Gesamtkunstwerker oder Salatmacher?

Ein Besuch beim Berliner Künstler Volker März.
Kurz nach Eröffnung der Frühjahrsausstellung in der Kunststation begann der Lockdown, Jetzt ist sie wieder geöffnet, erneut kann man auch vielfältige Arbeiten von Volker März (62) erleben. Am 7. Juni liest er in der Station „Ich bin ein Stern und suche Liebe.“ Wir besuchten ihn in seinem Berliner Atelier.

„Das ist oft die pure Lust“, meint März über das Kneten seiner kleinen Tonfiguren, die zum Leben erwachen, wenn er sie nach dem Brennen bemalt. Dann sagt er einer auch schon mal: „Du bist aber ein Schöner!“ Er braucht viele dieser Gebilde, um sie in Gruppen auszustellen, mit ihnen Geschichten zu erzählen oder sie auf Reisen mitzunehmen. Manchmal illustrieren sie bereits aufgeschriebene Erzählungen, oft tauchen sie seltsam verfremdet – wie lebensgroß – in seinen Reisefotos oder Videoclips auf.

Aus dem Interview wird ein „wildes Gespräch“ mit zahlreichen Abschweifungen, in dem auch der Befrager befragt wird. Assoziativ grasen der Künstler und der Journalist die Welt ab! Jedoch ein Künstler will dieser Maler, Bildhauer, Schreiber, Reisender, Fotograf, Performer und Philosoph nicht sein. Auch kein Regisseur der Gesamtkunstwerke schafft: „Das klingt so nach Leni Riefenstahl.“ Auch über die wurde gestritten, darf man zwischen Kunstwerk und Mensch unterscheiden? Allen Ernstes will März als jemand gesehen werden, der einen guten Salat macht! Da kämen ja auch weitere gute Zutaten wie Öl, Nüsse, Käse und anderes hinein…

Er kann zuweilen selbst nicht fassen, was er schafft: Die Figuren beginnen in seinen Händen zu leben; von ihm arrangierte Installationen und Ausstellungen gelingen ohne große Pläne. Aber er betont, das habe nichts mit dem automatischen Tun der Surrealisten zu tun oder „von höheren Wesen“ erzeugte Inspirationen.

Was immer März ist – ein braver Salatmacher ist er jedenfalls nicht… Weiterlesen

Erneuerung der Artothek in der Kunststation Kleinsassen

Die „Corona-Pause“ nutzte die Kleinsassener Kunststation, um ihre in die Jahre gekommene Artothek zu erneuern und zeitgemäß zu organisieren. Bereits kurz vor der vorübergehenden Schließung bewilligte das Land Hessen dafür eine beträchtliche finanzielle Zuwendung.

Eine Zeitlang wurde das Café des Ausstellungshauses zu einem provisorischen Studio umfunktioniert, in dem Fotograf Dr. Arnulf Müller sämtliche Kunstwerke der Artothek ablichtet. Über 1300 Gemälde und allerlei Skulpturen waren zu fotografierten. Bei den Vorbereitungen wurden auch ältere Arbeiten von Johannes Grützke und Willi Sitte „ausgegraben“, erzählt Kuratorin Elisabeth Heil lächelnd, „sogar ein Dalí ist dabei.“ Aber es werden ebenfalls aktuelle Arbeiten verliehen, etwa kritische Fotokunst von Mojgan Razzaghi, der flatternde Holzvogel von Thomas Putze oder das riesige Schattenbild Susanne Bockelmanns.

Die Station versteht sich seit jeher als Förderin der Kunstschaffenden, die für ihre Expositionen kein Honorar bekommen. Stattdessen werden Artefakte angekauft, manchmal auch in Kommission genommen. „Die gezeigten Arbeiten sind meist verkäuflich, aber dieser kommerzielle Aspekt steht nicht im Vordergrund“, erklärt die Leiterin der Station Monika Ebertowski: „Wir sind den staatlichen Museen gleichgestellt, auch wenn wir keine Kunstwerke sammeln. Alle Objekte der Artothek sind von Künstlerinnen und Künstlern, die hier ausgestellt haben, sie spiegeln die Geschichte des Hauses.“ Bis zu drei Jahren kann man sie ausleihen, die jährlichen Kosten betragen 5% des Kaupreises, mindestens 36 Euro, für Kommissionsarbeiten 10%. Bei einem eventuellen späteren Kauf wird die Leihgebühr angerechnet, doch die Artefakte sind auch sofort käuflich. Größere Stücke sind manchmal zu teuer für den Erwerb durch die Station, dann wird mit den Kunstschaffenden über kleinere Werke verhandelt.

Die Fotoarbeiten sind Teil der Erneuerung der 1997 gegründeten Artothek, bisher konnte man lediglich eine unvollständige, bilderlose Übersicht der in Schieberegalen untergebrachten Bilder an der Kasse in einem PC sehen. In Zukunft kann das Publikum in einem PC auf einem Stehpult in den modernisierten Räumen sämtliche Arbeiten vorab betrachten. „Eine Präsentation im Internet stößt derweil noch auf riesige Schwierigkeiten“, erklärt Ebertowski, „denn wenn man ein Kunstwerk erworben hat, besitzt man noch lange nicht dessen Bildrechte.Weiterlesen

Frühjahrsausstellung Kunststation Kleinsassen (Rhön)

Am Wochenende eröffnete die Kunststation Kleinsassen ihre Frühjahrsausstellung . Die Musikerinnen des Trios „Acht Ohren“ kreierten dazu mit Saxophon, Cello und Percussion aus „globalen Fundstücken“ frühlingshafte Klänge.

Volker März entführt das Publikum in einen absonderlichen Irrgarten: „Die heilige Haut ab … und ein Affe hält die Welt an!“ Bereits am Eingang empfängt sein lebensgroßes Ebenbild mit einem auf der Brust liegenden Affen das Publikum. Danach wird man von einer Flut aus kräftig bemalten Tonfiguren, großen Bildern und Fotos, Holzskulpturen, Videos, Klangcollagen, Wandzeitungen und Installationen geradezu überwältigt.

Am besten betrachtet man zuerst die kleinen Wesen, die sich auf einem riesigen Brett im ersten Saal tummeln. „Was siehst Du?“, fragt der Künstler auf einem Flugblatt zu diesen „Rückenwärmern“. Jedoch muss man seinen Dialog – zunächst – gar nicht lesen, um das Arrangement zu verstehen, die aufgereihten „Kleinstmenschen“ sind ausdrucksstark genug.

Was man wissen muss, ist die Bedeutung der Affen: Viele Figuren haben affenartige Gesichter – aber das ist nicht als Herabwürdigung gemeint. März bezieht sich auf Franz Kafkas „Bericht für eine Akademie“, in der ein gefangener Affe aus lauter Verzweiflung zum Menschen wird.

Die uns ähnlichen Primaten haben, so der Künstler, (fast) die gleichen Gene wie wir. Doch sie sind die besseren Menschen, weil sie nicht durch die Zivilisation verdorben sind und sich ihre spielerische Unschuld bewahren. März ist ein  kritischer moderner Romantiker und nicht  „verrückt“, wie eine empörte Besucherin meinte. Er offenbart sich mit vielen komischen oder sarkastischen Arbeiten als humanistischer Philosoph. Mithilfe diverser künstlerischer Mittel spielt er mit der Realität und stellt Gewissheiten infrage.

Für den Besuch seiner Ausstellung braucht man Zeit. Viel Zeit! Der Gesamtkunstwerker ließ drei Sofas aufstellen, in denen man immer wieder Platz nehmen und gelassen Teil der Schau werden kann. Daneben liegen Bücher zum Lesen, in denen er skurrile Fantasiegeschichten seiner Figuren erzählt.

Der arme Maler Conrad Sevens hat es schwer, im Nachbarsaal mit seinen „Ersehnten Landschaften“ gegen dieses surreale Pandämonium anzukommen. Denkt man! Weiterlesen

„In The Cities“

Wenn man schnell durch die Ausstellung Detlef Waschkaus in der Kunststation Kleinsassen geht, denkt man, ah ja, Großstädte, Straßenszenen, Menschen… „In The Cities“ heißt bezeichnenderweise auch sein Beitrag zur Herbstschau des Kunsthauses.

Geht man näher an ein Bild heran und betrachtet es länger, etwa „New York“ (Foto), dann sieht man eine Collage mit unterschiedlichen Leuten und vielfältigen, aber kaum einordbaren Situationen in einer Metropole: Eine flüchtige Momentaufnahme aus New York. Selten sind in den ausgestellten Arbeiten des Künstlers die Menschen so sehr im Vordergrund. Doch die Dargestellten sind kaum (noch) individuell erkennbar, sie verschwinden durch die übrigen Bildelemente, welche die Hektik und Vielfältigkeit einer Großstadt suggerieren.

Das Werk ist deutlich gerastert, manche Ebenen liegen tiefer oder höher, das Bild ist also letztlich eine dreidimensionale, aber sehr flache Skulptur. Waschkaus „malerische Holzreliefs“, wie er seine Arbeiten selbst nennt, haben Schichtholzplatten aus Pappelholz zur Basis. Die oberen Schichten trägt er zum Teil mit Beiteln ab und trägt ständig – im Wechsel mit der Holzbearbeitung – Farbe auf. Waschkau versteht sich als Bildhauer und Maler zugleich, seine Gebilde sind ein Mix aus künstlerischen Techniken. Als Vorlage für diese Objekte nutzt er von ihm aufgenommene Fotografien.

Die Bedeutungen seiner Reliefs sind nicht eindeutig: Sie können einerseits kritisch auf die Durchgliederung und Normierung, die „Rasterung“, unserer Großstädte verweisen. Andererseits zwingen sie uns, gerade durch die Rastertechnik, unsere Wahrnehmung zu hinterfragen, die ja Details immer wieder (begrifflich) zusammenfasst: Ah, ja, New York… Und doch: Waschkaus Halbreliefs sind mehr als ihre handwerklich-künstlerischen Raster, sie entführen uns in faszinierende dynamische Welten und behalten ihren unwägbaren Rest.

INFO:
Detlef Waschkau „In The Cities“ noch bis zum 24. November in der Kunststation Kleinsassen. In der Winterzeit nur Donnerstag bis Sonntag von 13 bis 17 Uhr geöffnet.
www.kunststation-kleinsassen.de

FOTO:
„New York“ © Nikolaus Netzer

Ausstellung „Von Fischen und anderen Gräten…“

Unter dem Titel „Von Fischen und anderen Gräten“ präsentiert die Fuldaer Künstlerin Martina Theisen neue Arbeiten: Ihre maritimen Bilder in der kommunalen Galerie der Stadt Gersfeld sind eine Gradwanderung zwischen angewandter und freier Kunst.

Auf dem Plakat zur Ausstellung zeigt ein Wal Yoga-Übungen. „Geldhaie“ saugen an ihren Zigarren. Ein säuerlich guckender Fisch, hinten schon ein wenig in Scheiben geschnitten, begrüßt uns als „Zitronenhai“. In einer Ölsardinendose schlafen kleine Fische. Aufrecht stehend in Matrosenanzügen salutieren in der „Doraden-Parade“ aufgekratzte Goldbrassen. Die Idee zu ihrer Schau entstand auf der von Meerestieren umgebenen Insel Spiekeroog, wo sich die Künstlerin gerne aufhält. Soll man ihr tatsächlich glauben, dass es diese Wesen alle in Wirklichkeit gibt, wie sie behauptet? Die diversen Grätenviecher sind jedenfalls nicht realistisch gezeichnet oder gemalt, fast immer wirken sie unwirklich, ja grotesk, wie Karikaturen oder Comics.

Alle abgebildeten Seekreaturen sind mehr oder weniger vermenschlicht und bleiben doch Meerestiere: Daraus entsteht die Komik, die in der ernsthaften Bildenden Kunst einst nicht so beliebt war. Theisen spielt auch mit ihren Titeln, einerseits weisen sie Wege zum Verständnis und provozieren lachende Erkenntnis, andererseits sind sie gelegentlich auch Wortspiele: „Der Wal trägt einen Schal mit Aal“, heißt ein Werk. Oder Schweine, also Meerschweine, nutzen einen fetten Delphin als Tauchboot: „We all live in a yellow submarine“, möchte man da fröhlich mit den Beatles singen.

Theisens Arbeiten sind durch Mischtechniken entstanden, sie malt und zeichnet mit Stiften, Kohlen und Kreiden auf farbiges Tonpapier. Die Künstlerin nennt sich Illustratorin, bereits als Kind hat sie ihre Puppen mit Filzstiften angemalt und dann mit ihnen Indianer gespielt. In Mainz studierte sie Kommunikations-Design, seit 2001 illustrierte sie bisher über 60 Kinder- und Erwachsenenbücher für renommierte Verlage. „Mein großes Körperbuch“ von Professor Dietrich Grönemeyer weist Ihre bekanntesten Illustrationen auf.

Bescheiden bezeichnet sie selbst ihre Bilder als angewandte Kunst, doch eigentlich sind die in Gersfeld gezeigten Arbeiten freie Kunstwerke und (bis jetzt) keine Illustrationen. Aber in ihnen schlummern nicht erzählte Geschichten, die zum Erzählen und Nachfragen provozieren: Ist der Aal auch erkältet? Was küsst den Delfin? Weiterlesen

„Das Roadstories Projekt“ – über das Künstlerbuch von Leonie Hochrein

Ein Jahr lang zog die junge Künstlerin Leonie Hochrein durch die Welt und stellte jede Woche einem ihr bekannten oder fremden Menschen drei Fragen zu Glück, Heimat und einigen prägenden Ereignissen im bisherigen Leben. Zu den notierten Antworten fertigte sie jeweils ein Fotoporträt von dem Menschen, der an die nächste Person eine eigene vierte Frage stellen sollte:

„Beschreibe das Gefühl jemanden innig zu lieben“, wollte eine wissen, andere fragten, „Was ist deine Kunst?“ oder „Welche Bedeutung hat Sexualität in deinem Leben?“ Mit diesem Projekt begann Hochrein noch vor dem Abschluss ihres Kunststudiums an der Alanus-Hochschule für Kunst und Gesellschaft. Ihre „Roadstories“ sind kein distanziertes Interviewprojekt, in dem sie Befragte zum Objekt macht. Stattdessen destillierte sie 51 intensive Vignetten aus ihren offenen Gesprächen. Im 52. Interview wollte sie selbst zu Wort kommen, doch während der Nachbearbeitung der authentischen Begegnungen verunglückte die Künstlerin (23) tödlich mit ihrem Lebensgefährten auf einer alpinen Bergtour. Mit zwei Redakteurinnen aus dem Freundeskreis setzte Ihre Mutter die geplante weitere Arbeit fort. 2018 stellte sie das Projekt bei den Dirloser Kunsttagen vor und veröffentlichte vor kurzem „Das Roadstories Projekt“ als englisches und deutsches Künstlerbuch.

Das Werk ist grafisch gut gestaltet, großzügig aufgemacht, angenehm anzufassen, schön anzusehen und gut zu lesen – trotz seiner strengen Systematik: Ganz knapp erzählt Hochrein zunächst jeweils von ihren eigenen Beobachtungen und Gefühlen im Gespräch, bleibt also nicht außen vor. Es folgt ein ganzseitiges, stark angeschnittenes Bildporträt der Befragten, danach deren meist nachdenkliche Antworten und die Frage an die nächste Person.

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Im „Garten der irdischen Freuden“ in Berlin

In der Ausstellung „Garten der irdischen Freuden“ verwandeln 22 internationale Künstlerinnen und Künstler den Berliner Gropius Bau in eine außergewöhnliche Gartenkolonie. Doch beim Rundgang durch die individuellen Parzellen im Museum erlebt man kein fürstliches Gartenfest, sondern diverse künstlerische Auseinandersetzungen mit dem Motiv des Gartens, an dem Kunstschaffende seit Jahrhunderten arbeiten.

Bereits im großen Lichthof des Hauses bildet ein mit meterhohen Metallregalen abgetrennter Raum einen zivilisierten Garten: In die Fächer des Regals sind einst wilde Pflanzen ordentlich eingetopft, hier ist üppige Natur gezähmt und in Ordnung gebracht. Während der Eröffnungstage dringen aus dem Gewächshaus, in dem ein Musiker sitzt, laute dramatische Synthesizerklänge. Symbolisiert die verstörende Kakophonie unbändige Naturgewalten oder den raschen Klimawandel? Hört man die bedrohliche Unterströmung unter der dünnen Decke unserer Zivilisation? Mit solchen Fragen geht man auf den Parcours.

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Ein Saal mit drei riesenhaften Plastiktulpen ist vollständig mit großen verschiedenfarbigen Punkten auf strahlendweißer Oberfläche bemalt, sogar Fenster und Decke. Man darf nur mit übergroßen Filzpantoffeln durch diese Skulptur schlurfen, die man zunächst witzig und unterhaltsam findet. Doch je länger man darin verweilt, umso mehr spürt man Beklemmung in dieser künstlichen Pop-Art-Welt.

Im Dunklen liegt man auf dicken weichen Stoffschlangen und schaut den an die Decke projizierten Film. Fast ohne visuelle Grenzen verschmelzen in einem Paradiesgarten zwei nackte Evas mit Blumen, Pflanzen und Wasser. Die traumartigen Bilder gleiten sanft ineinander, wechseln ständig zwischen Nahaufnahmen und Blicken durch Kaleidoskope. Weiterlesen

Kunst und Spiel in Kleinsassen

Zum 40. Geburtstag lädt die Kunststation Kleinsassen mit ihrer Ausstellung „KunstSpieleKunst“ das Publikum zum Mitmachen ein. Während das Spielen mit Kunstwerken gewöhnlich streng tabuisiert ist, wird es hier in den nächsten Monaten ausdrücklich erwünscht sein.

Bereits vor dem Kunsthaus empfängt die Besucherinnen und Besucher die Skulptur „Promenade der Elementarteile“, in der etwa eine gelbe eiserne Sonne oder ein blaues Eisenherz vom Wind bewegt werden. Sind die Böen aus der Rhön zu schwach um die Figuren zu drehen, kann das Publikum die Elemente selbst in Bewegung setzen.

Zunächst fallen beim folgenden Streifzug durch die Ausstellung natürlich als erstes solch spektakuläre Mitspielobjekte auf: Das Fahrrad, mit dem seine Benutzer eine riesige Maske wachsen lassen können oder eine mächtige Klangskulptur, die ständig von Leuten mit einer Vielzahl von Schlagwerkzeugen beklopft und erkundet wird. Zu einem sanften Klangteppich vom Band im Hintergrund entstehen so häufig ungeplante musikalische Performances.

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Das sensationellste Kunstwerk ist zweifellos der gigantische atmende Zylinderballon „transForm“ in der großen Halle: Mal hängt die silbrige Hülle halbschlaff von der Decke, dann bläst sie sich parallel zum Dachbalken wieder auf: Es wechseln Prallheit und Erschlaffung, Fülle und Leere, Kraft und Schwäche: „So werden auch emotionale Situationen allegorisiert“, sagt Künstler Ambech über seine Arbeit. Weiterlesen

Der „unwägbare Rest“ – Streifzüge auf der 58. Biennale (Schluss)

Shakuntala Kulkarni hat schwer aussehende Drahtkörper gefertigt und sich, eingezwängt in die Rüstungen, an belebten Orten ihrer indischen Heimat präsentiert. „Of Bodies, Armour and Cages“ heißt die Serie (2010-2012).

Diese Aktionen seien ihr nicht leicht gefallen, meint sie, denn sie habe vorher noch nie Performances gemacht und sei bisher immer hinter ihre Werke zurückgetreten. Von diesen Auftritten, die von der (männlichen) Bevölkerung oft nicht begeistert aufgenommen wurden, zeigt sie im indischen Pavillon spannende Fotos sowie die genutzten Harnische. Diese zunächst so massiv wirkenden Hüllen sind aus leichtem Bambus und könnten weibliche Rollenzuschreibungen oder Schutz gegen männliche Übergriffe symbolisieren.

wpo-Biennale-3-2.jpgWir kommen in unserem letzten Text also noch einmal auf Arbeiten zurück, die auf der Biennale gezeigt werden und trotz ihrer „Privatheit“ politisch, vor allem aber eigenständige Kunstwerke sind.

Der österreichische Pavillon wird zum ersten Mal alleine von einer Frau gestaltet: Renate Bertlmann, schon früh bekannt als feministische Performerin, hat streng geometrisch auf 312 spitzen Floretten Rosen aus venezianischem Muranoglas drapiert. Ihre „Ästhetik des Riskanten“, so die Kuratorin, hält Kampf und Anmut, Verlockung und Abwehr in der Schwebe:

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Das Private und die Frauenkunst… Weitere Streifzüge auf der 58. Biennale (2)

Zunächst einmal etwas Sinnliches über den isländischen Pavillon: Abseits von Gardini und Arsenale sind wir in eine langgezogene farbenfrohe Kuschelhöhle eingetaucht und haben uns zu psychedelischer Musik einfach nur wohlgefühlt.

Aber „Wohlgefühl“ reicht vielen Kritikern der Biennale natürlich nicht bei ihrer Kontrolle der Kunst, die nun auch noch von einer Frau produziert wurde…

„Von wegen politisch…“, fragten wir im ersten Text über unsere Rundgänge auf der 58. Biennale in Venedig. Wir wunderten uns über das seltsame Kunstverständnis, das häufig zunächst nach der politischen Bedeutung, nicht aber der Ästhetik und künstlerischen Qualität der diskutierten Arbeiten fragte. Dagegen überrascht uns, dass das Politische an scheinbar privaten Werken kaum wahrgenommen wird: kl Biennale 2-4.jpg

Eine junge Japanerin, die bunt bemalte Beinprothesen trägt, sitzt zum Interview im Pressezentrum. In der Ausstellung „May You Live in Interesting Times“ ist sie, Mari Katayama, zweimal mit inszenierten Fotografien vertreten. Entweder ist sie selbst als Performerin oder als Teil ihrer Artefakte zu sehen: sie tritt nicht hinter die Werke zurück.Ganz in der Tradition der Performance und Body-Art zelebriert sie auf radikal künstlerische Weise die Ästhetik des Andersseins: Ihre Diversität ist nicht länger private „Behinderung“ sondern politische – aber nicht plakative – Aussage über den Zustand und die Möglichkeiten unserer normierten Gesellschaft!

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