„Eine letzte Reise“

Mühselig schieben zwei jüngere Männer einen orangefarbenen R4 über die französische Grenze, drinnen sitzt ein sehr alter Mann, der versonnen vor sich hinlächelt.

Das war nicht immer so, der schwedische Lehrer Lars Hammar hatte sich sehr auf die Zeit nach seiner Pensionierung gefreut. Jedoch der Sprung in das neue Leben gelang ihm nicht, bald verlor er seine Lebensfreude, wurde schließlich depressiv – und hatte mit 80 Jahren eigentlich Schluss mit der Welt gemacht. In Rückblenden erleben wir ihn in der Schule als liebevollen Pädagogen und seine fröhliche Verabschiedung.

Eines Tages besorgen sein Sohn Filip und dessen Freund Fredrik einen alten, unglaublich laut knatternden R4, den sie wieder aufmöbeln. Sie überreden den alten Mann, mit ihnen eine Reise nach Frankreich zu unternehmen, denn so ein Auto hatte Lars als er noch jung war. Ständig fuhr er mit seiner Frau und den zwei Kindern (eins war Filip) in den Ferien nach Frankreich und verbrachte dort die Ferien. In den Film eingeblendete, wacklige Super-8-Streifen erinnern an diese Zeit. Filip sucht auf dem Dachboden nach alten Bildern, Kassetten und dem dazugehörigen Rekorder.

Als er (nach einer Film-Viertelstunde) endlich mit dem R4 vor dem Haus steht, wird sein Vater ganz weich und meint: „Was für ein Abenteuer! Ja, das ist meine letzte Reise.“ Doch bereits in Malmö stürzt er nachts im Hotel, verletzt sich und muss ins Krankenhaus. Währenddessen versuchen die beiden Freunde in Brüssel Fotos von Jaques Brel zu besorgen, seine Gesänge schallen durchs Krankenhaus und erinnern Lars an seinen 49. Geburtstag.

Ein Taxi bringt den alten Herrn nach einigen Tagen an die Grenze, da der R4 herumzickt, müssen die Jungs ihn drüber schieben. Die französische Sprache und Calvados aus Pappbechern helfen Lars seine verschütteten Erinnerungen wiederzubeleben. Schließlich werden noch Schauspieler engagiert, die vor einem Café typisch französische Autoszenen inszenieren und Lars meint: „Alles ist unverändert wie früher, nur ich bin anders geworden.“ Schließlich treffen die Drei noch alte Bekannte von früher und Lars versucht (wieder) Ratatouille für sie zu kochen. Denn das konnte er einst besonders gut, braucht jetzt aber Hilfe beim Gemüseschneiden und Kochen. Gemeinsam hören alle die Erinnerungen vom Kassettenrekorder.

Und dann ist der Film auch schon aus…

Weiterlesen

„Ich will alles“ – Dokumentarfilm über Hildegard Knef

„Ich will. Ich will alles oder nichts“, sang Hildegard Knef 1968 – und auch als ältere Dame wollte sie immer noch „alles oder nichts. Für mich sollst rote Rosen regnen.“ Von Anfang an war es ihr widersprüchliches Lebensmotto berühmt zu werden und doch „was Einfaches zu machen“, Erfolg zu haben und ihn nicht zu mögen. 

Jetzt kommt „Ich will alles“ in die Kinos, der Dokumentarfilm über Hildegard Knef (1925 -2002), der auf der Berlinale im Frühjahr seine Uraufführung hatte. Die Regisseurin Luzia Schmid hat aus dem umfangreichen Archivmaterial der Deutschen Kinemathek in Berlin einen unterhaltsamen, spannenden und doch sehr informativen Film collagiert. Die einzelnen Lebensabschnitte der letzten deutschen Diva werden immer mit einem ihrer Songs eingeleitet: „Ich glaube eine Dame werde ich nie“ oder „Es tut beim letzten Mal noch ganz genauso weh“, singt sie mit ihrer rauchig-heiseren Stimme, fast im Sprechgesang. Dann folgen die jeweiligen Ereignisse, die sich aus historischen Interviewfetzen, Gesangsproben und Filmaufnahmen, sowie aktuellen Kommentaren ihrer Tochter Christina Palastanga zusammensetzen. 

Deutlich wird bald für uns Zuschauer, dass „die Knef“, wie sie in Deutschland immer genannt wurde, als Schauspielerin begann. Erfolgreiche Chansons kamen erst später dazu und dann ihre literarisch anspruchsvollen Bücher. Bereits in den letzten Kriegsjahren entdeckte die UFA ihr schauspielerisches Talent, dort wurde sie ausgebildet; auch Theaterengagements erhielt sie. Listig gelang es einer ihrer Lehrerinnen zu verhindern, dass Josef Goebbels den Teenager missbrauchte.

Im Nachkriegsdeutschland wurde sie zunächst mit dem kritischen Thriller „Die Mörder sind unter uns“ (1946) bekannt, ein früher Streifen, der überraschend dramatisch die Nazi-Verbrechen anprangerte. Zur „Sünderin“ (1950) wurde sie in dem gleichnamigen Film von Willi Forst, als sie nicht nur 6 Sekunden lang als nacktes Malermodell auftauchte, sondern sich prostituierte, um ihren totkranken Liebhaber eine Operation zu ermöglichen und ihm später bei der Tötung auf Verlangen half. Jahrelang bewegte dieser „Skandal“ die „gesund empfindende Bevölkerung“ (so ein Staatsanwalt) in den beginnenden Wirtschaftswunderjahren. 

Weiterlesen

„Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin“ – der Film

Der Schauspieler und Regisseur Charly Hübner hat mit und über die Musikgruppe „Element of Crime“ eine abendfüllende Filmcollage gedreht. Wir sprachen mit ihm und Sven Regner, dem Sänger und Songschreiber der Gruppe, der auch als Autor erfolgreich ist („Herr Lehmann“).

Der Film:
Man sieht den Rücken des Schlagzeugers, dann den Sänger, dessen Stimme die folgenden, schnell geschnittenen Bilder der Stadt vor dem Mauerfall besingt: „Warm sind die Nächte in Berlin.“ Der Filmemacher begleitete die Band bei Konzerten an fünf aufeinanderfolgenden Abenden in der Hauptstadt, an denen sie zunächst in einem Privatclub, dann in immer größeren Locations bis zur Zitadelle Spandau auftraten. Doch daraus hat Charly Hübner keine klassische Musikdoku gemacht, sondern eine komplexe assoziative Bilder- und Infocollage. 

Zusammengeschnitten hat er ein Kaleidoskop von Bildern und Szenen, Songs und Gesprächen, Kommentaren und persönlichen Erinnerungen.  Zunächst kapiert man nur wenig, wenn man die Gruppe nicht kennt, doch am Ende des Films hat man im Kopf ein fantastisches Gemälde der „Element of Crime“, die vor knapp 40 Jahren zusammenfanden. Außerdem kann man der allgemeinen musikalischen Entwicklung jener Jahre nachspüren, sowie Berlin vor und nach dem Mauerfall erleben.

Die zunächst größte Überraschung (für den Autor dieser Zeilen) sind die Texte Sven Regners, der in den 1990er-Jahren – einige Jahre nach dem Ende der Neuen Deutsch Welle – begann auf Deutsch singt. Als ein FAZ-Kommentator ihn als Mischung von Bruce Springsteen und Bob Dylan bezeichnete, kam das damals einem musikalischen Todesurteil gleich, erinnert sich Regner lachend im Film. Seine Texte poetisieren Alltägliches, gleiten dann häufig sanft ins Surreale und Unwirkliche – und halten eine wunderbare Spannung zwischen Melancholie und Ironie: „Ich hab noch irgendwo ein warmes Bier zu steh’n / Du kannst die Blumen damit gießen / Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin.“

Das Gespräch
Hübner erinnert sich im Film und in unserem Gespräch, dass er einst im Osten aufwuchs, „Element of Crime“ hörte und in seiner „Teenager-Not“ dachte: „Wenn man so auf die Welt gucken kann, dann kommt man doch mit ihr zurecht.“

Weiterlesen

„Teaches of Peaches“

Eine Dokumentarcollage über die Punk-Performerin kommt jetzt ins Kino

Der rote Teppich auf der Berlinale im Februar dieses Jahres. Grimmig blickend öffnet Peaches ihren langen Ledermantel vor der internationalen Presse. Darunter ist sie fast nackt, auf ihrem winzigen Slip steht „FCK AFD“. Also fickt die AfD. Die 57-jährige Kanadierin, die seit 20 Jahren in Berlin lebt, ist immer für derbe provozierende Herausforderungen zu haben. Gleich wird sie ihren Film „Teaches Of Peaches“ vorstellen, der hier bei den Filmfestspielen uraufgeführt wird.

Dieser Streifen ist eine Dokumentarcollage, der ihre Entwicklung von einer YMCA-Kindergärtnerin, die mit den Kids lustige Musik machte, bis zu ihrer krassen Konzerttournee im Jahr 2022 nacherzählt. Die Bilder springen zwischen alten Zeiten, ihren diversen Banderfahrungen, dem Durchbruch in Berlin und den Vorbereitungen für die aktuelle Tournee. Wollte sie damals noch mit einem winzigen Köfferchen auf Tour gehen, „mehr nicht“, hat sie jetzt eine Helferin, die ihre zahllosen Koffer mit Verkleidungen, Instrumenten, Sexspielzeugen und anderen Bühnenrequisiten vollpackt.

Wir erleben, wie der Coiffeur für sie und die anderen Musikerinnen abenteuerliche Frisuren kreiert. Bei den musikalischen Proben sind wir dabei. „Du musst gar nichts tun“, klärt sie ihre neue Gitarristin auf. „Geh nur über die Bühne, zeig‘ ihnen deinen Arsch. Sie sollen merken, du musst nicht mal spielen, sooo gut bist du…“ Halbnackt, grell bemalt und nur im Schlüpfer tritt sie dann selbst, die älter gewordene Punk-Performerin, vor ihr Publikum. „Seid ihr okay, motherfuckers? Dann lasst uns zusammenkommen“, brüllt sie in den Saal. 

Die Gitarren kreischen, Peaches singt „Fuck the Pain away!“ und bedient ihr altmodisches Keyboard. Die ad-hof-Band zelebriert diesen und andere alte Songs. Aber nicht aus Nostalgie, sondern um herauszufinden, ob sie immer noch aktuell sind und die Leute sich anstiften lassen, ihr Leben zu ändern. Denn Ihre Botschaft ist weiterhin mit wilder, harter, verrückter Musik und der skurrilen, sexuell aufgeladenen Bühnenschau: Frei sein, keine Kompromisse eingehen, mach was du willst und sei du selbst! Bereits in einem VIVA-Interview verkündete sie um 2000 herum: „Wir wollen Sex und wir wollen darüber reden. WIR! Nicht weil die Männer es hören wollen!“ Peaches ist alt und etwas runder geworden, sie ist kein Zuckermädchen mehr, turnt aber mutig und lustvoll – weiterhin – halbnackt auf der Bühne herum.

Weiterlesen

„Perfect Days“ von Wim Wenders im Kino

Die Feuilletons triefen vor Lob über das neue Werk von Wim-Wenders, wann gibt es denn schon mal solchen Einklang? „All diese typischen Wenders-Eigenschaften hat man seit seinen Filmen der siebziger Jahre nicht schöner gesehen“, beendet Daniel Kothenschulte seine Eloge in der Frankfurter Rundschau. Nun, erinnern wir uns an die siebziger Jahre – es gab die verrückten Italo-Western oder die spannenden Krimis des französischen Film Noir. Und viele Kinogänger fanden damals Wenders-Filme einfach nur langweilig. Möglicherweise hat sich diese Einschätzung nach einem halben Jahrhundert geändert, aber schauen wir doch mal in diese so gepriesenen „Perfect Days“.

Ein Mann steht auf, rasiert sich, trinkt einen Kaffee, strahlt in den Morgenhimmel und kriecht in seinen Overall mit der Aufschrift „The Tokio Toilet“. Zu Eric Burdons „House oft he rising sun“ düst er fröhlich mit einem Firmenwagen durch die japanische Metropole und putzt gründlich verschiedene Toiletten im Tokioter Stadtteil Shibuya. Doch das sind keine versifften heruntergekommenen Klos wie wir sie kennen, sondern sehr unterschiedliche, aber immer luxuriöse Design-Gebilde. Sein jüngerer Kollege ist faul und ziemlich dumm, Hirayama (Kôji Yakusho) selbst jedoch lebensfroh und gewissenhaft. Im Beuyschen Sinne ist er tatsächlich ein Künstler, der an seinem Ort mit seiner Arbeit, an einer sinnvollen Welt mitarbeitet. Liebevoll tröstet er einen verirrten Jungen, buddelt einen winzigen Baumableger aus, fotografiert das durch einen Baum fallende Licht mit einer altmodischen Kamera. Solche Bilder tauchen auch immer in seinen kurz angedeuteten nächtlichen Träumen auf, die die Tage zäsieren.

Auch die nächsten Morgende beginnen mit Hirayamas Routinen, doch kleine Überraschungen oder Unbilden geschehen. Er findet im Damenklo einen geheimnisvollen Brief. Sein Helfer will die wertvollen Audiokassetten seines Chefs verkaufen, um ein cooles Mädchen für sich zu gewinnen. Einmal hat das Firmenauto kein Benzin mehr. Nach einer Woche taucht bei ihm eine junge Frau auf, seine Nichte, die von zu Hause abgehauen ist. Flüchtig erfahren wir so von Hirayamas Familiengeschichte und erleben ihn kurzzeitig sehr traurig.

Weiterlesen

Die Poesie des Augenblicks

„Meine Ausstellung ist der Film über mich“, beteuert ganz ohne Bitterkeit Christine Mann, die diesjährige Via-Regia-Stipendiatin der Kunststation, zum Abschied von Kleinsassen.

Zum vierwöchigen Aufenthalt der Görlitzer Künstlerin in der Rhön gehörte neben dem Ausstellungshonorar nämlich auch eine Salonschau im renommierten Kunsthaus. Doch aufgrund des Corona-Lockdowns gab es keine Vernissage, ihre Ausstellung im Studio wurde (noch) nicht aufgebaut.Stattdessen ließ die Kunststation ein professionelles Video drehen, das auf der Webseite gezeigt wird.

In das zeitweilige Gast-Atelier Manns kamen wenig Leute zum Ansehen ihrer farbenfrohen Gemälde und zu Gesprächen, weil die Kunststation wegen des Lockdowns nur kurz geöffnet war. Doch trotz dieser Unbilden ist die Künstlerin glücklich: „Mir kam die Einsiedelei sehr entgegen“, sagt sie, „vier Wochen lang habe ich einfach nur intuitiv gemalt, gemalt und gemalt. Ich habe keine Bilder, keine Motive geplant, sondern mich und die Farben einfach fließen lassen.“ 

Die Acryl-Farben, die sie spontan nebeneinander, übereinander oder ineinander auftrug, stehen bei ihr immer im Vordergrund. „Wenn überhaupt, dann kommt die Form erst später dazu“, erklärt sie. Eigentlich war sie nach dem Studium Diplom-Pädagogin geworden. Doch auf einer Reise durch Frankreich faszinierten sie die Kirchenfenster der Kathedrale in Reims. Deshalb studierte sie tatsächlich noch in der Akademie Burg Giebelstein verschiedene künstlerische Techniken der Glasgestaltung. 

Eines Tages bekam sie einen alten Röntgentisch, also einen Leuchttisch geschenkt. Auf der von unten beleuchteten Glasplatte drapiert sie nun Reste von farbigen Glasscheiben, Pflanzenteile, Schleier und andere halbtransparente Dinge. Gelegentlich malt sie etwas dazu oder trägt Monotypien auf, bis ihr das Bild stimmig erscheint. So entstehen Material- und Farbcollagen mit wenig figurativen Elementen. Mann fotografiert diese großen Collagen ab und lässt sie ohne weitere Nachbearbeitung auf Alu-Dibond drucken. Diese geheimnisvollen Kompositionen aus Farbe und Licht wirken wie durchscheinende Glasbilder oder moderne sakrale Fenster. Mit der aufwendigen Technik ist der Künstlerin ein individuelles Oeuvre gelungen, das eigentlich im Studio der Kunststation präsentiert werden sollte.

Nun sind diese Arbeiten wenigstens im Film zu sehen, ebenso wie die in Kleinsassen entstandenen Acrylwerke, über die Mann mit der Künstlerin Teresa Dietrich im Video spricht. Auch diese Fuldaer Malerin war vor einigen Jahren im Schloss Königshain bei Görlitz als Stipendiatin zu Gast.

Ebenso wie andere Kunstschaffende der Region etwa Veronika Zyzik, Ulrike Kuborn oder Bernd Baldus. 

Weiterlesen

Die 71. Berlinale im Home Office (3)

Die Erwartungen an die cineastische Qualität auf der diesjährigen zweigeteilten Berlinale durften nicht allzu hoch sein: Aufgrund der Pandemie wurden wenig Kinofilme produziert, viele Streifen werden noch zurückgehalten. So gelangten in alle Sektionen des 71. Festivals auch etliche mittelmäßige Filme. 

Statt wie sonst 400 Streifen gab es nur ein Drittel, die ausschließlich online für Filmschaffende und Kunden des Europäischen Filmmarktes (EFM) sowie Presseleute zu sehen waren. Statt klugen Pressekonferenzen oder Schaulaufen auf dem rotem Teppich mit internationalen Stars, musste man in den Computer glotzen. Doch im Juni wird der zweite Festival-Teil in Berliner Kinos für das Publikum mit Preisverleihungen nachgeholt.

Eins muss man der Wettbewerbs-Jury bei ihrer nicht immer nachvollziehbaren Bärenauswahl lassen, ihr gelang ein Parforceritt durch die Fülle des zeitgenössischen Kinos. So wie das gekürzte Gesamtprogramm bildeten ebenfalls ihre Entscheidungen im Wettbewerb diese Vielfalt ab: Von extremen Experimenten über berührende Dokumentationen, endlosen Gesprächsmitschnitten bis zu bildgewaltigen Erzählungen.

Den goldenen Bären gab es für einen Film, der im Titel „Bad Luck Banging or Loony Porn“ sein Thema anklingen lässt: Er beginnt mit ausgiebigem Sex einer Lehrerin mit ihrem Ehemann, wie man ihn im normalen Kino noch nie sehen konnte. Später läuft die weibliche Darstellerin lange (angezogen) durch Bukarest zu einer Elternversammlung. Denn der Clip ihres sexuellen Abenteuers wurde durch Unbekannte ins Netz gestellt. Von den aufgebrachten Eltern wird ihr nach wirren bigotten Diskussionen unterstellt, sie sei als Pädagogin ungeeignet. Der Mittelteil des Werks besteht aus zahlreichen Clips zu Stichworten wie Faschismus, Selbstbefriedigung oder Freiheit, die assoziativ den Zustand der rumänischen Gesellschaft skizzieren. Ein wenig erinnert dieser überzeugende Montage-Film an westliche Experimente in den 1970er-Jahren.

Die wunderbare Dokumentation „Herr Bachmann und seine Schüler“ bekam einen Silberbären als „Preis der Jury“. Der ältere Lehrer Bachmann versucht in Stadtallendorf geflüchteten, heimatlos gewordenen Schülerinnen und Schülern einfühlsam, aber auch konsequent, ein Stück Heimat wiederzugeben. Ebenfalls einen Silberbären erhielt Maren Eggert für ihre darstellerische Leistung in dem weiteren deutschen Wettbewerbsbeitrag „Ich bin dein Mensch“. Darin spielt sie eine alleinstehende selbständige Frau, für die ein lebensechter Roboter gebaut wurde, der alle ihre Wünsche erahnen kann. Das ist kein Science Fiction, sondern ein spannender und humorvoller Streifen über Paarbeziehungen. Wie immer hätten Werke in anderen Sektionen allemal silberne Bären verdient gehabt. 

Weiterlesen

Die 71. Berlinale im Home Office (1)

Es ist saukalt, die Berlinale beginnt mit einigen Wochen Verspätung, doch statt mit der Berliner S-Bahn zum Potsdamer Platz zu fahren, steige ich auf den großen Dachboden der Wohngemeinschaft und mache Feuer an. Später sitze ich dann alleine im „Dachbodenkino“ vor der mächtigen Leinwand und schaue online Filme.

Ich vermisse den großen Berlinale-Palast mit den Wettbewerbsfilmen und die kleinen Kinos mit den experimentellen Filmen. Mir fehlt das Stöhnen, Lachen, Meckern oder Klatschen der Kolleginnen und Kollegen. Ich hätte so gerne die Pressekonferenzen mit der Nähe zu den Filmleuten sowie die Gespräche zwischen den Aufführungen, die Hektik und die Müdigkeit, die Qual der Wahl zwischen den diversen Filmen… 

Dennoch kommen sogar auf meinem Dachboden Kinogefühle auf: an einen anderen Ort gehen, in der Dunkelheit sitzen, später ins Sonnenlicht treten. Ich entdecke einen großen Vorteil, ich kann zappen! Täglich werden online etwa 30 Filme aus allen Sektionen – wie Wettbewerb, Berlinale-Specials, Generation oder Perspektive Deutsches Kino – angeboten. Die kann man von 7 Uhr morgens bis 24 Uhr niemals alle sehen, aber es ist möglich in viele hineinzuklicken und nach einer Viertelstunde zu wissen: Oh, den möchte ich weitersehen oder ach nee, schon wieder ein gut gemeinter aber langweilig erzählter Flüchtlings-, Beziehungs-, erste-Liebe- oder Politfilm.

Mein erster Eindruck: Die besten Filme laufen in der Sektion Panorama und in Berlinale Specials: Tim Fehlmanns („Hell“) Endzeitdrama „Tide“, mit undeutlichen Bildern in Schlamm und Wasser. Anne Zohra Berracheds („24 Wochen“) „Die Welt wird eine andere sein“ ist eine melodramatische Liebesgeschichte zwischen einer weltoffenen Türkin und einem islamistischen Libanesen in Deutschland. Aber auch Maria Schraders Wettbewerbsfilm „Ich bin Dein Mensch“ ist durchaus großes Kino, in dem ein menschenechter Roboter speziell für eine Frau gebaut wurde. 

Doch der sogenannte Wettbewerb ist eigentlich ein Witz: Kümmerliche 14 Filme, die wir Presseleute vorab sehen dürfen (Daniel Brühls und Dominik Grafs Streifen sind nicht zur Online-Ansicht freigegeben) und die Restjury besteht nur noch aus vier ehemaligen Bärenpreisträgern*innen. Die Gold- und Silberbären sowie die anderen Preise werden am Freitag bekanntgegeben und erst im zweiten Teil der Berlinale im Juni vergeben. Dann soll durch die geöffneten Kinos wieder die Atmosphäre eines Publikumsfestivals entstehen.

Weiterlesen

„Wie in der Steinzeit!“ – Filme über saudi-arabische Frauen

Zwei neue Filme setzen sich mit der unglaublichen Situation saudiarabischer Frauen auseinander: Auf der Berlinale im Frühjahr wurde der Film „Saudi Runaway“ vorgestellt, der noch keinen Verleih hat. Zur gleichen Zeit kam „Die perfekte Kandidatin“ in die Kinos, wurde aufgrund der Corona-Krise abgesetzt und ist jetzt erneut angelaufen.

Die völlig zugehängte Muna ist nicht nur (männer-) gesellschaftlich ausgeschlossen, sondern aus ihrer Perspektive kann sie die Umwelt lediglich schemenhaft wahrnehmen. Fotos vom wackeligen iPhone zeigen ihre Isolation in der Öffentlichkeit. Ansonsten wird der jungen Frau und der übrigen Familie vom absolut herrschenden Vater alles verboten. Legitimiert durch das politische System kann sie nicht alleine rausgehen, nicht einkaufen, nichts selber entscheiden. Ihr kleiner Bruder wird ständig verprügelt, sie soll bald zwangsverheiratet werden.

Immer wieder erzählt die Sechsundzwanzigjährige ihre Demütigungen, ihre Verzweiflung, ihre Wut in beklemmenden iPhone-Videos: „Ich muss in einem Steinzeitland leben!“ Aber sie hält auch aus sehr eigenartigen Kameraperspektiven positive Ereignisse fest, wie die Unbekümmertheit der nicht verschleierten Frauen untereinander oder Naturereignisse wie einen in Saudia-Arabien seltenen Dauerregen. Seltsame Blickwinkel der häufig bewegten oder fest aufgestellten Kamera. Der Wechsel vom Gewackel beim Laufen mit starren Einstellungen. Oft unscharfe oder verwaschene Bilder. Das alles suggeriert eine unglaubliche Authentizität, die einen sehr stark in den Film hineinzieht und bewegt.

Der Film „Saudi Runaway“ lief auf der Berlinale in der Sektion „Panorama Dokumente“. Jedoch erst nach der Vorführung erfuhr ich, dass das Bildmaterial zwar von der professionellen Regisseurin Susanne Regina Meures zusammengestellt und geschnitten wurde. Weiterlesen

Wer kennt noch Suzi Q.

„Suzi Quatro? Junge Leute kennen die gar nicht mehr“, heißt es im Dokumentarfilm „Suzi Q.“ Der läuft jetzt, nach dem 70. Geburtstag der Entertainerin, in einigen wiedereröffneten Kinos. Ob sie wie geplant im November nach Deutschland kommt, ist – bedingt durch Corona – fraglich.

Ein kräftiges Schlagzeug, dann der von Suzi hart gespielte, vorantreibende Bass, schließlich schreit sie mit hoher Stimme: „Can the Can“. Mitte der 1970er-Jahre hatte die Bassistin und Sängerin mit diesem Hit ihren internationalen Durchbruch und danach viel Erfolg in Europa, Australien und Japan. Der Titel hieß ungefähr so viel wie „Mach den Deckel drauf“ – oder frei interpretiert: „Lass alles hinter Dir.“ Das war die Lebenssituation der jungen Amerikanerin, nachdem sie ihre Band und die Familie in ihrer Heimatstadt Detroit verließ und nach London kam: „Ich war einsam, alleine und frustriert“, erinnert sie sich.

Ihre Familie war sehr musikalisch, nach der legendären Beatles-Tour durch die USA (1964) begann die Vierzehnjährige Bass zu spielen und gründete mit ihren Schwestern eine der ersten Mädchen-Bands. Als „Pleasure Seekers“ gingen die Teenies auf Tournee, waren aber eher eine Showtruppe. Später, als rockigere Band „Cradle“, arbeiteten sie sogar im legendären Motown-Studio, doch der britische Produzent Mickie Most wollte nur Suzi promoten. Sie folgte ihm nach London und ließ ihre Schwestern zurück, ein „Verrat“, den die ihr nie verziehen und noch 50 Jahre später im Film bejammern.

In der britischen Metropole bewegte sich Suzi an den Rändern des Glamrocks, mit dem Roxy Music oder David Bowie die Rockszene prägten. In ihren Lederklamotten a la Barbarella (siehe Foto oben) bediente sie nicht die für diese Musikwelle typisch androgyne Ästhetik: „Alle Typen hatten mehr Make-up drauf als ich“, meint sie lachend dazu, doch sie gab auch nicht die Rockerbraut. Ihre fetzigen Songs waren durchaus so artifiziell wie die der glamourösen Musiker. Weiterlesen