„Der Pinguin meines Lebens“

Bis der Pinguin aus dem Filmtitel in der Geschichte auftaucht dauert es noch recht lange. Zunächst lernen wir den britischen Lehrer Tom Michell kennen, den es 1976 bis nach Argentinien verschlug.

Hier fängt er als Englischlehrer an einer elitären Privatschule an, während gleichzeitig ein Militärputsch in der Luft liegt, was ihn aber nicht interessiert. Er kämpft mit den schnöseligen Jungs reicher Eltern, die weder seine sarkastischen Literaturkenntnisse goutieren noch seine bescheidenen Rugbyversuche ernst nehmen. Der Schuldirektor setzt ihn unter Druck, dass seine Siebtklässler besser werden müssen.

Wenige Tage später erfolgt der brutale Militärputsch, das Land ist gelähmt und die Schule wird vorübergehend geschlossen. Tom freut sich und unternimmt eine Busreise nach Uruguay, um hier ein bisschen Spaß zu haben. Politisch ist er absolut uninformiert, obwohl er mitbekommen hat, dass sich die attraktive Tochter der Haushälterin der Einrichtung politisch engagiert und dadurch ihr Leben riskiert. Angekommen im Nachbarland landet Tom nachts am Meer mit einer schönen Einheimischen, die er zuvor in einer Kneipe mit seinen Tangokünsten betörte. Doch am Strand ist ein Pinguin das Opfer der Ölpest geworden und Tom nimmt ihn zur Säuberung mit ins Hotel. Er ist kein Tierfreund, doch er hofft dadurch die Schöne in sein Bett zu bekommen. Am Ende aber geht sie plötzlich fort: „Ich kann nicht bleiben, ich bin verheiratet!“

Statt Sex hat er nun einen flugunfähigen, streng nach Fisch riechenden Seevogel, der sich einfach nicht vertreiben lässt und seinen Retter ins Herz geschlossen hat. Mehrfach schleppt er das Tier ans Meer, wird ihn aber nicht mehr los. Die Rückreise besteht aus Slapsticks: Wie die beiden im Bus fahren. Über die Grenze kommen. Bei ihrer Rückkehr immer wieder von Soldaten angehalten werden. Mit nervösen Fingern am Abzug der Waffe wollen sie wissen: „Was hast Du da in der Tasche?“ Irgendwie gelangt Toms neuer Freund auch in seine Schulklasse. Die Kids sind begeistert ihn versorgen füttern zu dürfen. Sie geben ihm den Namen Juan Salvador und fangen tatsächlich an im Unterricht mitzumachen.

Die Tochter der Haushälterin wird verhaftet, ganz langsam verliert Tom seinen Zynismus und engagiert sich für ihre Freilassung.

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Florentina Holzinger als Material-Art-Kämpferin im Film „Mond“

Da haben sich aber einige bizarre Österreicher zusammengetan: Die wilde Tänzerin und Choreografin Florentina Holzinger als Schauspielerin und Ulrich Seidl, der radikale Regisseur und jetzige Produzent des Filmes. Holzinger schockte vor kurzem die braven Stuttgarter Ballettgänger mit ihrer Inszenierung „Sancta“ auf, Seidl ist der Filmemacher mit den „schmutzigen Socken des Kinos“, wie sein Kollege Michael Haneke einst wohlwollend (!) befand. Mit „Mond“ präsentiert die junge österreichisch-kurdische Regisseurin Kurdwin Ayub ihren zweiten Spielfilm.

Darin gibt Holzinger als Sarah eine angeschlagene Material-Art-Kämpferin, der ein Job in Jordanien angeboten wird. Dieses Projekt kommt ihr gerade recht, denn durch eine blutige Niederlage ist ihre Karriere als aktive Kämpferin am Ende. Dort im Nahen Osten soll sie drei jungen Töchtern einer steinreichen arabischen Familie Kampfkunst lehren. Die Mädchen sind extrem zickig und verzogen und nicht gerade von ihrer Coachin begeistert, die mit harten Fitnessübungen einsteigt. Bisher haben sie bereits allerlei Trainerinnen verschlissen. In der riesigen Villa geschehen unheimliche Dinge, mal ruft jemand leise um Hilfe, mal entdeckt Sarah ein Krankenzimmer, das auf sie wie eine Folterkammer wirkt. Die Mädchen sind von der Außenwelt abgeschlossen, WLAN gibt es nicht. Man bangt mit Sarah und fürchtet um Sarah, die allzu neugierig unbedingt das Geheimnis des unheimlichen Hauses lüften will.

Mehr möchten wir hier von der spannenden Filmhandlung nicht verraten, die zwischen vagen Horrorelementen und Barbiekitsch changiert. „Alles kann Tanz sein“, sagte Pina Bausch einst und so „tanzt“ Holzinger nun durch Jordanien. Denn absolute Fitness ist für Kampfkünstlerinnen genauso wichtig wie für Tänzerinnen. Und in ihrem Training mit den jungen Mädchen legt sie – genauso wie im Tanz – großen Wert auf Körperkontrolle, Balance, Timing und präzise Bewegungsabläufe. Wer einmal einen anspruchsvollen Kung-Fu-Film gesehen hat, sagen wir „The Grandmaster“ von Wong Kar-wai (Berlinale 2023), der weiß, dass die asiatischen Material-Art-Kämpfe wie artifizielle Tänze anmuten können.

Also kein Wunder, dass Florentina Holzinger von der jungen Regisseurin Kurdwin Ayub für die Hauptrolle gewählt wurde. Der ganze Film wird von ihr getragen, sie ist in jeder Szene großartig präsent. Erzählt wird die Geschichte mit langen Einstellungen und recht einfachen Bildern.

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„Niki de Saint Phalle“ – ein Film über die Geburt der Künstlerin

Die Künstlerin Niki de Saint Phalle wuchs teilweise in New York auf und kehrt Anfang der 1950er-Jahre nach Paris zurück. Hier überfallen sie diffuse Ängste, blutige Träume und vage dämonische Erinnerungen. Als sie mit einem Messer unter dem Bett schlafen gehen will, zwingt ihr Ehemann sie, sich in psychiatrische Behandlung zu begeben.

In diesem seelischen Tohuwabohu werden Niki auch die einstigen sexuellen Übergriffe ihres Vaters schmerzhaft bewusst. Mit Elektroschocks traktiert man sie in der Nervenklinik, ansonsten wird sie ruhiggestellt, Beschäftigung ist ihr verboten: „Die Behandlung ist so intensiv, dass sie keine Kraft für anderes haben“, heißt es.  Sie darf nicht malen wie ein Mitpatient, dessen grellfarbene Gemälde sie faszinieren. Heimlich sammelt sie Müll, den sie gestaltet oder malt mit Schlamm und Wasser auf Pappkartons. Das wird ihr untersagt, die „Helfer“ kapieren nicht, dass ihr diese eigene Gestaltung der Welt – durch die Entdeckung der Kunst – hilft und Kraft gibt. Überhaupt nicht hilfreich ist dagegen die würdelose Behandlung in der Irrenanstalt und der vom Psychiater geleugnete väterliche Missbrauch. Jedoch fügt sie sich in die Zwänge der Anstalt um entlassen zu werden.

Wieder zuhause arbeitet Niki künstlerisch wie besessen, doch sie verzweifelt: „Ich male wie eine Zehnjährige, ich will lernen!“ Auf der Suche nach Unterstützung lernt sie in der losen experimentierfreudigen Pariser Szene Yves Klein, Daniel Spoerri und Jean Tinguely kennen. Niki und Tinguely verstehen sich gut, aber in seiner Clique wird sie anfangs heftig angefeindet: „Du bist keine Künstlerin, du bist nur die die malende Frau eines Schriftstellers.“ Dagegen ermuntert Tinguely Niki, die brave Malerei sein zu lassen: „Komm, wir spielen Kunstpolizei“, ruft er, hält sich seine Schweißermaske vors Gesicht und kommandiert: „Fort mit Farben, Leinwänden und Pinseln!“

Niki beginnt mit großen Gipsfiguren zu arbeiten, in die sie Beutel mit roter Farbe einschließt und darauf schießt. Weitere bizarre Gestaltungen und brisante Aktionen folgen, sie schleudert ihre Wut durch die Kunst in die Welt hinaus. Sie verlässt ihren Mann, heiratet Tinguely und wird zunehmend – als einzige Frau – in der männlich dominierten Kunstszene dieser Jahre bekannt. Durch den Film erleben wir diese kurze Episode ihres Lebens, die Ereignisse zwischen 1952 bis 1961, in der sie zur Künstlerin heranreift und die lockere Avantgarde-Gruppe Nouveaux Réalistes mitbegründet.

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Über den Film „Köln 75“ – Keith Jarrett in Concert

Als Vera Emde 50 Jahre alt wird, taucht auch ihr Vater auf und hält ungefragt eine böse Rede, in der er seine Tochter übel beschimpft. Dann die Rückblenden: Vera Brandes (Mala Emde) ist ein aufmüpfiger Teenager in den 1970er-Jahren. Ständig liegt sie mit ihrem Zahnarztvater (Ulrich Tukur) im Clinch. Statt fleißig für das Abitur zu lernen, um mit Bestnoten Zahnmedizin zu studieren, beginnt sie heimlich Jazz-Konzerte zu organisieren. Dafür spannt sie auch ihren Bruder und ihre Freundinnen zur Mitarbeit in einer versteckten Wohnung ein. 

Zwei Jahre später, nachdem sie zum ersten Mal einen Saxophonisten promotete, erlebt sie in Berlin den eigenwilligen Improvisationsmusiker Keith Jarrett (John Magaro) am Klavier. Sie ist so fasziniert, dass sie für ihn unbedingt einen Auftritt in Köln organisieren will. Dazu braucht sie 10.000 Mark als Kaution für den Opernsaal, die ihr letztlich die Mutter (Jördis Triebel) hinter dem Rücken des Vaters zukommen lässt. Doch sie muss versprechen den Jazz aufzugeben und Zahnmedizinerin zu werden, wenn das Projekt misslingt.

Jarrett tourt durch Europa, jeden Abend improvisiert er an einem anderen Ort. Der Musiker ist erschöpft, wird von Rückenschmerzen geplagt und weigert sich nach Köln zu kommen. Doch sein Manager Manfred Eicher (Alexander Scheer) überredet ihn zum Auftritt. Beide fahren in einem winzigen Auto des Nachts von Lausanne nach Köln um Geld zu sparen. Ihnen schließt sich noch Musikjournalist Michael Watts (Michael Chernus) an, der nervt und beide vollquatscht – aber auch direkt zum Kinopublikum über Jazz und Improvisation spricht. Als sie morgens in Köln ankommen mogeln sie, dass sie aus dem Flieger kommen, so wie Brandes mit ihrer professionellen „Agentur“ schwindelt…

Es ist Wochenende, in der Oper sind keine Verantwortlichen mehr da, um den von Jarrett geforderten Flügel „Bösendorfer Imperial“ herbeizuschaffen. Auf der Bühne steht nur ein kaputter, schlecht klingender Stutzflügel für Proben. „Das ist Schrott“, schimpft der Pianist nach einem Tastenanschlag, „darauf spiele ich nicht“, sagt er und geht. Nun beginnt der Film sehr, sehr hektisch zu werden. Brandes düst durch Köln, versucht einen edlen Flügel zu bekommen, doch der kann nicht durch den Regen gefahren werden. Zwei Klavierstimmer glauben nicht, das kaputte Teil noch rechtzeitig reparieren zu können. Und Jarrett will sowieso nicht mehr spielen. Brandes stürmt in sein Hotelzimmer, wirft ihm Hochmut vor und beschimpft ihn:

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„Mickey 17“ – ein erstaunlicher Film mit Robert Pattinson

Ein Mann im Schnee reinigt seine Schutzbrille, reibt seine schmerzenden Glieder und merkt, dass es in eine tiefe Gletscherspalte gestürzt ist. „Wie habe ich das überlebt?“, fragt er sich und schreit um Hilfe. An einem Seil lässt sich ein Kollege herab und staunt: „Was? Du bist ja noch nicht tot! Aber du bleibst ja hier.“ Dann lässt er sich wieder hochziehen.

Nach dieser absurden Nicht-Rettungs-Szene ein Rückblick: Mickey 17 (Robert Pattinson) hatte mächtige Geldsorgen, wurde von brutalen Gläubigern verfolgt und verpflichtete sich für ein langjähriges Raumfahrtprogramm. Viereinhalb Jahre dauerte die Reise zum Eisplaneten Nifelheim. So ganz genau hörte er beim Anheuern nicht zu und las auch nicht, was er unterschrieb. Seine Anleiterin roch ihm einfach zu gut. Nach der Landung auf dem Himmelskörper musste er die toxische Atmosphäre erkunden und von Wissenschaftlern entwickelte Gegenmittel testen. 

Nun starb er bereits 16-mal und wartet wieder auf den Tod. Doch es kommt anders als bisher, das wird aber hier nicht verraten. Im Raumschiff reproduziert man bereits Mickey 18. Mickeys Biodaten sind eingescannt und seine aktuellen Erinnerungen gespeichert, so kann er jederzeit mit einem 3D-Drucker kopiert werden. „Du wirst dich ans Sterben gewöhnen müssen“, hieß es. Er ist quasi der letzte Dreck der vielfältigen Besatzung, die aus 200 Technikern, Ingenieuren, Sicherheitsleuten und „edlen weißen“ Menschen besteht, die den Planeten bevölkern sollen.

In weiteren Rückblenden erfahren wir von Mickys ersten Toden, dann von seiner heimlichen Liebschaft mit der Sicherheitsfrau Nasha (Naomi Ackie), die in der Hierarchie weit, weit über ihm steht. Aber immerhin wird er ja von Robert Pattinson verkörpert. Deshalb ist Nasha auch sehr erfreut als die beiden Mickeys – der alte, eher zärtliche, und der neue, eher draufgängerische – ihr plötzlich gegenüberstehen. Sofort schleppt sie beide in ihre Kabine… 

Mehr wird nicht von dieser Story nicht gespoilert, die Handlung wird in diesem Genremix sehr komplex erzählt und überrascht mit einigen dramatischen Wendungen. Die Raumreise und die Besiedelung des neuen Planeten wurde von Kenneth Marshall (Mark Ruffalo) organisiert und durchgeführt. Er wird von seinen Anhängern auf der Erde und im Raumschiff als Messias verehrt, denn er will auf Nifelheim eine reine weiße Superrasse heranzüchten.

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„Heldin“ – was für ein Film!

Der Film „Heldin“ ist unglaublich! Viele Kolleginnen und Kollegen der Presse konnten sich vor seiner Weltpremiere auf der Berlinale kaum vorstellen, dass dieser Spielfilm in dokumentarischer Form, eine derartige Spannung beim Publikum erzeugen kann – und ohne Pathos und Wehklagen so berührt. 

Natürlich geht es um den „Pflegenotstand“, die Überlastung des Personals in den Kliniken und die Vielfalt der Bedürfnisse der zu Pflegenden. Jedoch der Hintergrund ist ein ganz normaler Stationsalltag, es wird keine durchgehende Geschichte erzählt. Wir erleben die stationären Abläufe allein aus der Perspektive der Pflegefachkraft Flora (Leonie Benesch), die mit großer Leidenschaft und Professionalität in der Chirurgie eines Schweizer Krankenhauses arbeitet. Sie ist in (fast) allen Szenen durchgehend präsent, aber immer authentisch und glaubwürdig. Es wird nicht über sie berichtet, wir arbeiten mit ihr. Dadurch wird der Film auch nicht larmoyant.

Bei Flora sitzt jeder Handgriff, sie hat selbst in stressigen Situationen immer ein offenes Ohr für ihre Patientinnen und Patienten. In Notfällen oder prekären Momenten handelt sie sofort, muss dann aber andere notwendige Aufgaben hintenanstellen. Dafür hat ihre Klientel selten Verständnis. Als die Pflegefachkraft im Film ihre Spätschicht antritt, fällt auf der voll belegten, unterbesetzten Station eine Kollegin aus. 

Trotz aller Hektik umsorgt Floria eine schwer kranke Mutter und einen alten Mann, der dringend auf seine Diagnose wartet, ebenso fürsorglich und routiniert wie den Privatpatienten mit all seinen schrulligen Extrawünschen. Auch den Angehörigen begegnet sie einfühlsam und kümmert sich um deren Probleme. Doch dann unterläuft ihr ein verhängnisvoller Fehler und die Schicht droht, völlig aus dem Ruder zu laufen. Ein nervenzerfetzender Wettlauf gegen die Zeit beginnt, auch wenn eine Ärztin sie tröstet: „Fehler passieren uns alle mal.“

Der Film ist mit zwei, drei besonderen Situationen dramatisch verdichtet, nicht jeden Tag geschehen einige „filmreife“ Ereignisse. Filmmusik, Kamera und Schnitt sorgen zusätzlich für die cineastische Spannung des Alltäglichen. Doch die Vielzahl unterschiedlicher Anforderungen, die Hektik und Überbelastung der Pflegenden sind auch die alltäglichen Merkmale der stationären Arbeit. Doch nicht alles ist schrecklich, immer wieder können wir einfühlsame Begegnungen zwischen der Klientel und den Pflegenden oder der Pflegenden untereinander miterleben.

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„Die Ironie des Lebens“

„Es sind gute Monate geworden“, sagt Corinna Harfouch am Ende des Films, in ihrer Rolle als sterbende Eva. Ja, auch „Die Ironie des Lebens“ ist ein guter deutscher Film geworden, ein mutiger Seiltanz zwischen Comedy, Sex im Alter, Sterben und Beziehungsdramen. 

Auf der Bühne macht der sehr erfolgreiche ältere Comedian Edgar (Uwe Ochsenknecht) üble Witze auf Kosten seiner Exfrau, die er vor vielen Jahren mit zwei kleinen Kindern verlassen hat. „Was ist das Schönste an der Ehe?“, fragt er ins Publikum. „Die Scheidung“ schallt es aus dem Saal. Doch in der Pause steht plötzlich, nach 25 Jahren, die von ihm geschiedene Frau Eva in seiner Garderobe und berichtet, dass sie schwer an Krebs erkrankt sei und keine Chemo, keine Bestrahlung wolle: „Ich möchte noch ein paar gute Monate haben“, sagt sie und verschwindet schnell, weil sie meint, der Besuch sei wohl doch keine so gute Idee gewesen. 

Im Bademantel und Schlappen folgt Edgar ihr bis in den Bus, versucht Eva dort weis zu machen, dass man gegen ihre Krankheit bestimmt was tun könne, er hätte gute Beziehungen und viel Geld um ihr zu helfen. Doch sie will keine Hilfe annehmen, weißt empört seine Unterstützung als Narzissmus zurück. Der Comedian ist trotz seiner Erfolge eigentlich ein einsamer Mensch, trinkt zu viel, hat gelegentlich Sex mit Groupies, liebt aber nur seinen Hund. Deshalb überrascht es nicht, dass er sich als Retter wieder seiner Frau annähern will – und auch zum ersten Mal seine Tochter trifft, die selber Comedy bei YouTube macht. 

Überraschend (auch für uns) lädt der Komiker die Exfrau zum legendären Comedy-Ball in München ein – die beiden tanzen miteinander, vergnügen sich, trinken reichlich Alkohol und singen nachts im leeren Tanzsaal den alten Song der „Ton-Steine-Scherben“: „Halt Dich an Deiner Liebe fest“. Und natürlich landen die beiden, fast 70-jährigen im Bett und probieren lachend Sex im Alter. Edgar sagt alle Konzerte und Interviews ab, widmet sich ganz Eva, beide haben wunderbare Tage – doch sie will immer noch keine Behandlung.

Als sie sich eines nachts stundenlang vor Schmerzen windet, aber keinen Arzt empfangen will, brüllt Edgar: „Dann stirb doch. Aber ohne mich!“ und verschwindet.

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„Sieger sein“ – ein Märchenfilm aus dem Berliner Wedding

„Ja, ich trage Klamotten, die keiner mehr trägt. Ja, ich bin ein Scheißflüchtling“, beschimpft die aus Kurdistan in Syrien geflüchtete Mona ihre Mitschüler. Sarkastisch fügt sie hinzu: „Herzlich willkommen in Deutschland!“ Die multikulturellen Kids mobben die Elfjährige, doch der freundlich-konsequente Lehrer Herr „Che“ Chepovsky nimmt sich ihrer an: „Willkommen in der 7. Weddinger Schule.“ 

In Rückblenden wird deutlich, Mona (Dileyla Agirman) wollte nicht flüchten, „aber niemand hat mich gefragt!“ Sie möchte wieder in ihr Land zurück und ist eine gute Fußballspielerin. Natürlich ist weder an eine Rückkehr zu denken noch daran, dass sie in der Mädchenmannschaft dieser Schule mitspielen darf. Denn hier Schule kämpft jeder gegen jeden: die Jungen gegen die Mädchen, die alten Migrantenkinder gegen die neuen, alle Schüler gegen die Lehrer, die Lehrer untereinander… Die Jungen gießen den Mädchen Gips in die Turnschuhe und zerschneiden ihre Trikots.

Die Kids in ihrer Klasse grenzen Mona aus, weil sie Respekt für die Lehrer fordert und Lust zum Lernen hat. „Wir wurden mit dem Lineal verhauen“, erzählt sie, „als die anderen sie als Streberin attackieren.“ Und sie macht ihnen klar, was Diktatur, gerade für Kinder in Syrien bedeutet. Manchmal wendet sie sich an das Publikum und spricht direkt in die Kamera: „Demokratie ist kein Spaß, dafür sterben Menschen bei uns.“ 

Lehrer und Trainer „Che“ (Andreas Döhler) will, dass sie bei den Mädchen mitspielt. Da sie keine Fußballschuhe hat, beschließt er kurzerhand: „Heute wird barfuß gekickt, damit ihr ein besseres Verhältnis zum Ball bekommt.“ Das Training ist eine Katastrophe, jede kämpft für sich, keine achtet auf die andere, sie sind kein Team. Später spalten sich sogar einige zickige Spielerinnen ab.

Dann beginnt jedoch das Weddinger Märchen!

Mona integriert sich und wird wichtig für die Mannschaft. Einer Schülerin soll von der Schulleitung das Mitspielen verboten werden, die anderen solidarisieren sich. Die Mannschaft wird besser und beteiligt sich, mit abenteuerlich zusammengenähten Shirts, an den Berliner Meisterschaften.

Der Film ist kein „Sommermärchen“ des Fußballs, das Spiel ist nur ein Medium für die Darstellung der Probleme in der Schule und bietet Konfliktlösungen an. Wir erleben die Migrantenfamilie, die nicht nach Deutschland wollte, aber deren Leben in der Heimat bedroht wurde. Monas Tante Heli kämpft im kurdischen Widerstand und schenkte ihr zum Abschied einen richtigen Fußball. In schwierigen Momenten erinnert sich Mona an sie und bekommt neue Kräfte. By the way erfährt gerade das junge Publikum die Unterschiede zwischen Demokratie und Diktatur oder was in Syrien los ist.

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„Andrea lässt sich scheiden…“

Dies ist der zweite Film des österreichischen Kabarettisten, Schauspielers und Drehbuchautors Josef Hader („Wilde Maus“). „Andrea lässt sich scheiden“ wurde auf der Berlinale uraufgeführt und ist ein eher tristes Werk, mit allenfalls sehr verhaltenem Humor. Stilistisch und durch seine Melancholie erinnert der Film an die Werke des Österreichers Ulrich Seidl. Jedoch wenn man vorher weiß, was im Kino auf einen zukommt und keine Burleske erwartet, kann man sich diesem Film gut ansehen.

Birgit Minichmayr spielt eine undurchschaubare Polizistin auf dem Land, im tiefsten Niederösterreich, die sich in eine größere Stadt versetzen lassen und von ihrem Mann geschieden werden möchte. Unabsichtlich überfährt sie jedoch ihren Ehemann, der dadurch – wahrscheinlich – zu Tode kommt. Sie begeht Fahrerflucht, versucht den Unfall zu verschleiern und hat ein großes Problem. Hader selbst gibt einen leicht deppert wirkenden Religionslehrer, ist der Outsider im Dorf und wird beschuldigt, Andreas Mann getötet zu haben. Mehr wird hier von der Geschichte nicht verraten, denn, obwohl kein Krimi, birgt sie doch einige überraschende Wendungen.

Der Film beginnt mit der endlos langen Aufnahme einer schnurgraden Straße in einer flachen österreichischen Landschaft. Ein Polizeiauto kommt, hält an und die Insassen, ein Polizist und eine Polizistin, machen sich umständlich bereit, zu schnell fahrende Autos zu erwischen. Das alles wird altmodisch und sehr, sehr langsam mit lediglich wenigen Schnitten in hellem Licht ohne Schatten gezeigt. Diese Erzählweise ohne Kameraschwenks, Nahaufnahmen, Lichtveränderungen oder schnelle Bilder ist typisch für den ganzen Film. Immer wieder tauchen Menschen in diesen öden, einsamen, nicht bergigen Landschaften und Dörfern auf der Leinwand auf: Man fühlt sich oft in die trostlosen Gemälde des amerikanischen Malers Edward Hopper versetzt. 

Und Regisseur Hader breitet darin die ganze Tristesse des Landlebens vor uns aus, geißelt die rüde Verlogenheit und Sprachlosigkeit der dort lebenden Menschen. Jedoch macht der Regisseur im Interview auch deutlich, dass die Menschen hier nicht verrückter oder böser sind, als die Leute aus der Stadt. Aber Frauen wie Andrea wollen hier weg, übrig bleiben viele halsstarrige oder demente Männer, aggressive oder stille Säufer…

Hader sagte dazu: „Das zieht sich mindestens von Brandenburg bis Nordfrankreich. Die Provinz ist nichts Österreichische, das ist etwas sehr Europäisches.“

„Andrea lässt sich scheiden…“ 
Regie/Buch Josef Hader, Österreich 2024, 93 Minuten, Filmstart 4. April 2024 
mit Birgit Minichmayr (Andrea), Josef Hader (Franz) u.a.

Foto:
Josef Hader, Birgit Minichmayr © wega film

Monster oder Menschen wie wir? 

Der Spielfilm „The Zone of Interest“ beschreibt einen Lebensabschnitt des Lagerkommandanten Rudolf Höß. Mit seiner Frau und den fünf Kindern, wohnt er im Schatten des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz. Der englische Titel ist die Übersetzung der euphemistischen nazi-deutschen Umschreibung „Interessengebiet“ für das Gebiet um das KZ.

Lange ist die Leinwand grau, dann taucht der Titel auf: „The Zone of Interest“. Langsam wird er ausgeblendet, dennoch bleibt die Leinwand weiterhin (gefühlt) endlos lange grau. Dazu beunruhigende Neue Musik. Dieser Einstieg verunsichert: Trauen uns die Filmemacher ihre schrecklichen Bilder nicht zu? Wollen sie uns auf unsere Fantasien zurückwerfen? Immerhin wissen wir, es geht um die Gräuel im Todeslager.

Irgendwann dann der Schnitt und lange farbige Kinobilder: Leute picknicken im Wald. Männer baden im Fluss. Frauen suchen mit Kindern nach Beeren. Später die Heimfahrt, Ankunft zu Hause. Morgens gehen die Kinder zur Schule, der Mann zur Arbeit. Es sind banale Ereignisse, etwa wenn der Mann, es ist der Kommandant Höß (Christian Friedel) Geburtstag hat und vor dem Haus einen Schnaps mit seinen SS-Gratulanten herunterkippt. Seine Frau Hedwig Höß (Sandra Hüller), läuft mit dem Baby im Arm zwischen aufgehängter weißer Bettwäsche umher. Zum ersten Mal sieht man jetzt einen Wachturm hinter einer hohen Mauer – das ist das Einzige, was im gesamten Film vom Lager zu sehen sein wird.

Einige jüdische Menschen sind „Bedienstete“ der Familie, furchtsam liefern sie Lebensmittel, putzen im Haus oder servieren Essen. Stolz präsentiert Hedwig ihren Freundinnen einen „beschlagnahmten“ schwarzen Pelzmantel, in dem sie einen grellen Lippenstift fand. Zur gleichen Zeit sitzt Höß mit Ingenieuren zusammen und plant mit sachlich technokratischer Sprache zukünftige Massenmorde: „Der Transport wird entladen“ und „später wird die Brennladung in den Öfen gewechselt“.

Die Kamera ist kalt und distanziert, ihre aufgenommenen Bilder sind nicht ästhetisiert und ohne Effekte, emotionslos halten sie die scheinbar banalen Ereignisse in der Familie unweit des Entsetzens fest. Es gibt keinen Blick in das KZ, man sieht niemals Opfer – außer den ängstlichen „Bediensteten“ der Höß-Familie.

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