begegnen sich ungestüm zu Mozarts dramatischer Musik. Angesichts des Todes zeigen sie Verzweiflung. Hoffnung. Entkommen. Sich fügen…

Die Company illustriert nicht die Texte der Messe, sondern setzt sie in ihre Bewegungssprache um. Oft frieren die Performenden in den Aktionen ein, schaffen berührende Szenenbilder. Alle Singenden treten ohne Notenblätter auf und werden häufig in die Choreografien eingebunden. Solistinnen und Solisten bewegen sich mitten im Ensemble und kreieren manchmal Pas de deux mit Tanzenden. 

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Die Choreografin Nanine Linning verlässt Heidelberg – ein trauriger Abschied

Sechs Jahre lang erneuerte Nanine Linning (41) mit ihrem kleinen Ensemble erfolgreich die Tanzsparte des Heidelberger Theaters. Nun verlässt sie die Stadt und arbeitet in Europa als freie Choreografin ohne festes Engagement.

Eine Gruppe von gefiederten Wesen bewegt sich zitternd, drehend, hüpfend zur nervösen Minimal Music John Adams. Manchmal werden die nicht synchron Tanzenden ganz, ganz langsam, Einzelne brechen mit individuellen Bewegungen aus und kreieren doch in der Gruppe gemeinsame Bilder. Später verschwinden Paare zu klagenden Tönen von Arvo Pärt und Gustav Mahler hinter milchigen Vorhängen. Zur Livemusik des Philharmonischen Orchesters tanzen sie Soli oder Pas de Deux; und werden immer weniger.

„Dusk“, dieses reduzierte Stück auf der kahlen Bühne erzählt vom Abschied, vom Verschwinden – und stimmt sehr traurig! Man spürt intensiv den Schmerz, den Linning über den Verlust eines geliebten Menschen, in diesem Werk aufgehoben hat. Zugleich aber ist diese melancholische Choreografie ihr Schwanengesang: ihre letzte Arbeit in Heidelberg, die noch bis zum Ende der Spielzeit gezeigt wird.

Einige Tage danach präsentiert die Compagnie zum letzten Mal „Khora“, ihr Tanzstück des letzten Jahres. Auch hier ist die gesamte Choreografie bereits stark reduziert, die leere Bühne wird ab und zu lediglich mit Vorhangstreifen und farbigem Licht gestaltet, das verfremdet die Tanzenden und schafft faszinierende vergängliche Räume. Auch ohne die aufwendigen Bühnenbilder der letzten Jahre zeigt das Ensemble berührende und spannende Bilder mit zahlreichen Bewegungsstopps. Während es im klassischen Tanz eher darauf ankommt, sich kunstvoll von einem Ort zum anderen zu bewegen, schafft die Compagnie durch das Einfrieren kunstvolle flüchtige Skulpturen.

Doch der großartige Tanzabend versackt am Ende in einer banalen choreografischen Tupperparty. Weiterlesen