„Die Heilige Johanna auf dem Scheiterhaufen“ – eine außerordentliche Inszenierung in Frankfurt

Die Frankfurter Oper beendet ihre Spielzeit mit einer außerordentlichen Inszenierung des szenischen Oratoriums „Die Heilige Johanna auf dem Scheiterhaufen“ (Jeanne d’Arc au Bûcher)

Zunächst träumt eine Frau im Himmel, zu den spätromantischen Klängen Claude Debussys („Die Auserwählte“), hoffnungsvoll von ihrem irdischen Geliebten. Sie sehnt sich, hier bald mit ihm vereint zu werden: „All das wird sein, wenn er kommen wird.“

Übergangslos erklingt nun die sphärische Musik des Oratoriums. „Finsternis lag über dem Land“ intoniert der stark erweiterte Chor der Oper, „es war ein Mädchen namens Jeanne.“ In einem Lift schwebt sie aus dem Himmel, der durch eine zweite, gläserne Bühnenebene gebildet wird. Bald schreit und singt der Riesenchor, der sie eben noch hochleben ließ, als aufgehetzter und ihren Tod fordernder Mob: „Hexe“ und „Ketzerin“. „Bin ich das?“, fragt fassungslos Jeanne, verkörpert durch Schauspielerin Johanna Wokalek. In zehn Bildern erinnert sie sich dann an Szenen aus ihrem Leben.

Die großartigen üppigen Tableaus, die fast immer vom gesamten Chor dargestellt und besungen werden, zeigen das Glücksspiel dekadenter Herrscher um Jeannes Leben, wilde heidnische Freudenfeste oder den Empfang ihres siegbringenden Schwertes durch Erzengel Michael. Schauerlich das Tribunal und die angedeuteten Folterszenen auf einem Schrottplatz. Der Vorsitzende des Gerichts ist ein ordinäres Schwein, die vulgären Beisitzenden blöken als Schafe „mäh, mäh.“ Zum Schluss findet die Totgeweihte zu sich und verliert ihre Angst, „Du bist nicht alleine“, ruft eine Stimme vom Firmament.

„Jeanne d’Arc au Bûcher“ ist keine Oper… Weiterlesen

„Der Sandmann“ in der Oper Frankfurt – Erneut ein Meisterwerk des Regisseurs Christof Loy

Die Oper Frankfurt eröffnete ihre neue Spielzeit mit Christof Loys Inszenierung „Der Sandmann“, frei nach ETA Hoffmanns Erzählung. Nach der Uraufführung 2012 in Basel, brachte der internationale Regiestar das Gesamtkunstwerk erneut als großartigen und sehenswerten Psychothriller auf die Bühne.

„Bitte nehmen sie mich!“ Fast zum Ende des Stücks füllt sich die karge Bühne mit grell geschminkten Frauen (des Chores) in roten aufreizenden Kleidern, die allesamt kreischen: „Bitte nehmen sie mich!“ Rauben Nathanaels Fleisch gewordene Fantasien ihm nun endgültig den Verstand oder sind es reale mechanische Puppen, die ihn in den Abgrund treiben? Von Anfang an vermischen sich im Stück die Wahnvorstellungen des Dichters Nathanael (Daniel Schmutzhard) mit dem scheinbar echten Leben: Ein Albtraum, der nicht endet.

Anfangs ist die Bühne pechschwarz, seltsam grell von Leuchtstoffröhren eingerahmt. Die Ouvertüre, es gibt wirklich eine Ouvertüre!, evoziert mit tiefen Fagott-Tönen oder sphärischen Violinen-Klängen eigene Assoziationen oder Erinnerungen an „Hoffmanns Erzählungen“. Tatsächlich handelt der zweite Akt dieser Oper Jacques Offenbachs vom „Sandmann“. Später werden die Töne schriller und atonaler, es wird hell, Nathanael windet sich, vom Irrsinn gepackt, in einer Ecke.

Der Poet streitet mit seiner Verlobten Clara (Agneta Eichenholz) über seine ihn bedrängenden Trugbilder, die jedoch Grundlage seiner Dichtung seien. „Du brauchst einen Arzt. Alles ist real,“ setzt sie stoisch dagegen. Doch im Hintergrund agieren längst, bestens miteinander vertraut, der tote Vater Nathanaels und der Sandmann, der ihn möglicherweise umbrachte… Weiterlesen

Die unerträgliche Leichtigkeit des Meerschweins – Helmut Lachenmanns „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ in der Frankfurter Oper

„Musik mit Bildern“ nennt Tonkünstler Helmut Lachenmann seine selten aufgeführte Komposition „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ von 1997. Nur wenige Tage präsentiert die Frankfurter Oper dieses außergewöhnliche Werk nach HC Andersens Märchen.

„Es war ganz grausam kalt; es schneite und es begann dunkler Abend zu werden. In dieser Kälte ging auf der Straße ein kleines, armes Mädchen mit bloßem Kopf und nackten Füßen.“ So beginnt Andersens Märchen, in dem die Kleine an der Kälte und den gleichgültigen Menschen zugrunde geht.

Orchester und Chor sind im Saal verteilt, auch auf der Bühne sitzen Zuschauer. Auf einer Ebene über ihnen musizieren Instrumentalisten, die von einer großen Leinwand verdeckt werden. Zu Beginn pusten und schnauben die Bläser in ihre Instrumente, Streicher kratzen und scharren mit den Bögen. Chor und Solistinnen atmen laut, keuchen und schnalzen. Diese Geräusche verbreiten eine fremdartige und eisige Atmosphäre im Saal. Manche Töne machen Verkehrslärm und achtloses Vorübergehen der Leute spürbar. „Ritsch!“, allegorisieren die Violinen das Anzünden der Schwefelhölzer, an deren Flammen sich das Mädchen wärmt und ihre Fantasien entzünden. Musikalische Klangsplitter und lyrische Gesangsfetzen mischen sich unter die Tonmalereien. Der Kältetod des Kindes mit wundersamen Halluzinationen wird mal laut und dramatisch, meist aber subtil und geheimnisvoll in eigen-artige Klänge umgesetzt… Weiterlesen