Die israelische Choreografie „Last Work“ im Hessischen Staatsballett

Am Abend des Überfalls der Hamas-Terroristen auf Israel am 7. Oktober, hatte die Einstudierung der Choreografie „Last Work“ mit dem Ballett des Hessischen Staatstheaters Premiere. Bereits der Titel klingt düster und pessimistisch, sollte dieses dramatische Tanzwerk wirklich die letzte Arbeit des israelischen Choreografen Ohad Naharin in der hessischen Residenz sein? Obwohl er das Stück bereits 2015 für seine Compagnie „Batsheva Dance Company“ entwickelte, wirkt es hochaktuell: sogar bei der vorerst letzten Darmstädter Aufführung nach fünf Wochen Krieg gegen Israel und in diesen Tagen bei der Wiesbadener Premiere.

Natürlich changieren die tänzerischen Darbietungen zwischen freien Bewegungsexperimenten der Tanzenden, die keine festgelegte Bedeutungen haben, und individuellen Assoziationen der Zuschauenden: Man spürt verzweifelte Auseinandersetzungen, Kämpfe und Annäherungen – und natürlich denkt man gerade in diesen Zeiten an Israel. 

Zum Beginn ist das Saallicht noch an, die weiße Bühne hell ausgeleuchtet. Tiefes elektronisches Brummen ertönt. Hinten links rennt eine Tänzerin auf einem Laufband. Plötzlich watschelt ein gebückter Tänzer im Entengang über die Rampe. Das Brummen geht in verzerrte Streicherklänge über. Zitternd, sich verrenkend erscheint ein weiterer Tänzer, der erste verschwindet. Eine sanft agierende Tänzerin weicht ihm aus. Weitere Tänzerinnen oder Tänzer kommen und bewegen sich nacheinander, auch sie vollführen extreme, überdrehte Bewegungen, scheinbar bedeutungslos aber ausdrucksstark. Diese eigenartigen Bewegungsabläufe der Ensemblemitglieder, ihre Tänze, sind kein Selbstzweck – sondern sie wirken irgendwie „alltäglich“, werden aber durch die Tanzenden in einer, durch sie selbst geschaffenen, verfremdeten Wirklichkeit gezeigt.

Später gibt es, meist vergebliche Versuche von Annäherungen

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„Kreationen“ – Tanzfrühling in Hessen (3)

Zwei Gastchoreografen haben mit dem Hessischen Staatsballett jeweils ein neues Tanzstück erarbeitet. Unter dem Titel „Kreationen“ werden die beiden hervorragenden Arbeiten in Darmstadt und Wiesbaden präsentiert.

Der Slapstick gleich zu Beginn der ersten Choreografie ist emblematisch für den gesamten Abend: Ein Mann steht vor dem Zwischenvorhang und pfeift ein Lied. Dann folgt ein Spot auf den Gitarrenspieler in einer Badewanne, der nicht nur das Wasser aus seinem Instrument schüttet, sondern sich auch akrobatisch aus der Umklammerung des Zubers zu befreien sucht.

Auch wenn der Abend gelegentlich recht düster wird, scheint der Prolog zu signalisieren: Hey Leute, nehmt uns nicht so ernst. Das gilt besonders für die zweite Tanzarbeit Jeroen Verbruggens „The Great Trust“. In einer riesigen Mauer qualmt es aus einem Loch, durch das wohl gerade eine Rakete gezischt ist. Auf der verqualmten Bühne lagern Krankenschwestern und Clowns, zwischen denen ein hysterischer Zirkusdirektor herumspringt. Nach und nach beginnen diese Figuren mit staksigen Bewegungen närrische Tänze, verrenken sich akrobatisch oder gebärden sich steif wie Puppen.

Die postapokalyptische Gesellschaft wird uns als clowneskes Tanztheater vorgeführt – doch wir sind eher im Kino als im Ballettsaal: Wie in einem surrealen Film lässt die Compagnie teils albtraumartige, teils groteske Bilder aufscheinen, die bedrückende Wirklichkeit wird darin verlacht. Schließlich wird der Weltuntergang poppig zugekleistert, im Mauerloch singen drei Clowninnen „Schubiduba. Again and again!“ Eine Marylin Monroe zelebriert mit einem Furry (einem Mann im Teddykostüm) den Pas de Deux und zuletzt hüpft das Ensemble mit Springseilen über die Bühne.

Auch im ersten Teil des Abends beherrscht eine riesige Mauer die Bühne, das wohl einzig Verbindende zwischen den zwei Stücken. Was bei Verbruggen lustvoll als  apokalyptischer Zirkus präsentiert wird, wirkt vorher in Alejandro Cerrudos „Now and Then“ wesentlich strenger. Der Choreograf arbeitet intensiv mit der Beleuchtung, die androgyn gekleideten Tanzenden wirken oft wie Schattenwesen, die spannende Lichtbilder kreieren.  Auch hier ist die Welt in Unruhe, die Menschen rennen gegen die Mauer an, aus synchronen Bewegungsmustern brechen Einzelne ständig aus. Weiterlesen

Neues Tanztheater im herbstlichen Hessen – ein kleiner Streifzug

„Feuervogel“ und „Petruschka“ – im Gießener Stadttheater sind moderne Interpretationen dieser Ballette von Igor Strawinsky (1882 – 1971) zu sehen. In Wiesbaden und Darmstadt präsentiert das Hessische Staatsballett den Tanzabend „Weltenwanderer“.

In „Petruschka“ bewegen sich weiß gekleidete Figuren mit bizarren Bewegungen zu manchmal süßlich neoromantischen, dann wieder dröhnenden Klängen. Die Tanzenden winden sich an den Wänden, verknäueln sich auf dem Boden, frieren ein, werden lebende Bilder. Auch ein verliebtes Paar begegnet sich mit fremdartigen Bewegungen im Pas de deux. Der mit der „Ballerina“ herumturtelnde „Mohr“ wird eifersüchtig von „Petruschka“ überwacht, der Strawinskys Ballettmusik von 1911 den Namen gab. Doch bei allen, von den Klängen hervorgerufenen dramatischen Gefühlen, bleibt das tanzende Ensemble eigentümlich distanziert. Choreograf Tarek Assam ließ sich nicht dazu hinreißen, die Ballettgeschichte tanz-theatralisch zu illustrieren.

Ähnliches geschieht im „Feuervogel“ (1910), dem zweiten Strawinsky-Ballett des Abends, choreografiert von Pascal Touzeau. Auch bei dieser eher mythischen Geschichte, gleitet die Inszenierung nicht ins banale Nacherzählen ab: „Ich brauche keinen Vogel im Tutu“, meint Touzeau. Der sehr freie Umgang mit der Sagengestalt des „Feuervogels“ wird in düstere und strengere Tänze als in „Petruschka“ umgesetzt.

Gewiss ist das kein Ballett mehr, was da auf der kleinen Bühne dargeboten wird… Weiterlesen