„Sieger sein“ – ein Märchenfilm aus dem Berliner Wedding

„Ja, ich trage Klamotten, die keiner mehr trägt. Ja, ich bin ein Scheißflüchtling“, beschimpft die aus Kurdistan in Syrien geflüchtete Mona ihre Mitschüler. Sarkastisch fügt sie hinzu: „Herzlich willkommen in Deutschland!“ Die multikulturellen Kids mobben die Elfjährige, doch der freundlich-konsequente Lehrer Herr „Che“ Chepovsky nimmt sich ihrer an: „Willkommen in der 7. Weddinger Schule.“ 

In Rückblenden wird deutlich, Mona (Dileyla Agirman) wollte nicht flüchten, „aber niemand hat mich gefragt!“ Sie möchte wieder in ihr Land zurück und ist eine gute Fußballspielerin. Natürlich ist weder an eine Rückkehr zu denken noch daran, dass sie in der Mädchenmannschaft dieser Schule mitspielen darf. Denn hier Schule kämpft jeder gegen jeden: die Jungen gegen die Mädchen, die alten Migrantenkinder gegen die neuen, alle Schüler gegen die Lehrer, die Lehrer untereinander… Die Jungen gießen den Mädchen Gips in die Turnschuhe und zerschneiden ihre Trikots.

Die Kids in ihrer Klasse grenzen Mona aus, weil sie Respekt für die Lehrer fordert und Lust zum Lernen hat. „Wir wurden mit dem Lineal verhauen“, erzählt sie, „als die anderen sie als Streberin attackieren.“ Und sie macht ihnen klar, was Diktatur, gerade für Kinder in Syrien bedeutet. Manchmal wendet sie sich an das Publikum und spricht direkt in die Kamera: „Demokratie ist kein Spaß, dafür sterben Menschen bei uns.“ 

Lehrer und Trainer „Che“ (Andreas Döhler) will, dass sie bei den Mädchen mitspielt. Da sie keine Fußballschuhe hat, beschließt er kurzerhand: „Heute wird barfuß gekickt, damit ihr ein besseres Verhältnis zum Ball bekommt.“ Das Training ist eine Katastrophe, jede kämpft für sich, keine achtet auf die andere, sie sind kein Team. Später spalten sich sogar einige zickige Spielerinnen ab.

Dann beginnt jedoch das Weddinger Märchen!

Mona integriert sich und wird wichtig für die Mannschaft. Einer Schülerin soll von der Schulleitung das Mitspielen verboten werden, die anderen solidarisieren sich. Die Mannschaft wird besser und beteiligt sich, mit abenteuerlich zusammengenähten Shirts, an den Berliner Meisterschaften.

Der Film ist kein „Sommermärchen“ des Fußballs, das Spiel ist nur ein Medium für die Darstellung der Probleme in der Schule und bietet Konfliktlösungen an. Wir erleben die Migrantenfamilie, die nicht nach Deutschland wollte, aber deren Leben in der Heimat bedroht wurde. Monas Tante Heli kämpft im kurdischen Widerstand und schenkte ihr zum Abschied einen richtigen Fußball. In schwierigen Momenten erinnert sich Mona an sie und bekommt neue Kräfte. By the way erfährt gerade das junge Publikum die Unterschiede zwischen Demokratie und Diktatur oder was in Syrien los ist.

Weiterlesen

Generation: Filme für Kids auf der Berlinale

Bereits vor über 40 Jahren gründete die Berlinale ihre Sektion „Generation“ mit Filmen für Schulkinder und Jugendliche. Solch eine Reihe gebe es weder in Venedig noch in Cannes, erklärte Mariette Rissenbeek, Co-Leiterin des Festivals, in einem taz-Interview. Dieser Bereich sei absolut wichtig, weil sie „junge Zuschauer anspricht und viele Filme mit viel Publikum bietet.“

„Yalda“, der iranische Spielfilm, ist sicher der heftigste dieser Sektion, der die Brüche zwischen gruseliger Tradition und moderner Medienwelt aufreißt: In einer Reality-TV-Show kämpft die junge, zum Tode verurteilte Maryam weinend um ihr Leben. Vor laufender Kamera muss sie das Publikum um Vergebung sowie Blutgeld für ihre Tat bitten.

Mit dem Übergang zum Erwachsenenalter in diversen Kulturen setzten sich etliche Coming-of-Age-Filme auseinander. In „Kokon“, dem gefeierten Eröffnungsfilm der Reihe, hat Nina ihre erste Menstruation und verliebt sich in eine Außenseiterin. Von ihrer Schwester Jule wird sie angeblafft: „Hör auf mit der Bitch zu chillen!“ Die Welt dieser Mädchenclique im Berliner Brennpunkt Kotti ist genauso exotisch, wie die von Amy im Pariser Barbès: In „Mignonnes“ wird die Elfjährige aus dem Senegal zwischen afrikanischer Tradition und modernem französischen Leben zerrissen: Die Mutter bereitet das Ehebett für die zweite Hochzeit des eigenen Mannes, während die Tochter die erste Regel bekommt und mit sexualisierten Tänzen in ihrer Clique um Anerkennung kämpft.

Weitere Filme für größere Kinder fragen, wie geht man mit einer Pubertierenden um, die eine riesige Maschine liebt? Wie verhält sich eine zur Waise gewordene Jugendliche in der kriminellen Stieffamilie? Kann ein Nomadenjunge in der mongolischen Steppe den Kampf seines gestorbenen Vaters fortführen? Die Youngsters in diesen spannenden Streifen mit (meist) offenen Lösungen sind auf der Suche. Sie leben im Übergang und ringen um eigene Identität und Anerkennung ihrer Peer Group. Oft auch humorvoll thematisieren die Filme Straffälligwerden oder andere Brüche gesellschaftlicher Normen. Cineastisch gehört „Generation“ mit zum Besten, was die Berlinale zu bieten hat und wird auch gerne von Erwachsenen besucht. Die Ränder zu anderen Bereichen wie „Panorama“ sind fließend.

Früher war die Sektion zunächst filmästhetisch, später pädagogisch überfrachtet, mittlerweile lehrt sie Kinder und Jugendliche beides: Filme zu sehen und im Kino zu genießen, sich aber auch mit Problemen auseinanderzusetzen, die sie selbst oder Teens in anderen Kulturen haben.

Von der Berlinale werden Besuche ganzer Schulklassen pädagogisch unterstützt. Nach der Kontaktaufnahme können Lehrer in den Pressevorführungen Streifen vorab sehen, die ihnen individuell empfohlen werden. Ein Pädagoge war vom angebotenen „Mignonnes“ so begeistert, dass er mit seiner 7. Klasse kommen will und zur Reflexion ein gemeinsames Video plant. Diesen Film fand auch eine Lehrerin „cool“, die eine Schauspiel-AG leitet und sich dem Thema theatralisch annähern möchte: „Ich will vorher gar nicht so viel interpretieren“, meinte sie, „die Jugendlichen haben immer ganz eigene Sichtweisen auf Filme.“ Weiterlesen