„Die Heilige Johanna auf dem Scheiterhaufen“ – eine außerordentliche Inszenierung in Frankfurt

Die Frankfurter Oper beendet ihre Spielzeit mit einer außerordentlichen Inszenierung des szenischen Oratoriums „Die Heilige Johanna auf dem Scheiterhaufen“ (Jeanne d’Arc au Bûcher)

Zunächst träumt eine Frau im Himmel, zu den spätromantischen Klängen Claude Debussys („Die Auserwählte“), hoffnungsvoll von ihrem irdischen Geliebten. Sie sehnt sich, hier bald mit ihm vereint zu werden: „All das wird sein, wenn er kommen wird.“

Übergangslos erklingt nun die sphärische Musik des Oratoriums. „Finsternis lag über dem Land“ intoniert der stark erweiterte Chor der Oper, „es war ein Mädchen namens Jeanne.“ In einem Lift schwebt sie aus dem Himmel, der durch eine zweite, gläserne Bühnenebene gebildet wird. Bald schreit und singt der Riesenchor, der sie eben noch hochleben ließ, als aufgehetzter und ihren Tod fordernder Mob: „Hexe“ und „Ketzerin“. „Bin ich das?“, fragt fassungslos Jeanne, verkörpert durch Schauspielerin Johanna Wokalek. In zehn Bildern erinnert sie sich dann an Szenen aus ihrem Leben.

Die großartigen üppigen Tableaus, die fast immer vom gesamten Chor dargestellt und besungen werden, zeigen das Glücksspiel dekadenter Herrscher um Jeannes Leben, wilde heidnische Freudenfeste oder den Empfang ihres siegbringenden Schwertes durch Erzengel Michael. Schauerlich das Tribunal und die angedeuteten Folterszenen auf einem Schrottplatz. Der Vorsitzende des Gerichts ist ein ordinäres Schwein, die vulgären Beisitzenden blöken als Schafe „mäh, mäh.“ Zum Schluss findet die Totgeweihte zu sich und verliert ihre Angst, „Du bist nicht alleine“, ruft eine Stimme vom Firmament.

„Jeanne d’Arc au Bûcher“ ist keine Oper…„Jeanne d’Arc au Bûcher“ ist keine Oper sondern ein Gesamtkunstwerk aus dramatischen Chorgesängen, Musik von milder Modernität, dem langen Text der Hauptfigur und bilderreichen Szenen. Das Libretto schrieb der fromme Katholik Paul Claudel, dem sich der Komponist Arthur Honegger musikalisch unterordnete. Manchmal, besonders am Schluss, wirkt das Stück etwas zu pathetisch und religiös überladen. Gebrochen wird dieser Eindruck – unter anderem – durch den Chor als dummes obszönes Volk und den widerwärtigen Umgang der Herrschenden mit dem erfolgreichen Bauernmädchen. Sie war eine Frau. Sie wollte „das Böse“ besiegen. Sie fühlte sich zum Handeln berufen. Das konnten die mittelalterlich geprägten gesellschaftlichen und religiösen Despoten nicht hinnehmen. In der zeitlosen Frankfurter Inszenierung kann das Religiöse auch als Hoffnung auf Veränderung und Solidarität, als letzte Bastion der Ethik interpretiert werden.

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Das Werk entstand 1938 und wurde zunächst nur konzertant aufgeführt. Als die Nazis bald darauf Frankreich überfielen, bekam es eine immense Aktualität und wurde im nicht besetzten Teil des Landes begeistert gefeiert. Unterschiedlichste Kräfte – etwa die französischen Ultrarechten – vereinnahmten die reale oder literarische Jeanne für sich. Doch das schmälert nicht ihre Bedeutung für die Gegenwart. Europa sei im Verfallszustand, meint der überragende Regisseur Àlex Ollé dazu: „Als das ‚Böse’ könnte man die dunkle Macht betrachten, die sich in Form der krassesten finanziellen Gier ihren Weg bahnt und die irrationalsten Kräfte auf den Plan ruft – Fanatismus jeder Art, reaktionäre Bewegungen…“ Ollé ist Mitglied des radikalen spanischen Theaterkollektivs „La Fura Dels Baus“, das auch in Frankfurt recht bekannt ist und in den 1980er-Jahren im Gallus-Viertel kühne Performances inszenierte.

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Besonders gelobt werden sollen hier noch die Schauspielerin Wokalek sowie der erweiterte Chor, der nicht nur durch den großartigen Gesang überzeugt, sondern auch durch mutiges professionelles Schauspiel. Ebenso bemerkenswert der glockenreine Sopran Elisabeth Reiters und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester (Leitung Marc Soustrot).

Ein Abend, den man nicht verpassen sollte!

Weitere Aufführungen am 23., 24, 28., 30. Juni, 1. Juli 2017.
Außerdem gibt es ein großes Rahmenprogramm mit Vortragsabenden, einem interdisziplinären Symposion und Filmen zu Jeanne d’Arc.

Zum Video der Oper Frankfurt 

FOTOs © Barbara Aumüller

 

Oben: Das dekadente Spiel der Mächtigen um Jeannes Leben, im Hintergrund Jeanne d’Arc (Johanna Wokalek)

Mitte: Die wohl stärkste Szene, Jeanne d’Arc (Johanna Wokalek) auf dem imaginären Scheiterhaufen, daneben gefolterte Frauen auf Schrottautos. Doch die Sängerin im Himmel spendet der Todgeweihten Trost: „Du bist nicht alleine!“

Unten: Die tanzende Jeanne d’Arc (Johanna Wokalek) ist versöhnt mit ihrem Schicksal