„Anselm – Das Rauschen der Zeit“

Regisseur Wim Wenders porträtiert Anselm Kiefer, einen der einflussreichsten deutschen Künstler der Gegenwart. Ab 12. Oktober im Kino.

Große weiße Kleider aus festem Material stehen, weit entfernt voneinander, in einer kargen Landschaft. Die Kamera fährt nahe heran und wir erkennen verwelktes Gestrüpp, alte Ziegelsteine oder eisernes Geflecht als Köpfe der Gebilde. Die nächsten Bilder zeigen Türme, ebenfalls weit auseinander, aus aufeinander gestapelten Betonhütten. Schließlich befinden wir uns in einer verfallenen Industrieanlage, in der sich weitere weiße Wesen befinden. 

Das alles wird im milchigen Licht gefilmt, man hört sphärische Klänge oder geheimnisvolles Gewisper. So entführt uns Regisseur Wim Wenders, auch mittels der 3D-Technik, in die fantastischen Welten des Künstlers Anselm Kiefer. Den erleben wird dann in (s)einer alten gigantischen Fabrik im Süden Frankreichs. Seine Kunstanlage ist so ausgedehnt, dass er darin mit einem Fahrrad fährt, um seine archaischen Materialien oder angefangenen Objekte zu sichten. Später sehen wir, wie er mit einem Flammenwerfer Gestrüpp auf seinen riesigen Bildern ankokelt, flüssiges Blei dazu gießt oder mit einer Schaufel Farbe aufträgt. 

Ein kleiner Junge singt „Maikäfer flieg / Dein Vater ist im Krieg…“ Er steht wohl für den kleinen Anselm, der sporadisch immer wieder als biografisches Element im Film auftaucht. Aber das Kind spielt nicht den kleinen Anselm, sondern durch die Bilder mit ihm werden frühe Einflüsse auf Kiefers Sensibilität, Kreativität und Aggressivität spürbar. Ein Environment in Ruinen mit verstreuten Kleidern wird überblendet mit Bildern von Bombenabwürfen, Explosionen, Berliner Trümmerfrauen – und immer wieder erscheinen dazwischen Kiefers gigantische Tableaus mit Erde, Metall und Farben, dazu klagende Töne und Gesänge. 

Mit flüsternden Stimmen klingen Paul Celans Gedichtzeilen an: „…Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts / wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland…“. Die „Todesfuge“ des Dichters transformiert Kiefer in Bilder und lässt sie erfahrbar werden.

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