„Der Pinguin meines Lebens“

Bis der Pinguin aus dem Filmtitel in der Geschichte auftaucht dauert es noch recht lange. Zunächst lernen wir den britischen Lehrer Tom Michell kennen, den es 1976 bis nach Argentinien verschlug.

Hier fängt er als Englischlehrer an einer elitären Privatschule an, während gleichzeitig ein Militärputsch in der Luft liegt, was ihn aber nicht interessiert. Er kämpft mit den schnöseligen Jungs reicher Eltern, die weder seine sarkastischen Literaturkenntnisse goutieren noch seine bescheidenen Rugbyversuche ernst nehmen. Der Schuldirektor setzt ihn unter Druck, dass seine Siebtklässler besser werden müssen.

Wenige Tage später erfolgt der brutale Militärputsch, das Land ist gelähmt und die Schule wird vorübergehend geschlossen. Tom freut sich und unternimmt eine Busreise nach Uruguay, um hier ein bisschen Spaß zu haben. Politisch ist er absolut uninformiert, obwohl er mitbekommen hat, dass sich die attraktive Tochter der Haushälterin der Einrichtung politisch engagiert und dadurch ihr Leben riskiert. Angekommen im Nachbarland landet Tom nachts am Meer mit einer schönen Einheimischen, die er zuvor in einer Kneipe mit seinen Tangokünsten betörte. Doch am Strand ist ein Pinguin das Opfer der Ölpest geworden und Tom nimmt ihn zur Säuberung mit ins Hotel. Er ist kein Tierfreund, doch er hofft dadurch die Schöne in sein Bett zu bekommen. Am Ende aber geht sie plötzlich fort: „Ich kann nicht bleiben, ich bin verheiratet!“

Statt Sex hat er nun einen flugunfähigen, streng nach Fisch riechenden Seevogel, der sich einfach nicht vertreiben lässt und seinen Retter ins Herz geschlossen hat. Mehrfach schleppt er das Tier ans Meer, wird ihn aber nicht mehr los. Die Rückreise besteht aus Slapsticks: Wie die beiden im Bus fahren. Über die Grenze kommen. Bei ihrer Rückkehr immer wieder von Soldaten angehalten werden. Mit nervösen Fingern am Abzug der Waffe wollen sie wissen: „Was hast Du da in der Tasche?“ Irgendwie gelangt Toms neuer Freund auch in seine Schulklasse. Die Kids sind begeistert ihn versorgen füttern zu dürfen. Sie geben ihm den Namen Juan Salvador und fangen tatsächlich an im Unterricht mitzumachen.

Die Tochter der Haushälterin wird verhaftet, ganz langsam verliert Tom seinen Zynismus und engagiert sich für ihre Freilassung.

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„Eine letzte Reise“

Mühselig schieben zwei jüngere Männer einen orangefarbenen R4 über die französische Grenze, drinnen sitzt ein sehr alter Mann, der versonnen vor sich hinlächelt.

Das war nicht immer so, der schwedische Lehrer Lars Hammar hatte sich sehr auf die Zeit nach seiner Pensionierung gefreut. Jedoch der Sprung in das neue Leben gelang ihm nicht, bald verlor er seine Lebensfreude, wurde schließlich depressiv – und hatte mit 80 Jahren eigentlich Schluss mit der Welt gemacht. In Rückblenden erleben wir ihn in der Schule als liebevollen Pädagogen und seine fröhliche Verabschiedung.

Eines Tages besorgen sein Sohn Filip und dessen Freund Fredrik einen alten, unglaublich laut knatternden R4, den sie wieder aufmöbeln. Sie überreden den alten Mann, mit ihnen eine Reise nach Frankreich zu unternehmen, denn so ein Auto hatte Lars als er noch jung war. Ständig fuhr er mit seiner Frau und den zwei Kindern (eins war Filip) in den Ferien nach Frankreich und verbrachte dort die Ferien. In den Film eingeblendete, wacklige Super-8-Streifen erinnern an diese Zeit. Filip sucht auf dem Dachboden nach alten Bildern, Kassetten und dem dazugehörigen Rekorder.

Als er (nach einer Film-Viertelstunde) endlich mit dem R4 vor dem Haus steht, wird sein Vater ganz weich und meint: „Was für ein Abenteuer! Ja, das ist meine letzte Reise.“ Doch bereits in Malmö stürzt er nachts im Hotel, verletzt sich und muss ins Krankenhaus. Währenddessen versuchen die beiden Freunde in Brüssel Fotos von Jaques Brel zu besorgen, seine Gesänge schallen durchs Krankenhaus und erinnern Lars an seinen 49. Geburtstag.

Ein Taxi bringt den alten Herrn nach einigen Tagen an die Grenze, da der R4 herumzickt, müssen die Jungs ihn drüber schieben. Die französische Sprache und Calvados aus Pappbechern helfen Lars seine verschütteten Erinnerungen wiederzubeleben. Schließlich werden noch Schauspieler engagiert, die vor einem Café typisch französische Autoszenen inszenieren und Lars meint: „Alles ist unverändert wie früher, nur ich bin anders geworden.“ Schließlich treffen die Drei noch alte Bekannte von früher und Lars versucht (wieder) Ratatouille für sie zu kochen. Denn das konnte er einst besonders gut, braucht jetzt aber Hilfe beim Gemüseschneiden und Kochen. Gemeinsam hören alle die Erinnerungen vom Kassettenrekorder.

Und dann ist der Film auch schon aus…

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„Ich will alles“ – Dokumentarfilm über Hildegard Knef

„Ich will. Ich will alles oder nichts“, sang Hildegard Knef 1968 – und auch als ältere Dame wollte sie immer noch „alles oder nichts. Für mich sollst rote Rosen regnen.“ Von Anfang an war es ihr widersprüchliches Lebensmotto berühmt zu werden und doch „was Einfaches zu machen“, Erfolg zu haben und ihn nicht zu mögen. 

Jetzt kommt „Ich will alles“ in die Kinos, der Dokumentarfilm über Hildegard Knef (1925 -2002), der auf der Berlinale im Frühjahr seine Uraufführung hatte. Die Regisseurin Luzia Schmid hat aus dem umfangreichen Archivmaterial der Deutschen Kinemathek in Berlin einen unterhaltsamen, spannenden und doch sehr informativen Film collagiert. Die einzelnen Lebensabschnitte der letzten deutschen Diva werden immer mit einem ihrer Songs eingeleitet: „Ich glaube eine Dame werde ich nie“ oder „Es tut beim letzten Mal noch ganz genauso weh“, singt sie mit ihrer rauchig-heiseren Stimme, fast im Sprechgesang. Dann folgen die jeweiligen Ereignisse, die sich aus historischen Interviewfetzen, Gesangsproben und Filmaufnahmen, sowie aktuellen Kommentaren ihrer Tochter Christina Palastanga zusammensetzen. 

Deutlich wird bald für uns Zuschauer, dass „die Knef“, wie sie in Deutschland immer genannt wurde, als Schauspielerin begann. Erfolgreiche Chansons kamen erst später dazu und dann ihre literarisch anspruchsvollen Bücher. Bereits in den letzten Kriegsjahren entdeckte die UFA ihr schauspielerisches Talent, dort wurde sie ausgebildet; auch Theaterengagements erhielt sie. Listig gelang es einer ihrer Lehrerinnen zu verhindern, dass Josef Goebbels den Teenager missbrauchte.

Im Nachkriegsdeutschland wurde sie zunächst mit dem kritischen Thriller „Die Mörder sind unter uns“ (1946) bekannt, ein früher Streifen, der überraschend dramatisch die Nazi-Verbrechen anprangerte. Zur „Sünderin“ (1950) wurde sie in dem gleichnamigen Film von Willi Forst, als sie nicht nur 6 Sekunden lang als nacktes Malermodell auftauchte, sondern sich prostituierte, um ihren totkranken Liebhaber eine Operation zu ermöglichen und ihm später bei der Tötung auf Verlangen half. Jahrelang bewegte dieser „Skandal“ die „gesund empfindende Bevölkerung“ (so ein Staatsanwalt) in den beginnenden Wirtschaftswunderjahren. 

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Florentina Holzinger als Material-Art-Kämpferin im Film „Mond“

Da haben sich aber einige bizarre Österreicher zusammengetan: Die wilde Tänzerin und Choreografin Florentina Holzinger als Schauspielerin und Ulrich Seidl, der radikale Regisseur und jetzige Produzent des Filmes. Holzinger schockte vor kurzem die braven Stuttgarter Ballettgänger mit ihrer Inszenierung „Sancta“ auf, Seidl ist der Filmemacher mit den „schmutzigen Socken des Kinos“, wie sein Kollege Michael Haneke einst wohlwollend (!) befand. Mit „Mond“ präsentiert die junge österreichisch-kurdische Regisseurin Kurdwin Ayub ihren zweiten Spielfilm.

Darin gibt Holzinger als Sarah eine angeschlagene Material-Art-Kämpferin, der ein Job in Jordanien angeboten wird. Dieses Projekt kommt ihr gerade recht, denn durch eine blutige Niederlage ist ihre Karriere als aktive Kämpferin am Ende. Dort im Nahen Osten soll sie drei jungen Töchtern einer steinreichen arabischen Familie Kampfkunst lehren. Die Mädchen sind extrem zickig und verzogen und nicht gerade von ihrer Coachin begeistert, die mit harten Fitnessübungen einsteigt. Bisher haben sie bereits allerlei Trainerinnen verschlissen. In der riesigen Villa geschehen unheimliche Dinge, mal ruft jemand leise um Hilfe, mal entdeckt Sarah ein Krankenzimmer, das auf sie wie eine Folterkammer wirkt. Die Mädchen sind von der Außenwelt abgeschlossen, WLAN gibt es nicht. Man bangt mit Sarah und fürchtet um Sarah, die allzu neugierig unbedingt das Geheimnis des unheimlichen Hauses lüften will.

Mehr möchten wir hier von der spannenden Filmhandlung nicht verraten, die zwischen vagen Horrorelementen und Barbiekitsch changiert. „Alles kann Tanz sein“, sagte Pina Bausch einst und so „tanzt“ Holzinger nun durch Jordanien. Denn absolute Fitness ist für Kampfkünstlerinnen genauso wichtig wie für Tänzerinnen. Und in ihrem Training mit den jungen Mädchen legt sie – genauso wie im Tanz – großen Wert auf Körperkontrolle, Balance, Timing und präzise Bewegungsabläufe. Wer einmal einen anspruchsvollen Kung-Fu-Film gesehen hat, sagen wir „The Grandmaster“ von Wong Kar-wai (Berlinale 2023), der weiß, dass die asiatischen Material-Art-Kämpfe wie artifizielle Tänze anmuten können.

Also kein Wunder, dass Florentina Holzinger von der jungen Regisseurin Kurdwin Ayub für die Hauptrolle gewählt wurde. Der ganze Film wird von ihr getragen, sie ist in jeder Szene großartig präsent. Erzählt wird die Geschichte mit langen Einstellungen und recht einfachen Bildern.

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„Niki de Saint Phalle“ – ein Film über die Geburt der Künstlerin

Die Künstlerin Niki de Saint Phalle wuchs teilweise in New York auf und kehrt Anfang der 1950er-Jahre nach Paris zurück. Hier überfallen sie diffuse Ängste, blutige Träume und vage dämonische Erinnerungen. Als sie mit einem Messer unter dem Bett schlafen gehen will, zwingt ihr Ehemann sie, sich in psychiatrische Behandlung zu begeben.

In diesem seelischen Tohuwabohu werden Niki auch die einstigen sexuellen Übergriffe ihres Vaters schmerzhaft bewusst. Mit Elektroschocks traktiert man sie in der Nervenklinik, ansonsten wird sie ruhiggestellt, Beschäftigung ist ihr verboten: „Die Behandlung ist so intensiv, dass sie keine Kraft für anderes haben“, heißt es.  Sie darf nicht malen wie ein Mitpatient, dessen grellfarbene Gemälde sie faszinieren. Heimlich sammelt sie Müll, den sie gestaltet oder malt mit Schlamm und Wasser auf Pappkartons. Das wird ihr untersagt, die „Helfer“ kapieren nicht, dass ihr diese eigene Gestaltung der Welt – durch die Entdeckung der Kunst – hilft und Kraft gibt. Überhaupt nicht hilfreich ist dagegen die würdelose Behandlung in der Irrenanstalt und der vom Psychiater geleugnete väterliche Missbrauch. Jedoch fügt sie sich in die Zwänge der Anstalt um entlassen zu werden.

Wieder zuhause arbeitet Niki künstlerisch wie besessen, doch sie verzweifelt: „Ich male wie eine Zehnjährige, ich will lernen!“ Auf der Suche nach Unterstützung lernt sie in der losen experimentierfreudigen Pariser Szene Yves Klein, Daniel Spoerri und Jean Tinguely kennen. Niki und Tinguely verstehen sich gut, aber in seiner Clique wird sie anfangs heftig angefeindet: „Du bist keine Künstlerin, du bist nur die die malende Frau eines Schriftstellers.“ Dagegen ermuntert Tinguely Niki, die brave Malerei sein zu lassen: „Komm, wir spielen Kunstpolizei“, ruft er, hält sich seine Schweißermaske vors Gesicht und kommandiert: „Fort mit Farben, Leinwänden und Pinseln!“

Niki beginnt mit großen Gipsfiguren zu arbeiten, in die sie Beutel mit roter Farbe einschließt und darauf schießt. Weitere bizarre Gestaltungen und brisante Aktionen folgen, sie schleudert ihre Wut durch die Kunst in die Welt hinaus. Sie verlässt ihren Mann, heiratet Tinguely und wird zunehmend – als einzige Frau – in der männlich dominierten Kunstszene dieser Jahre bekannt. Durch den Film erleben wir diese kurze Episode ihres Lebens, die Ereignisse zwischen 1952 bis 1961, in der sie zur Künstlerin heranreift und die lockere Avantgarde-Gruppe Nouveaux Réalistes mitbegründet.

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„Mickey 17“ – ein erstaunlicher Film mit Robert Pattinson

Ein Mann im Schnee reinigt seine Schutzbrille, reibt seine schmerzenden Glieder und merkt, dass es in eine tiefe Gletscherspalte gestürzt ist. „Wie habe ich das überlebt?“, fragt er sich und schreit um Hilfe. An einem Seil lässt sich ein Kollege herab und staunt: „Was? Du bist ja noch nicht tot! Aber du bleibst ja hier.“ Dann lässt er sich wieder hochziehen.

Nach dieser absurden Nicht-Rettungs-Szene ein Rückblick: Mickey 17 (Robert Pattinson) hatte mächtige Geldsorgen, wurde von brutalen Gläubigern verfolgt und verpflichtete sich für ein langjähriges Raumfahrtprogramm. Viereinhalb Jahre dauerte die Reise zum Eisplaneten Nifelheim. So ganz genau hörte er beim Anheuern nicht zu und las auch nicht, was er unterschrieb. Seine Anleiterin roch ihm einfach zu gut. Nach der Landung auf dem Himmelskörper musste er die toxische Atmosphäre erkunden und von Wissenschaftlern entwickelte Gegenmittel testen. 

Nun starb er bereits 16-mal und wartet wieder auf den Tod. Doch es kommt anders als bisher, das wird aber hier nicht verraten. Im Raumschiff reproduziert man bereits Mickey 18. Mickeys Biodaten sind eingescannt und seine aktuellen Erinnerungen gespeichert, so kann er jederzeit mit einem 3D-Drucker kopiert werden. „Du wirst dich ans Sterben gewöhnen müssen“, hieß es. Er ist quasi der letzte Dreck der vielfältigen Besatzung, die aus 200 Technikern, Ingenieuren, Sicherheitsleuten und „edlen weißen“ Menschen besteht, die den Planeten bevölkern sollen.

In weiteren Rückblenden erfahren wir von Mickys ersten Toden, dann von seiner heimlichen Liebschaft mit der Sicherheitsfrau Nasha (Naomi Ackie), die in der Hierarchie weit, weit über ihm steht. Aber immerhin wird er ja von Robert Pattinson verkörpert. Deshalb ist Nasha auch sehr erfreut als die beiden Mickeys – der alte, eher zärtliche, und der neue, eher draufgängerische – ihr plötzlich gegenüberstehen. Sofort schleppt sie beide in ihre Kabine… 

Mehr wird nicht von dieser Story nicht gespoilert, die Handlung wird in diesem Genremix sehr komplex erzählt und überrascht mit einigen dramatischen Wendungen. Die Raumreise und die Besiedelung des neuen Planeten wurde von Kenneth Marshall (Mark Ruffalo) organisiert und durchgeführt. Er wird von seinen Anhängern auf der Erde und im Raumschiff als Messias verehrt, denn er will auf Nifelheim eine reine weiße Superrasse heranzüchten.

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Man kommt strahlend aus dem Kino: „A Complete Unkown“

„Sie sehen aber glücklich aus“, sagen mir die Service-Frauen der Berlinale, beim Herauskommen nach dem Bob-Dylan-Film. Tja, das war ich, noch mit dem Song von Woody Guthrie in den Ohren: „So long, it’s been good to know ya“ (Es war schön, dich zu kennen). Aber wer kennt heute noch diesen Folksänger?

Mit der Ankunft Dylans in New York am 24. Januar 1961 beginnt der Film. Sogleich fährt er ins Krankenhaus, in dem sein Idol Guthrie sterbenskrank liegt. Dort trifft er auf Pete Seeger, einen anderen Folkmusiker. Dylan spielt ihnen den „Song für Guthrie“ vor, dann ein eigenes Stück. Die beiden sind begeistert, sehen in dem Zwanzigjährigen die Verjüngung der Folkmusik, die für sie auch mit dem Kampf für Demokratie und gegen Rassismus verbunden ist. Bald kommt es zu einem ersten Zwist, als Dylan erklärt, er sei kein Folksänger, er würde lediglich Folksongs machen. Doch Seeger widerspricht: „Ein guter Song braucht keinen Schnick-Schnack“. Aber angesichts Dylans neuer Musik wirkt der traditionelle Folk recht hausbacken.

Der Film zeigt wie Robert Zimmermann zum Star Bob Dylan wird, die fünf Jahre bis zu seinem unerhörten Auftritt mit einer Rockband beim Newport Folk Festival 1965. Zunächst sieht Timothée Chalamet in seiner Rolle als Dylan, ihm nicht besonders ähnlich, auch die Stimme klingt etwas anders. Doch im Laufe des Films wird Chalamet ebenfalls zu Bob Dylan mit Locken. Das Werk ist eine Mischung von temporärem Biopic und Spielfilm: Die langjährige Freundin, die der Musiker in New York findet, ist in der Geschichte fiktiv. Sie ähnelt aber seiner damaligen beständigen Geliebten, die häufig recht eifersüchtig auf Joan Baez ist. Ob diese Details stimmen, ist nicht so wichtig. Man weiß nicht, hat er wirklich zu Baez gesagt, „deine Texte sind so gewollt wie die Bilder in einer Zahnarztpraxis.“ Aber er macht und denkt immer was er will, findet dafür offene Worte.

Über ihn und Joan Baez, die bereits sehr bekannt ist, fasst er auch Fuß in der New Yorker Szene. Mit „Blowin in the Wind“ oder „The Times They Are A-Changing“ macht er schnell Karriere, weil er das Lebensgefühl der frühen 1960er-Jahre und den Kampf für Veränderungen sehr poetisch ausdrückt. Auf seiner ersten Platte sind noch Coverversionen bekannter Folk-Songs, doch bald werden auch seine eigenen Lieder veröffentlicht. Sehr schnell steigt Dylan auf, aber er verweigert sich dem Starkult, will kein Guru sein. Bei einer Party haut er schimpfend ab:

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„Heldin“ – was für ein Film!

Der Film „Heldin“ ist unglaublich! Viele Kolleginnen und Kollegen der Presse konnten sich vor seiner Weltpremiere auf der Berlinale kaum vorstellen, dass dieser Spielfilm in dokumentarischer Form, eine derartige Spannung beim Publikum erzeugen kann – und ohne Pathos und Wehklagen so berührt. 

Natürlich geht es um den „Pflegenotstand“, die Überlastung des Personals in den Kliniken und die Vielfalt der Bedürfnisse der zu Pflegenden. Jedoch der Hintergrund ist ein ganz normaler Stationsalltag, es wird keine durchgehende Geschichte erzählt. Wir erleben die stationären Abläufe allein aus der Perspektive der Pflegefachkraft Flora (Leonie Benesch), die mit großer Leidenschaft und Professionalität in der Chirurgie eines Schweizer Krankenhauses arbeitet. Sie ist in (fast) allen Szenen durchgehend präsent, aber immer authentisch und glaubwürdig. Es wird nicht über sie berichtet, wir arbeiten mit ihr. Dadurch wird der Film auch nicht larmoyant.

Bei Flora sitzt jeder Handgriff, sie hat selbst in stressigen Situationen immer ein offenes Ohr für ihre Patientinnen und Patienten. In Notfällen oder prekären Momenten handelt sie sofort, muss dann aber andere notwendige Aufgaben hintenanstellen. Dafür hat ihre Klientel selten Verständnis. Als die Pflegefachkraft im Film ihre Spätschicht antritt, fällt auf der voll belegten, unterbesetzten Station eine Kollegin aus. 

Trotz aller Hektik umsorgt Floria eine schwer kranke Mutter und einen alten Mann, der dringend auf seine Diagnose wartet, ebenso fürsorglich und routiniert wie den Privatpatienten mit all seinen schrulligen Extrawünschen. Auch den Angehörigen begegnet sie einfühlsam und kümmert sich um deren Probleme. Doch dann unterläuft ihr ein verhängnisvoller Fehler und die Schicht droht, völlig aus dem Ruder zu laufen. Ein nervenzerfetzender Wettlauf gegen die Zeit beginnt, auch wenn eine Ärztin sie tröstet: „Fehler passieren uns alle mal.“

Der Film ist mit zwei, drei besonderen Situationen dramatisch verdichtet, nicht jeden Tag geschehen einige „filmreife“ Ereignisse. Filmmusik, Kamera und Schnitt sorgen zusätzlich für die cineastische Spannung des Alltäglichen. Doch die Vielzahl unterschiedlicher Anforderungen, die Hektik und Überbelastung der Pflegenden sind auch die alltäglichen Merkmale der stationären Arbeit. Doch nicht alles ist schrecklich, immer wieder können wir einfühlsame Begegnungen zwischen der Klientel und den Pflegenden oder der Pflegenden untereinander miterleben.

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„Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin“ – der Film

Der Schauspieler und Regisseur Charly Hübner hat mit und über die Musikgruppe „Element of Crime“ eine abendfüllende Filmcollage gedreht. Wir sprachen mit ihm und Sven Regner, dem Sänger und Songschreiber der Gruppe, der auch als Autor erfolgreich ist („Herr Lehmann“).

Der Film:
Man sieht den Rücken des Schlagzeugers, dann den Sänger, dessen Stimme die folgenden, schnell geschnittenen Bilder der Stadt vor dem Mauerfall besingt: „Warm sind die Nächte in Berlin.“ Der Filmemacher begleitete die Band bei Konzerten an fünf aufeinanderfolgenden Abenden in der Hauptstadt, an denen sie zunächst in einem Privatclub, dann in immer größeren Locations bis zur Zitadelle Spandau auftraten. Doch daraus hat Charly Hübner keine klassische Musikdoku gemacht, sondern eine komplexe assoziative Bilder- und Infocollage. 

Zusammengeschnitten hat er ein Kaleidoskop von Bildern und Szenen, Songs und Gesprächen, Kommentaren und persönlichen Erinnerungen.  Zunächst kapiert man nur wenig, wenn man die Gruppe nicht kennt, doch am Ende des Films hat man im Kopf ein fantastisches Gemälde der „Element of Crime“, die vor knapp 40 Jahren zusammenfanden. Außerdem kann man der allgemeinen musikalischen Entwicklung jener Jahre nachspüren, sowie Berlin vor und nach dem Mauerfall erleben.

Die zunächst größte Überraschung (für den Autor dieser Zeilen) sind die Texte Sven Regners, der in den 1990er-Jahren – einige Jahre nach dem Ende der Neuen Deutsch Welle – begann auf Deutsch singt. Als ein FAZ-Kommentator ihn als Mischung von Bruce Springsteen und Bob Dylan bezeichnete, kam das damals einem musikalischen Todesurteil gleich, erinnert sich Regner lachend im Film. Seine Texte poetisieren Alltägliches, gleiten dann häufig sanft ins Surreale und Unwirkliche – und halten eine wunderbare Spannung zwischen Melancholie und Ironie: „Ich hab noch irgendwo ein warmes Bier zu steh’n / Du kannst die Blumen damit gießen / Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin.“

Das Gespräch
Hübner erinnert sich im Film und in unserem Gespräch, dass er einst im Osten aufwuchs, „Element of Crime“ hörte und in seiner „Teenager-Not“ dachte: „Wenn man so auf die Welt gucken kann, dann kommt man doch mit ihr zurecht.“

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„The Substance“ ein Horrorfilm?

„Jugend, die mir täglich schwindet…“ – wie aktuell sind doch diese 180 Jahre alten Zeilen Heinrich Heines. Wer würde diesen Prozess des Alterns nicht gerne aufhalten? Die Diva Liz Sparkle, im Film „The Substance“ dargestellt von Demi Moore, ist wahrlich kein junges Mädchen mehr. Aber mit ihren 50 Jahren ist sie immer noch eine topfitte und äußerst attraktive Frau. Doch der verschlagene Programmdirektor Harvey (Dennis Quaid), der aussieht wie Dieter Bohlen, will ihre erfolgreiche Aerobic-TV-Show absetzen und sie loswerden.

Dem alten Knacker ist Liz zu alt, hinter ihrem Rücken bereitet er heimlich das Casting für eine Nachfolgerin vor. Als Sparkle zufällig von der Intrige erfährt, verursacht sie anschließend vor Wut einen heftigen Autounfall. Später bekommt sie in der Klinik einen Zettel zugesteckt, er erhält ein attraktives Angebot…

Mit Hilfe einer geheimnisvoll Substance bekommt sie die Chance, eine Woche lang äußerst jung, dünn und schön zu sein, in der jeweils folgenden Woche müsste sie dagegen ihr altes Ich leben und altern. Natürlich nimmt sie an und nimmt die Substance. Nackt liegt Liz regungslos in ihrem Badezimmer, dramatisch kommt aus ihrem aufreißenden Rücken die nackte junge Sue (Margaret Qualley) herausgekrochen und näht später ihr altes Ego zu. Schnell gewinnt sie die Casting-Show des Senders und wird ihre eigene Nachfolgerin.

Im Folgenden geht es nicht um die Substance und die anonymen Mächte die dahinterstecken, sondern ausschließlich um die Folgen dieses eigenwilligen Tauschs. Immer wieder heißt es: „Ihr seid eine Einheit“, aber Sue wird mit der Wechselei immer unzufriedener. Sie mogelt herum, schindet längere Verwandlungszeiten heraus, doch dadurch altert Liz immer schneller und heftiger. Irgendwann wird sie zum riesigen Monster, wie Dorian Gray in der Erzählung von Oscar Wilde. Und am Ende des Films spritzt das Blut aus ihr wie aus Feuerwehrschläuchen…

So wird auch der Filme, der zunächst im schönen, perfekten Barbieland beginnt, zum krassen Monsaterfilm, genauer zum Genrefilm Body-Horror. Doch der Streifen ist kein Selbstzweck der Regisseurin Coralie Fargeat, für den sie beim letzten Filmfestival in Cannes mit einer Silbernen Palme (Bestes Drehbuch) ausgezeichnet wurde.

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