Nicht nur Eat Art… zum Tod von Daniel Spoerri

Der Künstler Daniel Spoerri starb mit 94 Jahren, die Medien bezeichneten ihn als Eat-Art-Künstler und lobten seine Fallenbilder, vergaßen jedoch, sowohl seine Geschichte als auch sein größtes Werk zu erwähnen.

Ganz früh war er bereits ein erfolgreicher Tänzer, später Regisseur von experimentellen Theater-Stücken und er war der erste, der Dramen von Ionesco und  Picasso in Deutschland inszenierte. Tätig war er auch in Darmstadt und propagierte dort die Konkrete Poesie.

Später ging er nach Paris, hatte Kontakte mit vielen Kuntschaffenden und gründete  mit Jean Tinguely und Yves Klein die Gruppe Nouveau Réalisme. Klar wurde er zunächst durch seine Fallenbilder und das Konzept Eat Art bekannt. Doch wesentlich bedeutsamer sind seine Skulpturen und sein Kunstgarten.

Mitten in der Toskana gründete der Schweizer in den frühen 1990er-Jahren auf 16 Hektar einen magischen Ort zwischen Zivilisation und Wildnis. Bereits das Haupthaus mit dem Restaurant und einigen Apartments empfängt einen mit der Inschrift „non solo EAT ARTs“. 

Stundenlang kann (und soll) man in der Landschaft von einem Kunstwerk zum nächsten wandern, sich zwischendurch aber auch an schattigen Plätzen ausruhen. Der Parcours beginnt bei Spoerris Brunnen und Skulpturen aus Fleischwölfen, dann trifft man auf eine gewaltige Gänseherde aus Beton oder kann eine Aussichtsplattform besteigen. Gemeinsam mit einer lebensgroßen Bronzeskulptur sieht man von dort oben den „Labyrinthischen Mauerweg“. 

Von jedem Artefakt aus sind sogleich neue in der Ferne zu erkennen und locken zum Besuch.


„Wichtig ist der Weg, der Parcours, den man abschreitet, die Düfte, die man einatmet, die Geräusche, die man hört, das Wasser, das einem immer wieder begegnet.“ 
(Spoerri

Von Anfang an ermunterte Spoerri befreundete Kunstschaffende – wie Eva Aeppli, Meret Oppenheim oder Erwin Wurm – zur Mitgestaltung. Sein Anwesen ist ein offenes Land-Art-Projekt (im weitesten Sinne), in dem die Natur weder umzäunt noch ausgebeutet wird.

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„Selig sind die Toten“ – Mozarts Requiem als Gesamtkunstwerk

Das ausverkaufte Kasseler Staatstheater präsentierte Wolfgang Amadeus Mozarts „Requiem“ im Rahmen des Themas Tod in dieser Spielzeit. Mit Ovationen im Stehen bejubelte das Premierenpublikum das mutige, experimentelle Gesamtkunstwerk „Selig sind die Toten“: Zur Musik des Staatsorchesters und Gesängen des Opernchores tanzt das Ensemble „Tanz_Kassel“. Dazu wird der unvollendeten Todesmesse des Komponisten – im Wechselspiel mit seinen klassischen Klängen – zeitgenössisches Sound-Design hinzugefügt. 

Der Vorhang hebt sich, die Bühne liegt im Dunklen. Vage erkennbar eine Menschenkette mit Grablichtern, die langsam nach vorne schreitet. Es ist der Chor, der bald das „Requiem“ anstimmt, um Ruhe und Licht für die Toten zu erbitten. Davor kaum sichtbar eine weiße Gestalt, die sich windet, reckt und streckt. Eine ruhige, meditative Atmosphäre entsteht.

Doch dann grelles Licht in einer kleinen weißen, über der großen schwebenden Bühne. Krasse Technoklänge erdröhnen. Die Gestalt taucht oben auf, nach und nach quellen weitere, nur spärlich bekleidete Menschen aus der Notausgangstür herein. Später farbiges Licht. Wilde Tänze. Viel Geschrei. Dann Stille, die Orchesterbühne fährt hoch. Der Chor erscheint auf der kleinen Bühne, intoniert die „Sequenzen“. Rhythmisch bewegen sich die Singenden, während die Tanzenden mühselig aus der Höhe heruntergleiten. Auf der Bühne ein Berg Kleider. Die Menschen ziehen sich an, begegnen sich ungestüm zu Mozarts dramatischer Musik. Angesichts des Todes zeigen sie Verzweiflung. Hoffnung. Entkommen. Sich fügen…

Die Company illustriert nicht die Texte der Messe, sondern setzt sie in ihre Bewegungssprache um. Oft frieren die Performenden in den Aktionen ein, schaffen berührende Szenenbilder. Alle Singenden treten ohne Notenblätter auf und werden häufig in die Choreografien eingebunden. Solistinnen und Solisten bewegen sich mitten im Ensemble und kreieren manchmal Pas de deux mit Tanzenden. 

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„Freiheit und Struktur“ – Hans-Hermann Hacks Malereien in der Kunststation 

Mit dem Jazz-Klassiker „Take Five“ eröffnete Saxophonistin Diana Schmitz die Vernissage der Ausstellung im Café der Kunststation und lockte dann das Publikum mit „Summertime“ ins Studio. Hans-Hermann Hack verzauberte dort die Leute mit seinen gut 20 „sommerlich“ farbfreudigen, ungegenständlichen Malereien.

Er starb vor fünf Jahren nach langer Tätigkeit als Schulleiter in Weyhers (Rhön). Darum war es berührend, dass er nun durch seine Werke im Klassenraum der einstigen Grundschule Kleinsassens präsent wurde. Die Kunststation legt Wert drauf, regionale und internationale Kunstschaffende vorzustellen.

Im kleinen Studio beziehen sich die gut kuratierten Bilder aufeinander, Farben oder Muster setzen sich in der jeweils nächsten Komposition fort. Obwohl auch mal ein blaues Gemälde krass aus der Reihe fällt. Fast unmerklich gehen die Arbeiten von völlig abstrakten Arrangements in erkennbare blütenartige Gebilde über, beinhalten dann ornamentale Formen und wirken am Ende des kleinen Rundgangs technisch und strukturiert. Deshalb heißt die Schau „Freiheit und Struktur“ – sie beinhaltet tatsächlich die ganze Bandbreite des Titels.

Der Künstler (in Hack) entwickelte sich gleichsam von selbst, er beschäftigte sich mit zeitgenössischer Kunst, war auch in der kreativen Szene Fuldas präsent und stellte gelegentlich seine Werke aus. „Er war mehr oder weniger Autodidakt“, meinte Kuratorin Dr. Elisabeth Heil in ihrer Einführung, „aber er hat nichts nachgeahmt und entfaltete seinen eigenen Stil.“ 

Mit – möglicherweise – heftigen und freien Gesten stupste, strich oder kleckste der Künstler die Farben auf den Untergrund, fügte weitere Schichten und Gebilde hinzu, um ein Gleichgewicht der Kolorierungen und Formen zu erreichen. Zuweilen malte er auch strengere geometrische Kreise oder „Räder“ auf die ersten Schichten.

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Leichen pflastern seinen Weg: Richard III

Ella Späte, die Kulturpreisträgerin des Main-Kinzig-Kreises, entwarf die Komplettausstattung für das sensationell inszenierte Shakespeare’sche Drama „Richard III“ im Theater Plauen-Zwickau. Die bundesweit gefragte Bühnen- und Kostümbildnerin ist Partnerin des Steinauer Theatriums, das in Osthessen durch sein Figurentheater bekannt wurde.

Für „Richard III“, den größten Bösewicht der Theatergeschichte, entwarf sie das Bühnenbild, die Kostüme und Masken, sowie die etwa 50 Puppen und Figuren, die mit den sechs Schauspielerinnen in diesem Stück agieren. Viele ihrer Geschöpfe verkörpern Massenszenen, doch 15 von ihnen haben sogar Namen und Rollen. Ständig stolpern die Akteure über auf der Bühne liegende Gestalten, die von Richard getötete Rivalen symbolisieren. Die Königin trägt eine Latte auf den Schultern, an dem Figuren hängen und manchmal belebt werden. Immer bewusst erkennbar sind die zwei Puppenführerinnen, manchmal treten sie hinter ihre Wesen zurück, oft jedoch verdoppeln sie sichtbar deren Ausdruck. Die großartigen, von Ella Späte entworfenen Kostüme und Masken sind zeitlos schrill oder fantastisch. 

Richard giert nach der Macht und beseitigt brutal alle Verwandten und Widersacher, bis er endlich König wird. Doch auf dem Höhepunkt seiner Ambitionen überfallen ihn Skrupel und Zweifel: Das soll nun alles gewesen sein? Durch Ella Spätes Mitarbeit im Inszenierungsteam wird die letzte Königserzählung Shakespeares zum künstlerischen Bildertheater, das dem ortlosen Text und der gewaltigen Sprache des englischen Dichters gleichberechtigt entgegenwirkt: Daraus entsteht eine aufregende Hochzeit des dramatischen mit dem postdramatischen Theater. 


Zeitgenössisches Figurentheater ist beileibe kein Kindertheater und die brutalen Machenschaften Richards sind nicht auf die Bühne zu bringen: normalerweise finden sie nur in den Fantasien der Zuschauer statt.

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Michal Fuchs: „Die Quadratur des Kreises“

In der Kunststation Kleinsassen (bei Fulda) präsentiert derzeit die israelische Künstlerin Michal Fuchs ihre große Einzelausstellung „Die Quadratur des Kreises.“ 

Die Jury des documenta-kritischen Wettbewerbs „Make Friends AND Art“, wählte im Sommer 2023 den Beitrag der Künstlerin als beste Arbeit: Ein kleiner Sandhaufen verkörperte die palästinensische Wüste. Darüber schwebte eine riesige Kaktusfeige aus Aluminium. „Von dem Land hinab zu gehen“ hieß dieses Objekt. Fuchs wies darauf hin, dass Israelis und Palästinenser diese Pflanze metaphorisch für ihre eigene Wehrhaftigkeit beanspruchen; sie drücke den Überlebenswillen beider aus.

In ihrer Schau greift sie das Thema „Von dem Land hinab zu gehen“ erneut auf und zeigt unter anderem eine Installation mit 18 filigranen Dreimasterblumen aus Eisen, die jeweils aus Betonsockeln herauszuwachsen scheinen. In kleine Mulden um die Pflanzenstelen wird täglich Wasser eingefüllt, damit die eisernen Objekte während der Ausstellungszeit rosten. 

Die aus Mexico stammenden Blumen bilden in der Natur oft starke Wurzeln und gelten als widerstandsfähig. In der Installation sind sie einbetoniert und wirken dauerhaft gefangen. Jedoch symbolisiert der während der Ausstellung entstehende Rost nicht nur Verfall, sondern winzige „Luftwurzeln“, die für Neuanfänge stehen. So strahlt das Werk trotz seiner düsteren Anklänge Zuversicht aus. 

Gleichzeitig hat es eine weitere, bedrückendere Bedeutung: „Auf Englisch und Hebräisch heißt die Pflanze „The Wandering Jew“ („Wandernder Jude“) und verweist auf die antisemitische Legende vom „Ewigen Juden“: Er wurde von Christus bestraft und muss stets wandern, ohne Wurzeln zu schlagen: Dadurch wird er zum ewigen Migranten! Dieses Thema der Migration, Verpflanzung, Aus- und Einwanderung beschäftigt die Künstlerin in vielen ihrer Arbeiten. 

Fuchs‘ Objekte wirken faszinierend und geheimnisvoll, selbst wenn man nichts darüber weiß. Sie stehen ästhetisch zunächst für sich selbst. Zusätzliche Wandtafeln in der Ausstellung legen Spuren für eigene Interpretationen. Allerdings chiffriert die Künstlerin keine Botschaften, die es zu entschlüsseln gilt.

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„Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin“ – der Film

Der Schauspieler und Regisseur Charly Hübner hat mit und über die Musikgruppe „Element of Crime“ eine abendfüllende Filmcollage gedreht. Wir sprachen mit ihm und Sven Regner, dem Sänger und Songschreiber der Gruppe, der auch als Autor erfolgreich ist („Herr Lehmann“).

Der Film:
Man sieht den Rücken des Schlagzeugers, dann den Sänger, dessen Stimme die folgenden, schnell geschnittenen Bilder der Stadt vor dem Mauerfall besingt: „Warm sind die Nächte in Berlin.“ Der Filmemacher begleitete die Band bei Konzerten an fünf aufeinanderfolgenden Abenden in der Hauptstadt, an denen sie zunächst in einem Privatclub, dann in immer größeren Locations bis zur Zitadelle Spandau auftraten. Doch daraus hat Charly Hübner keine klassische Musikdoku gemacht, sondern eine komplexe assoziative Bilder- und Infocollage. 

Zusammengeschnitten hat er ein Kaleidoskop von Bildern und Szenen, Songs und Gesprächen, Kommentaren und persönlichen Erinnerungen.  Zunächst kapiert man nur wenig, wenn man die Gruppe nicht kennt, doch am Ende des Films hat man im Kopf ein fantastisches Gemälde der „Element of Crime“, die vor knapp 40 Jahren zusammenfanden. Außerdem kann man der allgemeinen musikalischen Entwicklung jener Jahre nachspüren, sowie Berlin vor und nach dem Mauerfall erleben.

Die zunächst größte Überraschung (für den Autor dieser Zeilen) sind die Texte Sven Regners, der in den 1990er-Jahren – einige Jahre nach dem Ende der Neuen Deutsch Welle – begann auf Deutsch singt. Als ein FAZ-Kommentator ihn als Mischung von Bruce Springsteen und Bob Dylan bezeichnete, kam das damals einem musikalischen Todesurteil gleich, erinnert sich Regner lachend im Film. Seine Texte poetisieren Alltägliches, gleiten dann häufig sanft ins Surreale und Unwirkliche – und halten eine wunderbare Spannung zwischen Melancholie und Ironie: „Ich hab noch irgendwo ein warmes Bier zu steh’n / Du kannst die Blumen damit gießen / Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin.“

Das Gespräch
Hübner erinnert sich im Film und in unserem Gespräch, dass er einst im Osten aufwuchs, „Element of Crime“ hörte und in seiner „Teenager-Not“ dachte: „Wenn man so auf die Welt gucken kann, dann kommt man doch mit ihr zurecht.“

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Simone Distler: Gestische Malerei

In einer der drei neuen Herbstausstellungen der Kunststation in Kleinsassen/Rhön zeigt Simone Distler ihre gestischen Malereien unter dem Titel „Resonanz“. Die häufig expressiven, aber meist nicht farbkräftigen Werke – in Mischtechnik auf Leinwand – sind eigentlich abstrakte Kompositionen.

Distlers Arbeiten bilden nichts ab, sind ungegenständlich, dennoch muten viele an wie unwirtliche wilde Landschaften, vereiste weiße Felsen, schroffe Gebirge, stürmische Meere. Da lässt auch vielleicht der romantische Maler William Turner grüßen. Doch die Künstlerin malt nicht nach der Natur.

Mit mehr oder weniger ungestümen Gesten trägt sie Farben auf die Leinwände auf, es entstehen ungeplante dynamische oder ruhige Spuren und Gebilde. „Die Farbe ereignet sich“, meinte Kuratorin Elisabeth Heil in der Vernissage. Während der Arbeit fragt sich die Künstlerin immer wieder: „Will ich das so haben oder soll ich das Entstandene wieder aufbrechen.“ Sie führt gleichsam „Selbstgespräche“, so nennt sie ihren Arbeitsprozess. 

Beim Malen befindet sich Distler in einem ständigen Zustand der Resonanz auf die Eigengesetzlichkeit der Farbe: sie reagiert, schwingt mit, kommuniziert oder wehrt ab, distanziert sich, ändert. Darum bilden ihre Werke nichts Gegenständliches ab, bewahren jedoch (auch) die Emotionen der Künstlerin. Bei uns Betrachtern können sie ebenfalls Gefühle auslösen, Resonanzen, auch wir können reagieren, mitfühlen und mitschwingen.

Mehr als die Hälfte der 30 ausgestellten Werke sind „ohne Titel“, deshalb werden die Betrachter sowieso auf sich selbst und ihre Fantasien zurückgeworfen. Mitunter gibt die Malerin ihren Schöpfungen nachträglich Titel, etwa wie dem Werk „Ruhe bewahren“ auf unserer Abbildung. Das Gemälde wirkt wie eine Schnee- oder Sandlandschaft von oben. Wir können eine Insel erahnen, denn am Rand ist blaues Wasser. Etwas Düsteres, Fremdes, Unbekanntes senkt sich herab, legt sich auf ein vogelartiges oder anderes belebtes Wesen. Oder hat es bereits teilweise verschlungen. In den oberen Gebilden kann man auch kleine Monster erkennen. Irgendetwas Dramatisches scheint hier zu passieren, aber die Künstlerin rät uns: „Ruhe bewahren!“

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„The Substance“ ein Horrorfilm?

„Jugend, die mir täglich schwindet…“ – wie aktuell sind doch diese 180 Jahre alten Zeilen Heinrich Heines. Wer würde diesen Prozess des Alterns nicht gerne aufhalten? Die Diva Liz Sparkle, im Film „The Substance“ dargestellt von Demi Moore, ist wahrlich kein junges Mädchen mehr. Aber mit ihren 50 Jahren ist sie immer noch eine topfitte und äußerst attraktive Frau. Doch der verschlagene Programmdirektor Harvey (Dennis Quaid), der aussieht wie Dieter Bohlen, will ihre erfolgreiche Aerobic-TV-Show absetzen und sie loswerden.

Dem alten Knacker ist Liz zu alt, hinter ihrem Rücken bereitet er heimlich das Casting für eine Nachfolgerin vor. Als Sparkle zufällig von der Intrige erfährt, verursacht sie anschließend vor Wut einen heftigen Autounfall. Später bekommt sie in der Klinik einen Zettel zugesteckt, er erhält ein attraktives Angebot…

Mit Hilfe einer geheimnisvoll Substance bekommt sie die Chance, eine Woche lang äußerst jung, dünn und schön zu sein, in der jeweils folgenden Woche müsste sie dagegen ihr altes Ich leben und altern. Natürlich nimmt sie an und nimmt die Substance. Nackt liegt Liz regungslos in ihrem Badezimmer, dramatisch kommt aus ihrem aufreißenden Rücken die nackte junge Sue (Margaret Qualley) herausgekrochen und näht später ihr altes Ego zu. Schnell gewinnt sie die Casting-Show des Senders und wird ihre eigene Nachfolgerin.

Im Folgenden geht es nicht um die Substance und die anonymen Mächte die dahinterstecken, sondern ausschließlich um die Folgen dieses eigenwilligen Tauschs. Immer wieder heißt es: „Ihr seid eine Einheit“, aber Sue wird mit der Wechselei immer unzufriedener. Sie mogelt herum, schindet längere Verwandlungszeiten heraus, doch dadurch altert Liz immer schneller und heftiger. Irgendwann wird sie zum riesigen Monster, wie Dorian Gray in der Erzählung von Oscar Wilde. Und am Ende des Films spritzt das Blut aus ihr wie aus Feuerwehrschläuchen…

So wird auch der Filme, der zunächst im schönen, perfekten Barbieland beginnt, zum krassen Monsaterfilm, genauer zum Genrefilm Body-Horror. Doch der Streifen ist kein Selbstzweck der Regisseurin Coralie Fargeat, für den sie beim letzten Filmfestival in Cannes mit einer Silbernen Palme (Bestes Drehbuch) ausgezeichnet wurde.

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„Die Ironie des Lebens“

„Es sind gute Monate geworden“, sagt Corinna Harfouch am Ende des Films, in ihrer Rolle als sterbende Eva. Ja, auch „Die Ironie des Lebens“ ist ein guter deutscher Film geworden, ein mutiger Seiltanz zwischen Comedy, Sex im Alter, Sterben und Beziehungsdramen. 

Auf der Bühne macht der sehr erfolgreiche ältere Comedian Edgar (Uwe Ochsenknecht) üble Witze auf Kosten seiner Exfrau, die er vor vielen Jahren mit zwei kleinen Kindern verlassen hat. „Was ist das Schönste an der Ehe?“, fragt er ins Publikum. „Die Scheidung“ schallt es aus dem Saal. Doch in der Pause steht plötzlich, nach 25 Jahren, die von ihm geschiedene Frau Eva in seiner Garderobe und berichtet, dass sie schwer an Krebs erkrankt sei und keine Chemo, keine Bestrahlung wolle: „Ich möchte noch ein paar gute Monate haben“, sagt sie und verschwindet schnell, weil sie meint, der Besuch sei wohl doch keine so gute Idee gewesen. 

Im Bademantel und Schlappen folgt Edgar ihr bis in den Bus, versucht Eva dort weis zu machen, dass man gegen ihre Krankheit bestimmt was tun könne, er hätte gute Beziehungen und viel Geld um ihr zu helfen. Doch sie will keine Hilfe annehmen, weißt empört seine Unterstützung als Narzissmus zurück. Der Comedian ist trotz seiner Erfolge eigentlich ein einsamer Mensch, trinkt zu viel, hat gelegentlich Sex mit Groupies, liebt aber nur seinen Hund. Deshalb überrascht es nicht, dass er sich als Retter wieder seiner Frau annähern will – und auch zum ersten Mal seine Tochter trifft, die selber Comedy bei YouTube macht. 

Überraschend (auch für uns) lädt der Komiker die Exfrau zum legendären Comedy-Ball in München ein – die beiden tanzen miteinander, vergnügen sich, trinken reichlich Alkohol und singen nachts im leeren Tanzsaal den alten Song der „Ton-Steine-Scherben“: „Halt Dich an Deiner Liebe fest“. Und natürlich landen die beiden, fast 70-jährigen im Bett und probieren lachend Sex im Alter. Edgar sagt alle Konzerte und Interviews ab, widmet sich ganz Eva, beide haben wunderbare Tage – doch sie will immer noch keine Behandlung.

Als sie sich eines nachts stundenlang vor Schmerzen windet, aber keinen Arzt empfangen will, brüllt Edgar: „Dann stirb doch. Aber ohne mich!“ und verschwindet.

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Eine „goldene Verbindung“ zwischen Oberitalien und der hessischen Rhön

„Una festa italiana“ in der Kunststation in Kleinsassen/Rhön. Ein Trio spielte „Cantare“, alle Leute sangen fröhlich mit. Zur Vernissage in der Studioausstellung des Künstlers Giorgio Cavina kamen 60 italienische Gäste aus seiner Heimat. Sie verbreiteten sofort südländisches Flair und steckten die zahlreichen deutschen Besucher an. Gefördert wurde dieser kulturelle Austausch – zwischen Hofbieber, zu dem Kleinsassen gehört, und Montana Acquacheta in Oberitalien – durch den Rhöner Freundeskreis Italien.

Auf den ersten Blick muten die groben farbkräftigen Malereien Cavinas irgendwie arabisch an, weil sie verhüllte, ja manchmal verschleierte Wesen zeigen. Formal erinnern sie aber auch an byzantinische Ikonenmalerei, nicht zuletzt, weil der Künstler viel Blattgold in seinen Arbeiten verwendet. „Connessione d’oro“ heißt seine Ausstellung, goldene Verbindung – und das ist tatsächlich wörtlich zu nehmen. 

Aber manche Bilder changieren auch ins Abstrakte und irritieren dadurch den Betrachter. Was zeigt denn der Künstler eigentlich wirklich, fragt man sich, und beim zweiten Blick überraschen dann die Untergründe. Cavina nutzt neben Leinwänden auch erkennbar Sperrholz oder Zementplatten für seine Bilder. Die werden nicht nur mit Ölfarbe, Blattsilber und Blattgold arrangiert, sondern auch mal mit Bitumen versehen oder durch Zeitungsschnipsel collagiert. Dadurch entstehen völlig ungegenständliche aber spannende Kompositionen. Die bedeuten gar nichts mehr, bleiben titellos und beeindrucken am meisten, weil sie starke Gefühle provozieren. 

Das ist vielleicht Geschmacksache, doch auch die verhüllten Gestalten oder die arabisch wirkenden Buchstaben sollen lediglich exotische Assoziationen wecken, sie bilden keine Wirklichkeit ab. Denn der Maler will auf diese (Gestaltungs-) Weise ausdrücklich unterschiedliche, ja einander fremde Kulturen verbinden.

Einige neuere Arbeiten mit grellroten Farben setzen sich mit den katastrophalen Unwettern auseinander, denen Cavinas Heimatregion ausgesetzt war.

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